Healing Architecture
Die Gestal­tung eines Kranken­hau­ses hat maßgeb­li­chen Einfluss darauf, wie schnell die Patien­ten gesund werden. Bild: © Lenar Nigma­tul­lin | Dreamstime.com

Mit Healing Archi­tec­ture zur schnel­le­ren Genesung?

Wie kann eine angenehme Kranken­haus-Archi­tek­tur zu mehr Wohlbe­fin­den und einer damit verbun­dene besse­ren sowie schnel­le­ren Heilung von Patien­ten beitra­gen – und ist das überhaupt möglich? Schon ein Gedan­ken­spiel legt schnell nahe, dass dem tatsäch­lich so ist: Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen zweiwö­chi­gen Klinik­auf­ent­halt zu absol­vie­ren, mit einer größe­ren Opera­tion sowie verschie­de­nen Unter­su­chun­gen vor und nach dem Eingriff.

Im ersten Fall sind Sie in einem typischen, zweck­mä­ßig geplan­ten Klinik­ge­bäude aus den 1960er- oder 1970er-Jahren unter­ge­bracht. Die komplette Einrich­tung ist weiß gehal­ten und sicht­lich in die Jahre gekom­men. Auf der Station blickt man auf lange fenster­lose Flure, das Mobiliar im Zimmer ist lieblos und eckig-kantig, und es gibt ledig­lich kaltes, grelles Licht von den Neonröh­ren an der Decke. Die Geräusch­ku­lisse besteht aus den Schrit­ten der Ärzte- und Pflege­teams auf den Fliesen­bö­den der Station, den durch die Flure hallen­den Gesprächs­fet­zen und der in den Kranken­zim­mern vor sich hin piepsen­den Appara­tu­ren. In der Luft hängt der Geruch von Reini­gungs- und Desin­fek­ti­ons­mit­teln.

Anders im zweiten Szena­rio: Diesmal geht es in ein vor wenigen Jahren erbau­tes Betten­haus. Noch bevor man im Gebäude ist, fühlt man sich willkom­men: Die Fassade des abgerun­de­ten, aufge­lo­cker­ten Baus besteht aus einem Materi­al­mix aus Glas, Holz und Beton und weist bunte Farbak­zente auf. Vor dem Eingang liegt ein großer Spring­brun­nen; rings­herum blickt man ins Grüne. Auf der zugewie­se­nen Abtei­lung angekom­men, bestä­tigt sich der positive Eindruck: Sofort erleich­tern Wegwei­ser die Orien­tie­rung und das Ankom­men; auf den Gängen gibt es Gemälde und kleine Skulp­tu­ren, es finden sich Pflan­zen und kleine Wasser­spiele wieder, eine große Wand ist sogar komplett begrünt. Im Zimmer dominie­ren angenehme, warme Farben; die Arbeits­ge­räu­sche auf der Station werden durch einen schall­dämp­fen­den Boden­be­lag gemin­dert.

Ganz leicht ist ein dezen­ter Blüten­duft in der Raumluft wahrnehm­bar. In einem eigenen Entspan­nungs- und Ruheraum lässt sich auf beque­men Sitzkis­sen bei einem Heiß- oder Kaltge­tränk, leiser Musik aus der Akustik­wand und einem Buch aus der stati­ons­ei­ge­nen Biblio­thek abschal­ten. Die Atmosphäre scheint auch auf die übrigen Patien­ten und das Stati­ons­team abzustrah­len: Alle wirken wesent­lich entspann­ter und weniger gestresst, als man es von vergan­ge­nen Kranken­haus-Aufent­hal­ten oder ‑Besuchen her kennt.

In welcher dieser zwei Einrich­tun­gen könnten Sie sich vorstel­len, sich wohler zu fühlen, weniger Angst vor den medizi­ni­schen Eingrif­fen zu haben und letzt­lich schnel­ler gesund zu werden? – Die Antwort dürfte auf der Hand liegen.

