Sachverhalt
Die Patientin rief den Allgemeinarzt Herrn Dr. A. zu einem abendlichen Hausbesuch. Anamnestisch schilderte sie, dass der vorbehandelnde Arzt des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zwei Tage zuvor aufgrund einer festgestellten Nierenbeckenentzündung das Antibiotikum Amoxicillin verordnet habe. Weiterhin sei am Vortage ein Hausbesuch durch einen weiteren Arzt durchgeführt worden, weil keine Besserung eingetreten war und zudem Übelkeit und Kreislaufschwäche hinzugekommen seien. Der Arzt habe das Antibiotikum wieder abgesetzt und Vomex und Paracetamol verordnet.
Gegenüber Herrn Dr. A. erklärte sie, sie habe Kreislaufschwankungen beim Aufstehen, würde sich „schlapp“ und erschöpft fühlen und ihr sei übel. Sie hatte nach eigenen Angaben zufolge am Vortag axial 40 °C Fieber gemessen. Auch hatten sich die bestehenden Rücken- und Gliederschmerzen nicht gebessert. Die Untersuchung ergab einen unauffälligen Befund für Lunge, Herz und Abdomen. Der Blutdruck lag – dem Beschwerdebild entsprechend – bei 110/60, weshalb der Allgemeinarzt einen grippalen Infekt sowie ein Stress-/Erschöpfungssyndrom vermutete. Er empfahl die weitere Einnahme von Paracetamol und Vomex und injizierte 1 Ampulle Metoproclamid gegen die Übelkeit. Bei weiterer Verschlechterung riet er zur Wiedervorstellung in der Praxis oder einer Bereitschaftspraxis.
Wiederum zwei Tage später wurde die Patientin mit der Verdachtsdiagnose einer Meningoencephalitis (Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute) stationär aufgenommen und intensivmedizinisch behandelt.
Verfahren vor der Schlichtungsstelle
Da der Patientin nicht nachvollziehbar war, wie es zu der erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands kommen konnte, stellte sie bei der örtlich zuständigen Schlichtungsstelle einen Antrag auf Überprüfung der gesamten Behandlung.
Da die Schlichtungsstellen bei der jeweils zuständigen Landesärztekammer eingegliedert sind, sind auch die Verfahrensgrundsätze regional unterschiedlich geregelt. Bei den meisten Schlichtungsstellen ist die Berufshaftpflichtversicherung des betroffenen Arztes jedoch Beteiligte des Verfahrens.
Da die Teilnahme am Schlichtungsverfahren für alle Beteiligten freiwillig ist, bedurfte es neben der Einwilligung aller an der Behandlung beteiligten Ärzte auch die der zuständigen Berufshaftpflichtversicherungen. Daher wurden auch in diesem Fall alle zuständigen Berufshaftpflichtversicherungen über den Antrag der Patientin informiert. Nachdem alle beteiligten Ärzte und deren Berufshaftpflichtversicherung zugestimmt hatten, konnte das Schlichtungsverfahren durchgeführt werden.
Der Erstgutachter nahm aufgrund des späteren massiven Befunds an, dass die Patientin zum Zeitpunkt der Behandlung durch den Allgemeinarzt so schwerwiegend erkrankt gewesen sein musste, dass eine Krankenhauseinweisung geboten gewesen wäre und konstatierte einen Behandlungsfehler.
Ob eine bestimmte ärztliche Maßnahme der Diagnostik und/oder Therapie als medizinisch notwendig und ausreichend anzusehen ist, muss jedoch stets im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung, also ex ante, betrachtet werden. Der Gutachter zog hier jedoch unzulässige Schlüsse aus später aufgetretenen Symptomen, die zum Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt waren. Eine sogenannte Ex-post-Betrachtung verbietet sich indes in der Erstellung eines medizinischen Gutachtens.
Hierauf reagierten wir umgehend und erarbeiteten mit dem bei uns versicherten Allgemeinarzt eine umfassende Erwiderung. Wir führten aus, dass der Vortrag des versicherten Arztes in dem Gutachten nicht umfassend gewürdigt worden sei und dieser die Patientin aus der Ex-ante-Sicht korrekt behandelt habe.
Der daraufhin beauftragte Zweitgutachter bestätigte die kritische Erwiderung auf das Erstgutachten in vollem Umfang. Danach musste die Symptomatik der zwei Tage später diagnostizierten Meningoencephalitis zum Zeitpunkt des Hausbesuchs noch nicht derart stark ausgebildet gewesen sein, dass die Verdachtsdiagnose einer Meningoencephalitis hätte gestellt werden müssen. Ein Behandlungsfehler des bei uns versicherten Arztes lag somit nicht vor.
Auch der abschließende Bescheid der Schlichtungsstelle konstatierte kein fehlerhaftes Vorgehen des Arztes.
Fazit
Damit der Lösungsvorschlag der Schlichtungsstelle inhaltlich und juristisch tragfähig und für beide Seiten annehmbar ist, muss der zugrunde liegende Sachverhalt korrekt erfasst und gewürdigt werden. Durch die enge Kooperation zwischen dem versicherten Arzt und den Juristen der Heilwesen-Schadenabteilung konnte der Schadenfall erfolgreich begleitet und abgeschlossen werden. In gemeinsamer Zusammenarbeit können viele Streitigkeiten bereits in der außergerichtlichen Schadenbearbeitung – wie auch im vorliegenden Fall – gelöst werden.
Quelle: Rechtsanwältin Susanne Vlaminck, HDI Versicherung AG, Köln