Rechtsdepesche: Herr Lange, wie geht es Ihnen?
Ricardo Lange: Ich war schon sehr enttäuscht, weil ich für diese Klinik immer eingesprungen bin, wenn Not am Mann war, was ich ja als Zeitarbeiter eigentlich gar nicht muss. Und obwohl ich meinen Dienstplan immer eng in Abstimmung mit der Dienstleitung geschrieben habe, ich immer solidarisch war und zeigen wollte, dass ich da bin, hat man mich so behandelt. Mein Hund war plötzlich krank, da hatte ich Frühdienst. Freunde sagten, der muss zum Arzt. Ich also dahin und der Veterinär meinte, ich solle am nächsten Tag, also Sonntag, wieder mit dem Hund kommen.
Ich habe dann in der Klinik angerufen und gesagt, ich kann morgen nicht kommen, möchte meinen Dienst stornieren und bei meinem Hund bleiben, dem geht´s nicht gut. Dort hat man gesagt: wir brauchen dich aber! Und wie ich halt so bin, habe ich gesagt, ok, dann komme ich halt. Ich habe meine Familie gebeten, auf den Hund aufzupassen. Ich bin nach einer schlaflosen Nacht dann zum Frühdienst gefahren. Um 9 Uhr war der Termin beim Tierarzt, aber schon um 8 Uhr rief mich meine Familie an, dass mein Hund verstorben sei.
Ich habe im Dienst dann gar nicht heulen können, ich hatte gar keine Zeit dazu, weil ich vier Patienten betreuen musste – und nicht zwei, wie von Herrn Spahn gefordert. Ich bin trotzdem den ganzen Dienst geblieben und bin dann nach Hause, um meinen Hund zu verabschieden und im Garten zu vergraben. Ich habe also meinen Hud quasi verraten, ein Familienmitglied. Und genau diese Klinik hat aufgrund der Tatsache, dass ich mich medial zuviel für die Pflege einsetze, meine Dienste storniert und möchte mich nicht mehr im Haus haben.
Mich macht das traurig, viele verstehen das nicht. Dann geht man mit einem mulmigen Gefühl in andere Kliniken und hat dann Angst, dass die einen auch ausschließen wollen. Aber mittlerweile habe ich gemerkt, dass es da viel Solidarität gibt. Viele haben gesagt: wir sperren dich nicht, wir finden super, was du machst!
Ricardo Lange: Politiker kontaktieren mich
Rechtsdepesche: Was haben Sie denn an positiven Rückmeldungen erhalten?
Lange: Mich haben ganz viele Politiker angerufen und ihre Solidarität bekundet und konkrete Hilfe angeboten. Die haben einfach gesagt: wir stehen hinter dir, finden gut, was du machst und dass ich nicht aufhören soll. Es gibt natürlich immer Leute die sagen, man sei ein Selbstdarsteller und ein Schauspieler. Aber dabei vergessen die Leute immer, was man dafür opfert.
Viel Freizeit – man bekommt für die Auftritte ja kein Geld. Manche sagen: wann geht der denn noch arbeiten? Ich sage: ich gehe arbeiten, wie jeder andere auch. Wenn andere nach der Schicht auf der Couch hängen und meckern, mache ich mediale Arbeit für die Pflege und versuche etwas zu ändern. Die ganzen Zusprüche und die Solidarität von Kliniken und Politikern hat meine negatives Gefühl erst mal gedämmt, aber die ersten Tage danach hatte ich Bauchschmerzen und dachte: Oh Gott, da setzt man sich für eine gute Sache ein und dann das.
Ich hätte das verstanden, wenn ich die Klinik beklaut oder Patienten gefährdet hätte. Aber ich wurde gesperrt – das heißt ich darf die Klinik nicht mehr betreten – weil ich mich medial für die Pflege eingesetzt habe. Und das wurde mir auch so am Telefon gesagt.
Man muss mit den Medien sprechen
Rechtsdepesche: Sie haben einen hohen Preis für Ihr Engagement gezahlt: den Hund verloren, im Job gesperrt. Würden Sie sagen, es hat sich gelohnt?
Lange: Ich bin nicht im Job gesperrt, und von meinem Hund konnte ich mich nicht verabschieden. Gestorben wäre er leider auch in meiner Anwesenheit. Aber ich hätte da sein können. Geopfert habe ich Freizeit und vor allem Nerven.Wenn die Menschen, die mich immer kritisieren, wüssten, wieviele Medienangebote ich immer ausgeschlagen habe (z.B. Frühstücksfernsehen), um überhaupt noch meine Arbeit als Pfleger zu machen. Es geht gar nicht darum, dass man Dinge medial ausschlachtet, aber es ist nun mal so, dass man ohne eine Öffentlichkeit auch nichts erreichen kann. Die Leute denken, man geht ins Fernsehen und kriegt einen Haufen Geld dafür. Aber das ist ja gar nicht so. Du musst mit den Medien sprechen, um die Sache platzieren zu können.