Wegwei­sende US-Studie aus dem Jahr 1984

Bereits seit Jahrzehn­ten ist der Einfluss der Umgebung auf den Heilungs- und Genesungs­pro­zess von Patien­ten belegt. Im Jahr 1984 veröf­fent­lichte der US-ameri­ka­ni­sche Archi­tek­tur­pro­fes­sor Roger S. Ulrich seine berühmt gewor­dene Studie [PDF], wonach der Ausblick aus dem Zimmer­fens­ter einen Einfluss auf die Verweil­dauer im Klini­kum hat: Im unter­such­ten Fall blickte eine Gruppe von Patien­ten aus ihrem Kranken­zim­mer auf einen Park mit Bäumen, die andere (welche eine identi­sche Opera­tion hinter sich hatte) auf die nackte Beton­mauer des Nachbar­ge­bäu­des. Dieje­ni­gen Patien­ten, die ins Grüne blicken konnten, benötig­ten weniger mittel­starke und starke Schmerz­mit­tel, ihr Zustand wurde von den Kranken­pfle­gern als besser beurteilt, sie erlit­ten gering­fü­gig weniger kleinere postope­ra­tive Kompli­ka­tio­nen – und konnten das Klini­kum letzt­lich früher verlas­sen als die Vergleichs­gruppe. Inzwi­schen gibt es eine Reihe von Studien, die Ulrichs Befunde bestä­tig­ten.

Der Begriff der „Healing Archi­tec­ture“, der bei der Heilung unter­stüt­zen­den Archi­tek­tur, wurde 2009 von Anne Kathrine Frand­sen und Prof. Michael Mullis von der Univer­si­tät im dänischen Aalborg entschei­dend geprägt. Seit dem vergan­ge­nen Jahrzehnt ist der Einfluss von „gesun­der“ Archi­tek­tur auf den Heilungs- und Genesungs­pro­zess verstärkt ins Blick­feld geraten. An der Techni­schen Univer­si­tät (TU) Berlin gibt es einen eigenen Lehrstuhl hierfür, sowie auch Unter­neh­men, die sich gezielt mit Healing Archi­tec­ture befas­sen.

Klini­kum Lands­hut setzte „Healing Architecture“-Konzept beim Betten­haus-Neubau um

„Das Patien­ten­zim­mer der Zukunft wird eher einem angeneh­men Hotel­zim­mer gleichen, einer­seits mit einem anspre­chen­den Design, das Ruhe und Wohlfühl­at­mo­sphäre bietet, dann aber auch mit einer Vielzahl techni­scher Hilfs­mit­tel und Highlights sowie den medizi­ni­schen und hygie­ni­schen Standards“, prognos­ti­zierte die Fachzeit­schrift „Manage­ment & Kranken­haus“ im Jahr 2020. Empfeh­lens­wert sei es etwa, geschützte Ruhe-Oasen einzu­rich­ten, eventu­ell auch draußen – etwa im Garten oder auf der Dachter­rasse –, sowie urwüch­sige, natur­nahe Materia­lien wie Stein, Ziegel, Holz oder Bronze in der Einrich­tung zu verwen­den. Die Health­care-Kommu­ni­ka­ti­ons­agen­tur Remy & Remy definierte Anfang dieses Jahres als Leitli­nien einer „Healing Archi­tec­ture“ die „heilen­den Sieben“: eine klare Orien­tie­rung inner­halb der Räume, eine angenehme Geruchs­ku­lisse, eine freund­li­che Geräusch­ku­lisse, Räume für Privat­sphäre und Rückzug, „Power Points“ in Form von Entspan­nungs­räu­men und ‑inseln, ein Weitblick ins Grüne mit viel Tages­licht, sowie natür­li­che Materia­lien wie Holz in Verbin­dung mit harmo­ni­schen Propor­tio­nen.

Ein gelun­ge­nes, in die Tat umgesetz­tes Projekt eröff­nete vor kurzem im nieder­baye­ri­schen Lands­hut: Nach einer knapp zehnjäh­ri­gen Planungs- und Bauphase eröff­nete das 222 Plätze bietende Betten­haus des städti­schen Klini­kums, dessen Archi­tek­tin Prof. Chris­tine Nickl-Weller gezielt auf Aspekte der „Healing Archi­tec­ture“ setzte: etwa große Panora­ma­fens­ter, licht­durch­flu­tete Räumlich­kei­ten und funktio­nale Arbeits­be­rei­che mit kurzen Wegen, Licht- und Farbkon­zepte sowie eine Neuge­stal­tung der Grünan­la­gen mit mehr Aufent­halts­qua­li­tät für Patien­ten und Perso­nal. In den kommen­den Jahren soll nach gleichem Prinzip auch das zweite Betten­haus des Klini­kums mit 132 Plätzen neu erbaut werden.