Ein Fall, der von einem Rechtsdepesche-Leser geschildert wurde: In dem Pflegeheim, in dem er als Pflegedienstleiter arbeitet, ist ein Treppenlift angebracht worden, der die Bewohnerinnen und Bewohner bequem über verschiedene Stockwerke transportieren soll.
Die Bewohner können den Treppenlift selbst bedienen, sofern ihnen der Schlüssel ausgehändigt wird. Einem Bewohner, der gerne den Lift benutzen würde, wird die Herausgabe des Schlüssels für den Treppenlift untersagt. Die Hausverwaltung verweigert das, weil der Betroffene augenscheinlich ein erhöhtes Sturzrisiko hat. Der Pflegedienstleiter teilt diese Einschätzung nicht.
Pflegedienstleitung vs. Heimleitung
Zunächst muss die Frage beantwortet werden, ob Pflegedienstleitung oder Heimleitung hier das Sagen haben. Der Pflegedienstleiter hat nach seinem Titel die oberste fachliche Kompetenz in allen pflegerischen Angelegenheiten. Das nachgeordnete Pflegepersonal muss deshalb den Anordnungen der Pflegedienstleitung folgen.
Diese Anordnungsbefugnis steht der Pflegedienstleitung aber nicht gegenüber der Heimleitung zu. Hier ist es umgekehrt: Die Heimleitung hat ein Weisungsrecht gegenüber der Pflegedienstleitung. Dieses Weisungsrecht ist in § 106 Gewerbeordnung geregelt:
§ 106 GewO Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb […].
In diesem Fall hat die Heimleitung zusätzlich auch das Hausrecht. Das bedeutet, sollte es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Heimleitung und Pflegedienstleitung kommen, kann die Heimleitung eine entsprechende Weisung erteilen. Auch wenn die Einschätzung der Pflegedienstleitung eventuell sogar richtig wäre.
Rechte des Bewohners in der Einrichtung
Bleibt die Frage, ob dem Heimbewohner überhaupt die Nutzung des Treppenlifts aus rechtlicher Sicht verboten werden kann.
Wer ein Pflegeheim bezieht, schließt einen Wohn- und Betreuungsvertrag ab, der gesetzlichen Regelungen unterliegt. Durch diesen Vertrag – umgangssprachlich Heimvertrag – überlässt ein Unternehmen dem Verbraucher Wohnraum und verpflichtet sich gewisse Pflege- oder Betreuungsleistungen zu erbringen. Als Gegenleistung bekommt das Unternehmen Geld vom Verbraucher.
Diese Leistungen stellen die sogenannten Hauptpflichten des Heimvertrages dar. Darüber hinaus gibt es allerdings noch vertragliche Nebenpflichten, die sich im Detail nicht im ausgefertigten Heimvertrag wiederfinden lassen.
Sofern im Heimvertrag des dargestellten Falls nicht ausdrücklich ein Nutzungsrecht des Treppenlifts gewährt wird, stellt sich die Frage, ob die Bereitstellung der vorhandenen Hilfsmittel auf Wunsch des Heimbewohners eine solche vertragliche Nebenpflicht darstellt.
Sollte es sich tatsächlich um eine vertragliche Nebenpflicht handeln, wäre ein Verbot der Nutzung des Treppenlifts nicht denkbar.
Pflichten der Einrichtung aus dem Heimrecht
Unabhängig von den konkreten Ausführungen des Heimvertrags müssen beide Vertragsparteien aufeinander Rücksicht nehmen und entsprechende Schutz- und Fürsorgepflichten erfüllen, damit die Vertragsinhalte bestmöglich umgesetzt werden können.
Welche Schutz- und Fürsorgepflichten seitens der Heimleitung bestehen, kann mit Blick auf das Heimrecht beantwortet werden.
§ 2 des Heimgesetz (HeimG) gibt vor, dass die Würde, Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen sind. Außerdem muss die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt werden.
Ergänzend in diesem Zusammenhang schreibt § 11 HeimG vor, dass ein Heim nur dann betrieben werden darf, wenn Träger und Leitung „die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen schützen“ und „die Eingliederung behinderter Menschen fördern“.
Aus diesen Ausführungen könnten sich entsprechende vertragliche Nebenpflichten ergeben, die dem Bewohner die Nutzung des Treppenlifts auf seinen Wunsch ermöglichen.
Treppenlift nur ohne Sicherheitsrisiko benutzen
Da die Gesetzgebungszuständigkeit in Bezug auf Pflegeheime aber bei den Ländern selbst liegt, greifen die Vorgaben des HeimG nur, falls es keine spezifischeren Regelungen auf Länderebene gibt.
Im Wohn- und Teilhabegesetz NRW wird in § 1 Absatz 1 ebenfalls auf die Einhaltung von Würde, Rechten, Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner hingewiesen.
Nach Absatz 4 sollen sie ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können und in der Wahrnehmung ihrer Selbstverantwortung unterstützt werden.
Allerdings sollen die Bewohnerinnen und Bewohner auch vor Gefahren für Leib und Seele geschützt werden.
Eine vertragliche Nebenpflicht zur Gewährung der vorhandenen Hilfsmittel kann für die Einrichtung also höchstens so weit bestehen, dass der Bewohner bei deren Benutzung keinen Gefahren ausgesetzt wird.
Im Zweifel sollte die Fähigkeit des Bewohners zur Bedienung des Treppenlifts ärztlich geklärt und regelmäßig überprüft werden.
Sollte es dann zu einem haftungsrechtlichen Zwischenfall bei der Benutzung des Treppenlifts kommen, hat die Heimleitung ihre Sorgfaltspflichten dennoch gewahrt und ist keiner Haftung ausgesetzt.