Die neuen Fallzahlen in der Coronapandemie werden von Nachrichtensendern mittlerweile so vorgetragen wie das Wetter. Die Fallzahlen allein reichen aber nicht aus, um sich ein umfassendes Bild der Pandemielage zu verschaffen. Medizin und Politik betrachten verschiedene Indikatoren, um ihre Maßnahmen entsprechend anzupassen.
Welche Indikatoren dabei besonders relevant sind, ändert sich aber immer wieder. Erst vor wenigen Monaten hat die Bundesregierung beschlossen, dass Inzidenzen nicht mehr ausschlaggebend zur Bewertung der Pandemielage sein sollen, man wolle mehr auf die Hospitalisierungsrate gucken. Das gilt auch heute noch. Trotzdem wird die Sieben-Tage-Inzidenz weiterhin als relevanter Indikator für die Bestimmung der Schutzmaßnahmen zum Beispiel in der Coronaschutzverordnung von Nordrhein-Westfalen genannt. Die relevanten Indikatoren sind:
- Hospitalisierungsrate
- Sieben-Tage-Inzidenz (Neuinfektionen)
- Verfügbare intensivmedizinische Behandlungskapazitäten
- Anzahl der Geimpften
- Zahl der Todesfälle
- Altersstruktur der Infizierten
- Entwicklung des R‑Werts (Reproduktionswert)
Schon im vergangenen Jahr haben verschiedene Kliniken der deutschen Krankenhausgesellschaft einen neuen Indikatoren-Mix zur Bewertung der Pandemielage gefordert. Die verschiedenen Indikatoren können dabei unterschiedliche Erkenntnisse liefern. Die vier wichtigsten Indikatoren erklären wir Ihnen im Folgenden.
Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen
Die Inzidenz der Neuinfektionen oder auch Sieben-Tage-Inzidenz bzw. Wocheninzidenz genannt, war lange Zeit die wichtigste Kennzahl zur Bewertung der Pandemielage. Hierbei geht es um die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche. Die Inzidenz war deshalb so wichtig, weil es bei der Pandemiebekämpfung in erster Linie darum ging, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Gab es viele Neuinfektionen, konnten die Krankenhäuser stets davon ausgehen, dass auch die Zahl der neuen Patienten und auch der Toten steigt. Spätestens seit der neuen Omikron-Variante des Coronavirus ist klar, dass das nicht mehr so ist. Ein Anstieg der Inzidenz bedeutet nicht mehr, als dass in den nächsten Tagen viel mehr Menschen im Zusammenhang mit Corona sterben werden oder dass sie ins Krankenhaus müssen.
Zu erklären ist das damit, dass viele Menschen in Deutschland mittlerweile vollständig geimpft sind. Sollten diese sich also mit dem Coronavirus anstecken, steigt zwar die Inzidenz, die Geimpften erkranken aber nur noch selten schwer und müssen deshalb auch nicht ins Krankenhaus. Der Kölner Gesundheitsdezernent Harald Rau hat indes bekannt gegeben, dass die genaue Bestimmung der Inzidenz keine steuernde Wirkung mehr habe. „Ob wir in einer Kommune nun beispielsweise 1200 oder 1400 haben, ist fast nicht mehr entscheidungsrelevant“, sagte er der deutschen Presseagentur.
Hospitalisierungsrate
Die Zahl der schweren Krankheitsverläufe äußert sich nach Meinung vieler Experten hingegen eher in der Hospitalisierungsquote (oder ‑rate, ‑inzidenz). Sie gibt die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Corona pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche an. Zwischenzeitlich hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder auch auf diesen Indikator als grundlegend Maßstab in der Pandemiebekämpfung geeinigt. Das geschah mit der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) im November 2021. Sollten ihre Schwellenwerte von 3, 6 bzw. 9 überschritten werden, dann können auch weiterhin verschärfte Maßnahmen verhängt werden.
