Deutschlands Intensivstationen in Not? „Dahinter steckt keine böse Absicht – es fehlt schlicht das geschulte Pflegepersonal!“, erklärt der ehemalige Präsident der DIVI, Professor Uwe Janssens. Er ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. Die schon vor der Pandemie bekannten Probleme in der Intensivmedizin hätten sich verstärkt. „Die zurückliegenden, zermürbenden Monate haben zu einer Verschlechterung der Stimmung und zu weiteren Kündigungen von Stammpflegekräften geführt!“ So sei in der kommenden Zeit mit spürbaren Einschränkungen in der Versorgung der Bevölkerung zu rechnen.
Gründe für den Negativ-Trend bei Belegung
Bereits heute sind gut ein Fünftel der maximal betreibbaren High-Care-Betten, in denen Patienten invasiv beatmet werden können, auf Intensivstationen gesperrt. Bei den Low-Care-Betten sogar 35 Prozent.
„Konkret können wir einen Negativ-Trend auch anhand der gemeldeten freien und belegten Betten im DIVI-Intensivregister verfolgen“, sagt Professor Christian Karagiannidis, medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters und Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim.
Die Zahlen belegten die Ergebnisse der Umfrage: Zur Zeit seien 22.207 betreibbare Intensivbetten deutschlandweit gemeldet. Am 1. Januar diesen Jahres seien es noch 26.475 Betten gewesen – also 4.268 mehr. Und das war auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle. Damals seien zahlreiche Pflegekräfte selbst erkrankt und ausgefallen.
Intensivstationen: Einschränkungen in der Notfallversorgung der Bevölkerung spürbar
Die aktuelle Umfrage unterstreicht die zunehmende Verschlechterung der Situation in der Intensivmedizin. Denn bereits 2018 führten die Autoren eine Umfrage mit gleicher Fragestellung unter Intensivmedizinern durch. Damals hatten noch 44 Prozent der Befragten berichtet, Bettensperrungen seien nicht erforderlich.
„So sind wir derzeit in der absurden Situation, dass wir zwar glücklicherweise nur rund 1.500 COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen behandeln müssen, gleichzeitig fehlen uns aber mehr als 4.000 Betten“, sagt DIVI-Präsident Professor Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen.
„So verzeichnen wir wieder eine Einschränkung der Notfallversorgung und müssen geplante, schwere Operationen von Patienten verschieben – eine dauerhaft nicht vertretbare Situation mit Blick auf die uns anvertrauten Patienten“, mahnt der Präsident.
Mitautor Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, spricht Klartext, was nun folgen könnte: Eine absehbar schwere Herbst- und Winterwelle mit vielen COVID-19-Patienten, aber auch weiteren respiratorischen Infektionen, wie zum Beispiel Influenza oder RSV, könne die Intensivmedizin in Deutschland erneut an und über ihre Grenzen bringen. „Der Beatmungsanteil von Intensivpatienten wird voraussichtlich deutlich steigen und mit ihr auch die Arbeitsbelastung des Personals“, erklärt Kluge.
Pflegekräfte halten und berufliche Perspektiven schaffen
Was also tun? Es gilt das vorhandene Pflegepersonal zu halten, also die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte auf den Intensivstationen spürbar zu verbessern. „Für eine erfolgreiche Bewältigung der Coronapandemie – wie auch dauerhafte Etablierung einer qualitativ hochwertigen Intensiv- und Notfallmedizin – ist es jetzt unbedingt erforderlich, das System grundlegend zu reformieren“, fordert Professor Felix Walcher, Präsident elect der DIVI und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg.
„Es gilt unbedingt berufliche Perspektiven für die Pflege zu schaffen“, resümiert Walcher. „Das Fortschreiten der aktuellen Situation, eine weiterhin eingeschränkte Notfallversorgung und Intensivmedizin ist nicht hinnehmbar. Das haben uns die vergangenen Monate gelehrt!“
Wann Betten auf Intensivstationen betreibbar sind
Für den Rückgang der Intensivbettenzahl gibt es mehrere Gründe. Ein Intensivbett ist nicht einfach nur das vorhandene Bett mit Beatmungsgerät. Es geht um die Anzahl tatsächlich betreibbarer Betten – auch im Krankenhausfinanzierungsgesetz steht dieser Begriff. Das DIVI erklärt auf seiner Website, was darunter zu verstehen ist:
„Ein intensivmedizinischer Behandlungsplatz gilt als betreibbar/betriebsfähig, wenn […] jeweils ein vorgesehener Raum, funktionsfähige Geräte und Material pro Bettenplatz, Betten, und personelle Besetzung mit pflegerischem und ärztlichem Fachpersonal vorhanden sind und eingesetzt werden können.“
Hartnäckig hält sich darüber hinaus das Gerücht, Klinken würden Ausgleichszahlungen vom Bund erhalten, deren Intensivbetten zu 75 Prozent oder höher ausgelastet seien. Doch das ist nicht richtig.
Krankenhäuser können nur Ausgleichszahlungen beantragen, wenn ihr Bundesland sie auf die Liste der dafür bestimmten Krankenhäuser setzt. Dafür gibt es eine Reihe von Voraussetzungen, die maßgeblich vom Corona-Infektionsgeschehen im jeweiligen Landkreis abhängen. Mit den Ausgleichszahlungen bereichern sich die Krankenhäuser angeblich nicht. Es handelt sich vielmehr um einen – teilweisen – Ersatz für entgangene Einnahmen. Und ohne diese wären schon 2020 viele Häuser in die Pleite gegangen.
Quelle: DIVI, RKI, DKG