Ich habe für mich viel gelernt, habe klar, wer noch mein Freund ist und wer nicht. Viele Leute, die einen zuerst gefeiert haben, haben einen dann später auch enttäuscht. Ich habe ganz schnell lernen dürfen, wer meine wahren Freunde sind, die weiter zu mir stehen und wer eben nicht. Ganz toll: Politiker hören mir zu und fragen mich nach Rat. Ich nenne keine Namen, aber die sind auf Bundesebene und an weiteren Gesprächen mit mir interessiert. Das ist für mich ein Gewinn. Die melden sich persönlich bei mir, nicht über die Medien.
So habe ich Hoffnung, dass sich eines Tages vielleicht doch etwas zum Positiven ändert. Ich möchte nicht so rüberkommen, als würde ich mich hier selber in den Himmel loben. Es geht mir darum, im Austausch zu sein. Vor allem mit Leuten, die politische Entscheidungen treffen.
Wertschätzung heisst, auch mal Nein zu sagen
Rechtsdepesche: Haben Sie eine Botschaft an die Pflegenden? Was sagen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, die täglich in der Pflege arbeiten?
Lange: Meine Botschaft wäre, dass man sich nicht auf die Medien verlässt, weil ja immer alle meckern, das Thema Pflege sei ja nicht in den Medien präsent. Die Medien haben anderthalb Jahre berichtet. Wir hatten genug Zeit, Dinge dort zu platzieren. Wichtig is vor allem, das man die Wertschätzung nicht nur von aussen einfordert, sondern dass wir bei uns selber anfangen. Und Wertschätzung heisst doch einfach mal, Nein zu sagen. Nein, ich komme nicht aus dem Urlaub früher zurück. Nein, ich springe nicht ein.
Da geht es auch nicht darum, die große Revolution zu starten oder dass man gar nicht mehr aushilft. Sondern es geht einfach darum, dass wenn es für einen persönlich nicht passt, weil man krank ist oder eine wichtige Familienangelegenheit ansteht, man nicht zum Dienst geht. Wertschätzung fängt bei uns selbst an. Wir haben alle eine Gesundheit, eine Familie – alles Dinge, die wir wertschätzen. Wenn wir uns selber nicht wertschätzen – wer soll es denn dann machen? Wir müssen lernen, auch mal Nein zu sagen.
Rechtsdepesche: Haben Sie Angst um Ihre Zukunft? Würden Sie alles wieder genau so machen?
Lange: Ich würde alles wieder genau so machen. Ich bin der Typ, der etwas anspricht, wenn es ihn stört. Als ich in meiner alten Klinik gekündigt habe, bin ich auch hoch zur Geschäftsleitung und habe denen klar und deutlich gesagt, was mir hier nicht passt, mich ankotzt und aus meiner Sicht total schiefläuft. Erst dann bin ich gegangen. Würde ich immer noch genauso machen.
Ich habe Angst, Patient zu werden
Rechtsdepesche: Haben Sie Angst vor der Zukunft der Pflege allgemein?
Lange: Andersrum – ich habe Angst, selbst mal Patient zu sein.
Rechtsdepesche: Das sagt ja vieles aus.
Lange: Ich habe Angst, mal Patient zu sein, weil ich möchte, dass wenn ich krank bin – oder meine Eltern, Freunde – dass sie eine gute pflegerische und medizinische Versorgung erhalten. Als ich mal einen Unfall hatte, hat meine Familie am Krankenbett die Urinflasche geleert, weil wegen Personalmangels niemand gekommen ist. Und ich wollte auch nicht klingeln, weil ich wusste, die haben ja viel zu tun. Ich habe gar nicht so um die Pflege unbedingt Angst, weil wir es ja zum Teil mit in der Hand haben. Man muss einfach auch mal Nein sagen.
Aber der Patient kann nicht einfach Nein sagen – er ist ausgeliefert, er braucht Hilfe, er liegt da, weil er krank ist. Der Patient ist wehrlos, die Pflege nicht. Die kann sagen: mach ich nicht! Ich lass mich nicht mehr ausnutzen.
Rechtsdepesche: Herr Lange, vielen Dank für das Telefoninterview.
Zur Person: Ricardo Lange lebt und arbeitet in Berlin. Der 39-jährige ist zum Gesicht für die prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege geworden. Doch der Intensivkrankenpfleger hat schon vor Corona auf den Pflegenotstand aufmerksam gemacht.