Sachverhalt
Bei dem Kläger handelte es sich um einen 1934 geborenen Patienten, der allein in einer Wohnung in einem Seniorenheim mit Pflegestufe 2 lebte und daher im Jahr 2010 einen „Dienstleistungsvertrag zur Teilnahme am Hausnotruf“ schloss. Er litt unter Arthrose, Atemnot, chronischer Bronchitis, Herzrhythmusstörungen, Diabetes mellitus sowie an arteriellem Hypertonus und Makroangiopathie. Auch ein erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall hat bestanden. Aufgrund eines Erhebungsbogens waren diese Erkrankungen bei dem Hausnotrufdienst bekannt.
Als er am 9. April 2012 den Notruf betätigte, gelangte er an einen Mitarbeiter in der Zentrale. Es konnte jedoch nur ein Stöhnen vernommen werden und auch telefonisch konnte man den Patienten nicht erreichen. Daraufhin wurde ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes (Streithelferin) zu ihm geschickt, diese fand ihn auf dem Boden liegend vor. Ein weiterer Mitarbeiter kam hinzu, gemeinsam konnte man den Patienten auf eine Couch verlegen. Ohne weitere ärztliche Versorgung wurde er dann in seiner Wohnung zurückgelassen. Erst am 11. April haben Angehörige seines Pflegedienstes ihn in eine Klinik gebracht, nachdem sie ihn in seiner Wohnung auffanden, mit einer Halbseitenlähmung und einer Aphasie (Sprachstörung).
In der Klinik wurde ein Schlaganfall diagnostiziert, der wohlmöglich zwei bis drei Tage zurücklag. Laut Kläger habe er diesen Schlaganfall am Mittag des 9. Aprils erlitten. Er ist der Meinung, dass die Folgeschäden hätten vermieden werden können, wenn ein Rettungswagen mit qualifiziertem Personal geschickt worden wäre.
Die Klage auf Zahlung von Schadensersatz und eines Schmerzensgeldes von mindestens 40.000 Euro wurde vom Landgericht Berlin abgewiesen (Az.: 63 O 41/13). Die dagegen gerichtete Berufung war erfolglos. Während des Berufungsverfahrens verstarb der Kläger, seine Töchter führten als Klägerinnen das vom Senat zugelassene Revisionsverfahren fort.
Die Entscheidung des BGH
In dem Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (Az.: III ZR 92/16) wurde darüber entschieden, „ob bei grober Verkennung eines akuten medizinischen Notfalls im Rahmen eines Hausnotrufvertrags eine Umkehr der Beweislast zugunsten des geschädigten Vertragspartners eingreift.“
Normalerweise obliegt die Beweislast dem Geschädigten. Das Arzthaftungsrecht sieht allerdings vor, dass bei einem groben Behandlungsfehler die Beweislast umgekehrt wird. Da sich bei dem Hausnotruf ebenfalls eine Berufs- oder Organisationspflicht ergibt, die dem Schutz von Leben dient, ergibt sich hier eine Vergleichbarkeit mit dem Arzthaftungsrecht.
Daher hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten eingreift, da die Schutz- und Organisationspflichten grob vernachlässigt wurden. Berücksichtigt werden muss die Frage, ob die Folgeschäden auch eingetreten wären, wenn ein Rettungsdienst hinzugezogen wäre.
Laut dem Hausnotrufvertrag, bei dem es sich um einen Dienstvertrag im Sinne des § 611 BGB handelt, schuldet der Beklagte keinen Erfolg der Rettungsmaßnahmen, jedoch ist er zur angemessenen Hilfeleistung verpflichtet. Im Fall des Klägers hat es sich um einen akuten medizinischen Notfall gehandelt. Als er bei der Zentrale anrief, war er nur zu einem Stöhnen in der Lage und aufgrund des Erhebungsbogens war die Krankheitslage des Betroffenen klar. Dass lediglich Streithelfer geschickt wurden, die lediglich in Erster Hilfe ausgebildet sind, stellt damit keine „angemessene Hilfeleistung“, wie es der Hausnotrufvertrag vorsieht, dar.
Quelle: BGH