Die Hospitalisierungsrate eignet sich nämlich besonders gut dafür, einen Überblick über die Auslastung der Krankenhäuser zu geben, da durch sie eben keine asymptomatischen oder milden Krankheitsverläufe erfasst werden, sondern nur jene, die einen Krankenhausaufenthalt nötig machen. So werden Maßnahmen nur dann getroffen, wenn sie wirklich nötig sind, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet wird.
Allerdings hat auch die Hospitalisierungsrate einige Probleme: Meldeprobleme und Verzögerungen bei der Erhebung der Daten, haben in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt.
Verfügbare Intensivkapazitäten
Mit dem DIVI-Intensivregister ist es möglich, in Echtzeit die Fallzahlen intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Patienten sowie Behandlungs- und Bettenkapazitäten zu erfassen. Die digitale Plattform sammelt dabei Daten von 1300 Akut-Krankenhäusern in Deutschland.
Das Intensivregister ermöglicht so Engpässe in der intensivmedizinischen Versorgung zu erkennen und macht diese regional und zeitlich vergleichbar. Das Register liefert also die Grundlage, damit Politik und Medizin in Notsituationen Maßnahmen ergreifen können. Darüber hinaus erfasst das Intensivregister den Impfstatus der Intensivpatienten.
Die Zahl der Intensivpatienten hatte im Januar 2021 ihren Höchstwert bei 5.800. Prognosen mit der sehr ansteckenden Omikron-Variante des Coronavirus gehen davon aus, dass dieser Höchstwert sogar übertroffen werden könnte.
Im Notfall weist das Divi-Intensivregister eine Intensivbettennotfallreserve aus. Wird diese Reserve vollständig aktiviert, müssen alle planbaren Operationen verschoben werden, um das Personal in den Intensivstationen einzusetzen. Normalstationen werden dabei zu Intensivstationen umgerüstet.
Entwicklung des R‑Werts
Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Menschen von einer mit dem Coronavirus infizierten Person angesteckt werden. Für das Coronavirus ging man am Anfang der Pandemie von einem Basisreproduktionswert von 2,8 bis 3,8 aus. Jeder Infizierte hat demnach drei bis vier Personen angesteckt.
Diese Basisreproduktionszahl ist allerdings als Startwert zu verstehen. Zu Beginn einer Pandemie gibt es noch keinen Impfschutz und es wurden auch noch keine Schutzmaßnahmen getroffen. Das bedeutet aber auch, dass dieser Wert nicht allgemeingültig ist, weil er eben zu für eine damals geltende Bevölkerung ermittelt wurde.
Mit Hilfe von Infektionsschutzmaßnahmen kann man die Reproduktionszahl beeinflussen. Man spricht dann von einer zeitabhängigen Reproduktionszahl.
- Ist die Reproduktionszahl größer als 1, steigen die Zahl der täglichen Neuinfektionen.
- Ist die Reproduktionszahl gleich 1, bleibt die Zahl der täglichen Neuinfektionen konstant.
- Ist die Reproduktionszahl unter 1, sinkt die Zahl der täglichen Neuinfektionen
Das Ziel ist also, den R‑Wert unter 1 zu halten, damit das Infektionsgeschehen rückläufig ist. Die Modelle, mit deren Hilfe der R‑Wert berechnet wird, enthalten allerdings einige Unsicherheiten, wie Recherchen des Bayerischen Rundfunks ergeben haben. So ist es auch zu erklären, dass der R‑Wert nach Berechnungen des Robert Koch-Instituts trotz steigender Infektionszahlen lange Zeit unter 1 war.
Alle Indikatoren müssen gemeinsam betrachtet werden
Der R‑Wert sollte also immer auch mit anderen Indikatoren wie der Zahl der Neuinfektionen betrachtet werden. Die wichtigsten Indikatoren zur Bewertung der Pandemielage bleiben somit nach wie vor die Hospitalisierungsrate und die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen. Dennoch bietet jeder der genannten Indikatoren wichtige Erkenntnisse. Wie genaue die jeweiligen Bundesländer welchen Indikator in die Beurteilung für notwendige Schutzmaßnahmen einbeziehen, ist in den Coronaschutzverordnungen allerdings nicht ersichtlich.