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In der sogenannten Orientierungsdebatte lag kein konkreter Gesetzesentwurf vor. Vielmehr konnten im Vorfeld Vorschläge zur Impfpflicht eingebracht werden. Abgeordnete unterlagen dabei keinen Fraktionsvorgaben. Entsprechend vielseitig lief die Diskussion. Dabei gab es drei grundsätzliche Positionen:
- eine allgemeine Impfpflicht ab 18
- eine Impfpflicht ab 50 sowie für Risikogruppen
- keine Impfpflicht, allerdings eventuell eine verpflichtende Impfberatung
Grüne tendieren zur Impfpflicht
Grundsätzlich tendieren die Grünen zur allgemeinen Impfpflicht. Laut Dr. Kirsten Kappert-Gonther (B90/Grüne) sei die allgemeine Impfpflicht nicht nur der Weg aus der Pandemie, sondern auch eine Möglichkeit zur gesellschaftlichen Befriedung. Ähnlich sah es ihre Fraktionskollegin Ricarda Lang (B90/Grüne): „Ja, es geht um Freiheit. Aber es geht um die Frage, welche Maßnahmen wir brauchen, um die größtmögliche Freiheit für alle zu erreichen.“ Die Impfpflicht habe eine positive Freiheitsbilanz und sei deshalb zu befürworten. Auch Kordula Schulz-Asche (B90/Grüne) wies darauf hin, dass der Schutz der Allgemeinheit umso höher ist, je höher die Impfquote liegt.
Zwei Drittel der Patienten auf den Intensivstationen seien ungeimpft. Durch die Impfung könnte Leid vermieden werden. Sie räumte zwar ein, dass die Impfpflicht ein Eingriff in die Schutzrechte der Bürger sei, allerdings handele es sich dabei um eine milde Maßnahme. Dem widersprach Helge Limburg (B90/Grüne): Die Grundrechte schützten auch die Unvernunft: „Die Frage ist, ob eine Impfpflicht aktuell immer noch das mildeste Mittel ist.“
Immerhin stünde bald auch ein Totimpfstoff zur Verfügung, der zumindest einem Teil der Impfgegner die Angst nehmen könne. Paula Piechotta (B90/Grüne) dagegen vertrat einen Mittelweg: Die Impfung sollte für Risikogruppen verpflichtend sein, zusätzlich sollte es eine verpflichtende Impfberatung ab 18 Jahren geben.
Ähnlich uneins war sich Die Linke. So wies Kathrin Vogler darauf hin, dass die Impfung das Recht aller Menschen schütze: „Wir erleben eine verzerrte Risikowahrnehmung in der Gesellschaft.“ Das COVID-Risiko werde massiv unterschätzt. Sie fügte hinzu, dass es die Pflicht der Regierung sei, zu verhindern, dass das Gesundheitspersonal ans Limit komme. Gregor Gysi stellte die Möglichkeit von Sanktionen zur Diskussion: “ Eine Pflicht ohne Sanktion ist keine Pflicht.“
Auch wenn dabei zunächst an Bußgelder gedacht werde, gebe es immer noch die Ordnungshaft für Zahlungsunwillige. Deshalb sollte man statt einer Impfpflicht lieber auf Aufklärung setzen, um Menschen zur Impfung zu motivieren.
Unter den Vertretern der FDP gab es kaum Befürworter der Impfpflicht. Dr. Marco Buschmann wollte keine abschließende Meinung äußern, da die Frage sehr komplex sei. Wolfgang Kubicki (FDP) bedankte sich zunächst für die hohe Übereinstimmung der Positionen, warnte aber: „Ich möchte nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was vernünftig ist. Es gibt gute Gründe für die Impfung. Die Gründe für die Impfpflicht überzeugen mich nicht.“
Auch Andrew Ullmann (FDP) lehnte Zwang ab: „Wir wollen Menschen nur als ultima ratio zur Vernunft verpflichten.“ Er befürwortete ein verpflichtendes Aufklärungsgespräch, eventuell eine altersbezogene Impfpflicht.
CDU/CSU fordert Impfregister
Bei den Sprechern der CDU/CSU kam immer wieder die Forderung nach einem Impfregister hoch. Tino Sorge (CDU/CSU) warf dem Kanzler mangelnde Führung vor: „Man spielt Verstecken und hofft dass jemand anders ein Konzept für die Impfpflicht entwickelt, wenn man nur lange genug wartet.“ Auch Andrea Lindholz (CDU/CSU) verlangte von der Regierung, einen Gesetzesentwurf vorzulegen.
Für die allgemeine Impfpflicht sei es aktuell zu spät, statt dessen brauche es mehr freiwillige Impfungen und ein Impfregister. Erwin Rüddel (CDU/CSU) sprach sich dagegen für eine befristete Impfpflicht aus: „Zu Beginn der Pandemie war ich der Meinung, es gibt keine Impfpflicht. Durch Delta habe ich meine Meinung geändert.“
Er verlangte von den Befürwortern der Impfpflicht, genau zu erklären, für wen die Impfpflicht wie lange gelten soll. Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) wies auf Gemeinsamkeiten hin: Es besteht Konsens darüber, dass das Impfen wichtig und richtig ist.“ Er sprach sich ebenfalls für ein Impfregister aus.
Kein dritter Pandemieherbst
Heike Baehrens (SPD) erklärte, man dürfe nicht auf die Hoffnung setzen, dass die aktuelle Welle die letzte sei: „Es darf keinen dritten Pandemieherbst geben.“ Auch Dagmar Schmidt (SPD) warnte vor einer Durchseuchung: „Die Impfpflicht ist ein viel milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung.“ Einen Seitenhieb in Richtung der Querdenker leistete sich Linda Teuteberg (SPD): „Gerade in dieser Zeit dürfen wir die Grundrechte nicht mit den Vertretern des Abstrusen allein lassen.“
Den ständigen Vorwurf der Opposition, dass es Kanzler Olaf Scholz (SPD) an Führungsqualitäten mangeln lasse, konterte Helge Lindh (SPD) mit dem Hinweis, dass gleichzeitig die autoritären Maßnahmen kritisiert würden: „Was denn nun? Zu autoritär oder zu wenig Führung?“ Er wies darauf hin, dass auch der Ethikrat seine Position zur Impfpflicht geändert habe, ohne dafür breit kritisiert zu werden und ergänzte: „Es ist ein vulgäres Verständnis, dass Freiheit gleichbedeutend mit individueller Unversehrtheit ist.“
Lauterbach: Der einzige Weg ist die Impfpflicht
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte vor kommenden Virusvarianten: „Es gibt so gut wie keinen Wissenschaftler, der sagt, dass Omikron die letzte variante ist. Wir könnten die Ansteckungsrate von Omikron bekommen, kombiniert mit dem schweren Verlauf von Delta. Der einzige Weg ist die Impfpflicht.“ Er fügte hinzu, dass ein Aufschub der Entscheidung schwerwiegende Folgen haben könnte: „Wir brauchen Zeit für die Umsetzung. Wenn wir die Impfpflicht jetzt beschließen, sind wir im Herbst gerüstet. Wenn wir warten, sind wir es nicht.“ Das sei den Menschen im Gesundheitswesen nicht mehr zuzumuten. Statt die Freiheit einzuschränken, würde die Impfpflicht helfen, diese zurückzugewinnen.
Entscheidung könnte im März fallen
Die Gruppenanträge der Abgeordneten sollen im Anschluss an die Orientierungsdebatte vorgelegt werden. Eine Entscheidung könnte dann im März fallen.