Hygienefehler vermutet: Kläger erlitt MRSA-Sepsis
Der Kläger begab sich am 3. Dezember 2013 wegen Schmerzen an der Lendenwirbelsäule und Sensibilitätsstörungen am linken Bein in die Notaufnahme des Klinikums der Beklagten. Dort wurde ein venöser Zugang zur Verabreichung intravenöser Medikamente in der rechten Ellenbeuge gelegt. Der Kläger wurde stationär aufgenommen.
Nach einigen Tagen stellten sich Schmerzen, eine Schwellung, Schüttelfrost und Fieber ein. Aufgrund einer Blutabnahme vom 10. Dezember 2013 wurde eine Infektion mit MRSA festgestellt. Als Diagnose wurde unter anderem eine MRSA-Sepsis, am ehesten bei Thrombophlebitis der rechten Ellenbeuge mit oberflächlicher Venenthrombose gestellt. Im weiteren Verlauf breitete sich der Keim über die Blutbahn des Klägers aus.
Der Kläger litt unter septischen Thrombonen in der Lunge und einer Spondylodiszitis (Entzündung des Bandscheibenraums und des angrenzenden Wirbels) mit Abszess im Bereich der Brustwirbelsäule. Die Keime hatten sich an der Wirbelsäule des Klägers festgesetzt und mussten operativ entfernt werden.
Angeblich gegen Hygienestandards verstoßen
Der Kläger behauptet unter anderem, bei der Injektion am 3. Dezember 2013 habe der Arzt keine Handschuhe getragen, keine Handreinigung durchgeführt und eine Spritze verwendet, die ihm zuvor zu Boden gefallen sei. Dadurch sei es zu einer Infektion gekommen.
Das LG München I hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz (unter anderem wegen Verdienstausfall) gerichtete Klage abgewiesen.[1] Das OLG München hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.[2] Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren vor dem Bundesgerichtshof (BGH) weiter.
Revision hat Erfolg
Mit der Begründung des Berufungsgerichts können die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche aus § 280 Absatz 1 BGB in Verbindung mit den auf den streitgegenständlichen Fall anwendbaren Vorschriften der §§ 630a ff., 823 Absatz 1, 253 Absatz 2 BGB nicht verneint werden.
Zwar wird zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger für den behaupteten Behandlungsfehler (§ 630a Absatz 2 BGB) nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast trägt. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kein für die Beklagte vollbeherrschbares Risiko vorlag, wird nach der Beweislastregel des § 630h Absatz 1 BGB kein Behandlungsfehler zugunsten des Klägers vermutet.
Vortrag des Klägers wurde nicht wirksam bestritten
Die Revision beanstandet aber hinsichtlich dieses Aspektes mit Erfolg, dass angenommen worden ist, die Beklagte habe den Vortrag des Klägers – der Arzt habe keine Handschuhe getragen, keine Handreinigung durchgeführt und eine Spritze verwendet, die ihm zuvor zu Boden gefallen sei – ausreichend bestritten.
Diesbezüglich hatte die Beklagte vorgetragen, der venöse Zugang sei durch den Zeugen Dr. R. gelegt worden. Dabei sei es nicht zu den von dem Kläger behaupteten Geschehnissen gekommen, sondern der notwendige Hygienestandard sei korrekt eingehalten worden.
Nachdem sich indes im Zuge der Beweisaufnahme herausgestellt hatte, dass nicht der Zeuge Dr. R., sondern – wovon das Berufungsgericht dann auch ausgeht – eine andere Person die Infusion gelegt hatte, hätte das Berufungsgericht dabei nicht stehen bleiben und von einem wirksamen Bestreiten ausgehen dürfen.
Prozessual hätte auf dieser Grundlage nicht angenommen werden dürfen, dass der Kläger den ihm obliegenden Beweis für einen Behandlungsfehler nicht erbracht habe. Denn unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses lag ein beachtliches Bestreiten nicht (mehr) vor.
Anderenfalls könnte sich der Prozessgegner durch beliebigen, sich als unzutreffend erweisenden Vortrag der obliegenden Erklärungspflicht entledigen, ohne die Folge der Fiktion des Zugeständnisses gemäß § 138 Absatz 3 ZPO gewärtigen zu müssen.
Das ist mit der aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz folgenden Verpflichtung zu einer fairen Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten nicht zu vereinbaren.
Die Beklagte hätte eine Stellungnahme und weitere wesentliche Informationen zur Verfügung stellen müssen
Das OLG München hätte die Beklagte daher unter Hinweis auf ihr nicht beachtliches Bestreiten zur Stellungnahme zu dem bisherigen Beweisergebnis aufforden müssen (§§ 513 Absatz 1 Alternative 1, 525, 139 Absatz 1 ZPO). Das hätte – worauf die Revision zu Recht hinweist – hier umso mehr nahegelegen, als der Zeuge Dr. R. nach den Festellungen ausgesagt hatte, in den Behandlungsunterlagen des Klägers sei die Eintragung bezüglich der Infusion von jemand anderem vorgenommen worden.
Im Übrigen hätte das Berufungsgericht die Beklagte weiter darauf hinweisen müssen, dass sie ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich der durchgeführten Maßnahmen für eine hygienisch einwandfreie Behandlung bisher nicht nachgekommen ist.
Denn die Beklagte verfügt als Betreiberin der Notaufnahme nicht nur über die Behandlungsunterlagen des Klägers, sondern auch – anders als der Kläger, der insoweit außerhalb des Geschehensablaufs steht – über die notwendigen Informationen zu den Maßnahmen, die sie zur Einhaltung der Hygienebestimmungen und zur Infektionsprävention in der Notaufnahme unternommen hat, und zu den dortigen Arbeitsabläufen und ‑anweisungen.
Im Ergebnis ist daher der Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Hinweis:
Gemäß § 23 Absatz 3 Satz 2 IfSG wird die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft im Gebiet der Hygiene vermutet, wenn jeweils die veröffentlichen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und der Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART) beachtet worden sind.
Quelle: BGH vom 24. November 2020 – VI ZR 415/19 = RDG 2020, S. 159 f.
Anmerkungen:
- LG München I vom 15. Mai 2019 – 9 O 21213/16
- OLG München vom 10. September 2019 – 1 U 3170/19