Rechtsdepesche: Die Heilkundeübertragungsrichtlinie hat inzwischen auch die Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit passiert und kann nun in Modellvorhaben umgesetzt werden. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Rolf Höfert: Die Kardinalforderung des Deutschen Pflegerates und seiner Mitgliedsverbände ist leider nicht erfüllt, denn die Richtlinie ist lediglich eine berufsrechtliche Norm mit Kompetenzdefinitionen der interdisziplinären Eigen- und Mitverantwortung. Es ist sozusagen ein Modul auf den Weg gegeben worden. Wenngleich es sehr lange gedauert hat – immerhin kann nun endlich eine modellhafte Erprobung der Erweiterung der Pflegeverantwortung erfolgen.
Echte Substitution oder versteckte Delegation?
Rechtsdepesche: Ein Teil der Fachwelt streitet weiterhin darüber, ob es sich bei dem Aufgabenspektrum der Heilkundeübertragungsrichtlinie um eine weitere Spielart der Delegation oder eine echte Substitution ärztlicher Aufgaben handelt. Der Gemeinsame Bundesauschuss (G‑BA) hat diese Frage ja geschickt umgangen. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Höfert: Bereits kurz nach der Veröffentlichung der Heilkundeübertragungsrichtlinie sind die Bundesärztekammer und einige ärztliche Fachgesellschaften vom Weg der Kooperation auf den Kurs der Konfrontation geschwenkt. Ich erkenne in der Richtlinie einen Ansatz zur Verbesserung der Versorgungsstruktur und Leistungsqualität im Sinne der Versicherten – vor allem im ländlichen Bereich. Wir haben es mit einem partnerschaftlichen Instrument auf Augenhöhe zu tun.
Ausweitung der Qualifikation?
Rechtsdepesche: Die Übernahme der Heilkunde im Sinne der Richtlinie soll auch mit einer Ausweitung der Qualifikation der Pflegefachkräfte einhergehen. Kann dies als Zeichen gewertet werden, die Pflegeausbildung zukünftig an Hochschulen zu verorten?
Höfert: Die seit dem 1. März 2012 vorliegenden Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für ein neues Pflegeberufegesetz greifen diesen Punkt ebenfalls auf. Denn hier werden ja auch Tätigkeiten zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde entsprechend denen in § § 63 Absatz 3c SGB V abgebildet. Deutlich tritt der Ansatz hervor, dass die erforderliche Ausbildung im Rahmen einer akademischen Qualifikation erworben werden soll und kann. Darum empfehle ich – bevor wir uns lange in Modellphasen bewegen – möglichst noch in dieser Legislaturperiode das Pflegeberufegesetz zu verabschieden. Warum sollen wir schattenweise Modellprojekte fahren?
Rechtsdepesche: Mit der Übertragung der Heilkunde geht auch eine Veränderung der Verantwortungssphären von Arzt und Pflegekraft einher. Wer haftet, wenn eine heilkundliche Aufgabe von einer Pflegekraft fehlerhaft ausgeführt wird?
Höfert: Viele Aufgaben, die in der Heilkundeübertragungsrichtlinie vorgesehen sind, werden ja bereits jetzt von pflegerischen Experten faktisch wahrgenommen, zum Beispiel im Wundmanagement oder der Diabetesberatung. Die Haftung wird sich auch zukünftig an den Kriterien Organisation, Anordnung und Durchführung ausrichten.
Rechtsdepesche: Halten Sie den bislang angebotenen Versicherungsschutz für ausreichend?
Höfert: Die bisherige Ausrichtung der Haftpflicht ist unter Berücksichtigung der neuen Aufgabenstrukturen auf den Prüfstand zu stellen. Versicherungsrechtlich muss das erhöhte Risiko der erweiterten Aufgabenwahrnehmung unbedingt abgeklärt und abgedeckt sein. Jeder einzelne ist da aufgerufen sich mit seiner Versicherung auseinanderzusetzen. Ohne Frage ist der Versicherungsschutz für alle pflegerische Tätigkeiten von herausragender Bedeutung.
Verändert Heilkundeübertragungsrichtlinie das Verhältnis der Pflegenden untereinander?
Rechtsdepesche: Gesetzt den Fall Modellvorhaben nach § 63 Absatz 3c SGB V würden erfolgreich durchgeführt und in die Regelversorgung übernommen – wie würde sich das Verhältnis der neuen Pflegefachkräfte zu den bisherigen Pflegenden Ihrer Meinung nach gestalten?
Höfert: Es bedarf klarer Organisationsstrukturen und Dienstanweisungen unter Abbildung der verschiedenen Qualifikationen. Letztlich ist der Qualifikationsmix im Pflegedienst aber nichts Neues. Wir haben Pflegewissenschaftler, dreijährig examinierte Pflegekräfte, Case Manager, Pflegeassistenten, Pflegehelfer und andere mehr.
Bei der Organisation des Zusammenwirkens sind die Träger gefordert. Die Vermeidung von Reibungsverlusten liegt schließlich auch in deren Interesse. Als Vertreter des DPV sage ich klar: Die kollegiale Aufstellung der Pflege dürfte in diesem Jahrtausend kein Thema mehr sein.
Rechtsdepesche: Würde die Etablierung von Pflegefachkräften im Sinne der Richtlinie nicht letztlich auch einen weiteren Schritt in Richtung Pflegekammer bedeuten – allein schon um eine Qualitätssicherung zu garantieren?
Höfert: Auf alle Fälle. Das höchste Ziel ist die qualitätsorientierte Versorgung der Bevölkerung und eine berufliche Sicherheit für die Pflegenden. Diese Elemente haben die Idee der Pflegekammer und die erweiterten Aufgabenspektren gemein.
Das Interview führte Michael Schanz.