Der Prozess hin dazu, der Pflege eine bessere Wahrnehmung zu verschaffen, fängt bei einem selbst an. Nämlich, wie man sich selbst, und seine Tätigkeit, präsentiert – inklusive Wertschätzung. Davon ist der Diplom-Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler Dr. German Quernheim überzeugt. Der allererste Schritt ist konkret die eigene Körperhaltung – die einen automatisch selbstbewusster auftreten lässt.
Dies konnten die Teilnehmer in einer Gruppenübung selbst ausprobieren. „Stellt Euch hüftbreit auf, das Gewicht auf beide Beine verteilt“, instruierte er die Menge. „Nun stellt Euch vor, ihr tragt eine Krone auf dem Kopf. Dann müsst ihr den Kopf nämlich gerade halten. Wer gebückt geht und sich klein macht, würde sie verlieren.“
Auch die Art, wie man seinen Beruf vorstellt, will gelernt sein. Nach einem Negativbeispiel per Video, bei dem sich eine Krankenschwester beim Gespräch im Lift dem neuen Stationsarzt vorstellt und bei ihrer Tätigkeits-Beschreibung in selbst-abwertende Alltags- und Kindersprache verfällt.
In einer weiteren Übung in Kleingruppen konnten es die Anwesenden besser machen: Was begeistert einen auf der Arbeit? Wofür stehe ich? Wie kann man den Gegenüber beeindrucken, ohne ihn jedoch einzuschüchtern, sondern jenen sozusagen „mitstrahlen“ lassen?
Wertschätzung und Berufsstolz: Andere Länder sind wesentlich weiter
„Berufsstolz in der Pflege – überbewertet oder zwingende Voraussetzung für eine professionelle Einstellung?“ hießt der Titel von Quernheims Seminar. Denn hier liege in Deutschland einiges im Argen. Es herrsche eine Jammerkultur, die Teildisziplinen der Pflege seien tendenziell zerstritten und würden gegeneinander (sowie gegen die Ärzteschaft) ausgespielt, und die Angehörigen der Pflege neigten dazu, ihr „Licht unter den Scheffel“ zu stellen.
„In San Francisco dagegen wurde das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der Pflegeausbildung an der University of California gefeiert; die Plakate hingen überall in der Stadt an den Laternenmasten“, schilderte er.
„Und in Finnland trat das Pflegepersonal in eine Art Generalstreik, um eine 30-prozentige Gehaltserhöhung zu erzwingen“ – denn zahlreiche Pflegende drohten konzertiert mit einer Kündigung ihres Jobs zum Jahresende, sollten sich die Bedingungen nicht verbessern.
Die Aktion hatte größtenteils Erfolg; um 25 Prozent stiegen in dem skandinavischen Land die Saläre. In nahezu allen Nachbarländern Deutschlands seien die Kompetenzen der Pflegekräfte höher, so etwa die Verordnungskompetenz ohne Hinzuziehung eines Arztes.
Diese Situation sei, wegen des mangelhaften Öffentlichkeitsbildes der Pflege, teils selbstverschuldet – wie sich ebenso die Anwesenden bei ihrer angeregten Debatte einig waren. „Der Sicherheitsgedanke in der Bevölkerung ist einfach nicht da, etwa im Falle von Stations-Unterbesetzungen. Kein Flugzeug würde ohne Copiloten abheben, oder ohne Flugbegleiter“, verglich er die Situation auf den unterbesetzten Stationen, durch die eine Gefahr für Patienten oder Bewohner erwachse.
Sein Rezept dagegen: sein Mutmach- und Arbeitsbuch entdecken, eigene Kompetenzen aktualisieren, eine fundierte Anleitung und Einarbeitung, sich organisieren und in die Pflegepolitik einbringen, sowie – ebenfalls als kleiner Schritt – konstruktive Teamsitzungen gestalten. „Wenn 25 Prozent in einem Team den festen Willen zur Veränderung haben, ist es wahrscheinlich, dass das komplette Team die Sichtweise annimmt“, gab er den Teilnehmerinnen und Teilnehmerrn als Denkanstoß mit auf den Weg.
1 Kommentar
Endlich wird das Thema mal öffentlich gemacht. Ich stimme Herrn Dr. Quernheim voll und ganz zu. Das schlimme an der Sache ist aber zusätzlich, dass dieses schwache Selbstbewusstsein auch von einer ganzen Reihe von Arbeitgebern ausgenutzt wird. Ich bin selbst exam. Altenpflegerin, meine Beobachtung: der Pflegenotstand ist ein hausgemachtes Problem. Die Arbeitskräfte, welche ausgenutzt wurden, sind psychisch derart durch Demütigungen und würdelosem Verhalten entmutigt, weiter zu arbeiten, oder Krankheit ist die Folge. Dabei könnte auch Menschen zu pflegen Freude bereiten. Ich habe beide Seiten erlebt: dass Arbeit Freude machen kann, die einem aber auf Dauer genommen wird, durch ständige Überstunden und unsachgemäße Kommunikation (brüllenden) Vorgesetzte. Wann darf endlich wieder würdevoll gepflegt werden?