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Mit Healing Architecture zur schnelleren Genesung?
Wie kann eine angenehme Krankenhaus-Architektur zu mehr Wohlbefinden und einer damit verbundene besseren sowie schnelleren Heilung von Patienten beitragen – und ist das überhaupt möglich? Schon ein Gedankenspiel legt schnell nahe, dass dem tatsächlich so ist: Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen zweiwöchigen Klinikaufenthalt zu absolvieren, mit einer größeren Operation sowie verschiedenen Untersuchungen vor und nach dem Eingriff.
Im ersten Fall sind Sie in einem typischen, zweckmäßig geplanten Klinikgebäude aus den 1960er- oder 1970er-Jahren untergebracht. Die komplette Einrichtung ist weiß gehalten und sichtlich in die Jahre gekommen. Auf der Station blickt man auf lange fensterlose Flure, das Mobiliar im Zimmer ist lieblos und eckig-kantig, und es gibt lediglich kaltes, grelles Licht von den Neonröhren an der Decke. Die Geräuschkulisse besteht aus den Schritten der Ärzte- und Pflegeteams auf den Fliesenböden der Station, den durch die Flure hallenden Gesprächsfetzen und der in den Krankenzimmern vor sich hin piepsenden Apparaturen. In der Luft hängt der Geruch von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln.
Anders im zweiten Szenario: Diesmal geht es in ein vor wenigen Jahren erbautes Bettenhaus. Noch bevor man im Gebäude ist, fühlt man sich willkommen: Die Fassade des abgerundeten, aufgelockerten Baus besteht aus einem Materialmix aus Glas, Holz und Beton und weist bunte Farbakzente auf. Vor dem Eingang liegt ein großer Springbrunnen; ringsherum blickt man ins Grüne. Auf der zugewiesenen Abteilung angekommen, bestätigt sich der positive Eindruck: Sofort erleichtern Wegweiser die Orientierung und das Ankommen; auf den Gängen gibt es Gemälde und kleine Skulpturen, es finden sich Pflanzen und kleine Wasserspiele wieder, eine große Wand ist sogar komplett begrünt. Im Zimmer dominieren angenehme, warme Farben; die Arbeitsgeräusche auf der Station werden durch einen schalldämpfenden Bodenbelag gemindert.
Ganz leicht ist ein dezenter Blütenduft in der Raumluft wahrnehmbar. In einem eigenen Entspannungs- und Ruheraum lässt sich auf bequemen Sitzkissen bei einem Heiß- oder Kaltgetränk, leiser Musik aus der Akustikwand und einem Buch aus der stationseigenen Bibliothek abschalten. Die Atmosphäre scheint auch auf die übrigen Patienten und das Stationsteam abzustrahlen: Alle wirken wesentlich entspannter und weniger gestresst, als man es von vergangenen Krankenhaus-Aufenthalten oder ‑Besuchen her kennt.
In welcher dieser zwei Einrichtungen könnten Sie sich vorstellen, sich wohler zu fühlen, weniger Angst vor den medizinischen Eingriffen zu haben und letztlich schneller gesund zu werden? – Die Antwort dürfte auf der Hand liegen.
Wegweisende US-Studie aus dem Jahr 1984
Bereits seit Jahrzehnten ist der Einfluss der Umgebung auf den Heilungs- und Genesungsprozess von Patienten belegt. Im Jahr 1984 veröffentlichte der US-amerikanische Architekturprofessor Roger S. Ulrich seine berühmt gewordene Studie [PDF], wonach der Ausblick aus dem Zimmerfenster einen Einfluss auf die Verweildauer im Klinikum hat: Im untersuchten Fall blickte eine Gruppe von Patienten aus ihrem Krankenzimmer auf einen Park mit Bäumen, die andere (welche eine identische Operation hinter sich hatte) auf die nackte Betonmauer des Nachbargebäudes. Diejenigen Patienten, die ins Grüne blicken konnten, benötigten weniger mittelstarke und starke Schmerzmittel, ihr Zustand wurde von den Krankenpflegern als besser beurteilt, sie erlitten geringfügig weniger kleinere postoperative Komplikationen – und konnten das Klinikum letztlich früher verlassen als die Vergleichsgruppe. Inzwischen gibt es eine Reihe von Studien, die Ulrichs Befunde bestätigten.
Der Begriff der „Healing Architecture“, der bei der Heilung unterstützenden Architektur, wurde 2009 von Anne Kathrine Frandsen und Prof. Michael Mullis von der Universität im dänischen Aalborg entscheidend geprägt. Seit dem vergangenen Jahrzehnt ist der Einfluss von „gesunder“ Architektur auf den Heilungs- und Genesungsprozess verstärkt ins Blickfeld geraten. An der Technischen Universität (TU) Berlin gibt es einen eigenen Lehrstuhl hierfür, sowie auch Unternehmen, die sich gezielt mit Healing Architecture befassen.
Klinikum Landshut setzte „Healing Architecture“-Konzept beim Bettenhaus-Neubau um
„Das Patientenzimmer der Zukunft wird eher einem angenehmen Hotelzimmer gleichen, einerseits mit einem ansprechenden Design, das Ruhe und Wohlfühlatmosphäre bietet, dann aber auch mit einer Vielzahl technischer Hilfsmittel und Highlights sowie den medizinischen und hygienischen Standards“, prognostizierte die Fachzeitschrift „Management & Krankenhaus“ im Jahr 2020. Empfehlenswert sei es etwa, geschützte Ruhe-Oasen einzurichten, eventuell auch draußen – etwa im Garten oder auf der Dachterrasse –, sowie urwüchsige, naturnahe Materialien wie Stein, Ziegel, Holz oder Bronze in der Einrichtung zu verwenden. Die Healthcare-Kommunikationsagentur Remy & Remy definierte Anfang dieses Jahres als Leitlinien einer „Healing Architecture“ die „heilenden Sieben“: eine klare Orientierung innerhalb der Räume, eine angenehme Geruchskulisse, eine freundliche Geräuschkulisse, Räume für Privatsphäre und Rückzug, „Power Points“ in Form von Entspannungsräumen und ‑inseln, ein Weitblick ins Grüne mit viel Tageslicht, sowie natürliche Materialien wie Holz in Verbindung mit harmonischen Proportionen.
Ein gelungenes, in die Tat umgesetztes Projekt eröffnete vor kurzem im niederbayerischen Landshut: Nach einer knapp zehnjährigen Planungs- und Bauphase eröffnete das 222 Plätze bietende Bettenhaus des städtischen Klinikums, dessen Architektin Prof. Christine Nickl-Weller gezielt auf Aspekte der „Healing Architecture“ setzte: etwa große Panoramafenster, lichtdurchflutete Räumlichkeiten und funktionale Arbeitsbereiche mit kurzen Wegen, Licht- und Farbkonzepte sowie eine Neugestaltung der Grünanlagen mit mehr Aufenthaltsqualität für Patienten und Personal. In den kommenden Jahren soll nach gleichem Prinzip auch das zweite Bettenhaus des Klinikums mit 132 Plätzen neu erbaut werden.