Hayder zum Harnkontinenz-Expertenstandard
Pflege­wis­sen­schaft­le­rin Daniela Hayder erläu­tert den Exper­ten­stan­dard „Förde­rung der Harnkon­ti­nenz in der Pflege“.

Die jüngste Veröf­fent­li­chung des Deutschen Netzwerks für Quali­täts­ent­wick­lung in der Pflege (DNQP) – der Exper­ten­stan­dard „Förde­rung der Harnkon­ti­nenz in der Pflege“ – wurde zum Anlass genom­men, sowohl über Hinter­gründe und Umset­zungs­mög­li­chen als auch über die hiermit im Zusam­men­hang stehen­den haftungs- und sozial­recht­li­chen Aspekte zu infor­mie­ren.

Exper­ten­stan­dard zur Harnkon­ti­nenz: Neue Inhalte, neue Instru­mente, neue Imple­men­ta­tion

Die Imple­men­tie­rung eines natio­na­len Exper­ten­stan­dards in die Organi­sa­ti­ons­wirk­lich­keit fällt in den Aufga­ben­be­reich des Quali­täts­ma­nage­ments. Welcher Schritte es hierzu bedarf, erläu­terte Dipl.-Pflegewirt Sascha Saßen. Beson­de­res Augen­merk sei dabei auf die Folge­pro­gramme zu richten, durch die eine Imple­men­tie­rung erst ihre volle Wirkung entfal­tet. Vorran­gig sei dabei die syste­ma­ti­sche Schulung der Mitar­bei­ter in Bezug auf die neuen Verfah­rens­re­geln zu nennen. Die Feststel­lung der Wirksam­keit erfolgt hinge­gen durch zeitgleich einzu­füh­rende Control­ling-Maßnah­men.

Die Pflege­wis­sen­schaft­le­rin Daniela Hayder von der Univer­si­tät Witten/Herdecke war an der Gestal­tung des Exper­ten­stan­dards maßgeb­lich betei­ligt. Sie berich­tete nicht nur über seine Entste­hungs­ge­schichte, sondern gab auch dedizierte Hinweise zu spezi­fi­schen Förder­mög­lich­kei­ten. Beson­de­ren Stellen­wert in der Arbeit mit unter Harnin­kon­ti­nenz leiden­den Menschen nimmt dabei die diffe­ren­zierte Einschät­zung („Assess­ment“) ein, zu der die Ermitt­lung des sogenann­ten Konti­nenz­pro­fils gehört, also der Grad des perso­nel­len und materi­el­len Unter­stüt­zungs­be­darfs des Betrof­fe­nen.

Sascha Saßen bei seinem Vortrag
Dipl.-Pflegewirt Sascha Saßen erläu­tert die Schritte zur Imple­men­tie­rung eines Exper­ten­stan­dards in die eigene Organi­sa­tion.

Auch Prof. Dr. Ingo Füsgen, Ärztli­cher Direk­tor der geria­tri­schen Klini­ken St. Antonius in Wupper­tal, forderte in seinem Vortrag die durch­gän­gige Anwen­dung eines solchen Assess­ments sowie den Einsatz entspre­chend quali­fi­zier­ter Pflege­kräfte. Seiner Ansicht nach stellt die Pflege von inkon­ti­nen­ten Bewoh­nern und Patien­ten – vor allem in der häufig unter­schätz­ten Kombi­na­tion von Stuhl- und Harnin­kon­ti­nenz – eine der zentra­len Heraus­for­de­run­gen dar.

Unter­su­chun­gen in zwei Heimein­rich­tun­gen zeigten beispiels­weise, dass dort jeder zweite Pflege­be­dürf­tige und jeder vierte Bewoh­ner über 80 Jahre unter Inkon­ti­nenz leidet. Andere Studien brach­ten zudem eine enge Verbin­dung zur Multi­mor­bi­di­tät, zu Verän­de­run­gen von Krank­heits­ver­läu­fen hinsicht­lich des Schwe­re­gra­des und zur Erhöhung von Kranken­haus- und Pflege­heim­auf­nah­men zutage.

Förde­rung der Harnkon­ti­nenz als Schutz vor Stürzen

Ein völlig anderes Problem­feld beleuch­tete Marco Di Bella, studen­ti­scher Mitar­bei­ter von Prof. Dr. Volker Großkopf an der Katho­li­schen Fachhoch­schule NW in Köln und Redak­ti­ons­mit­glied bei der Fachzeit­schrift „Rechts­de­pe­sche für das Gesund­heits­we­sen“: So habe die Unter­su­chung von über 60 haftungs­recht­li­chen Gerichts­ent­schei­dun­gen mit nahezu 80 Stürzen von Patien­ten bzw. Bewoh­ner zu der Erkennt­nis geführt, dass mehr als jedes vierte Sturz­ge­sche­hen in einem Kranjen­haus bzw. Alten-/Pfle­ge­heim in Verbin­dung mit einem Gang zur Toilette steht. Die Maßnah­men zur Förde­rung der Harnkon­ti­nenz und die damit verbun­dene Eindäm­mung des Sturz­ri­si­ko­fak­tors können somit durch­aus als taugli­che Instru­mente des Risiko­ma­nage­ments zur Vermei­dung einer haftungs­recht­li­chen Inanspruch­nahme angese­hen werden.

Die Brisanz dieser Thema­tik wurde in der anschlie­ßen­den und äußerst rege geführ­ten Diskus­si­ons­runde unter der Modera­tion von Prof. Dr. Großkopf deutlich.

Stich­wort: Hilfs­mit­tel

Die sozial­recht­lich­ten Aspekte der Bereit­stel­lung von Inkon­ti­nenz­pro­duk­ten als Leistung der Kranken­kas­sen wurde von Dr. Elke Mohr darge­stellt. Die erfah­rene Medizi­ne­rin und langjäh­rige Mitar­bei­te­rin des MDK zeigte nicht nur den Weg eines solchen Produk­tes in das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis der Kranken­kasse auf, sondern erläu­terte darüber hinaus die Anspruchs­grund­la­gen der Versi­cher­ten.

Die sozio­öko­no­mi­sche Bedeu­tung der Inkon­ti­nenz­er­kran­kun­gen für Deutsch­land verdeut­lichte Dr. Chris­tiane von Reibnitz in ihrem abschlie­ßen­den Vortrag: So sind in Deutsch­land rund 11 Mio. Menschen von Inkon­ti­nenz betrof­fen, und die Finan­zie­rung der Hilfs­mit­tel steht vor erheb­li­chen Verän­de­run­gen. Mit dem im April 2007 in Kraft treten­den Wettbe­werbs­stär­kungs­ge­setz werden dann unter anderem auch für Inkon­ti­nenz­pro­dukte Festbe­träge Gültig­keit erlan­gen.