Rechtsdepesche: Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Handynacken“ und was ist damit aus medizinischer Sicht gemeint?
Prof. Dr. Bernd Kladny: Beim Handynacken geht es um Beschwerden aufgrund einer Überlastungssituation mit Muskelverspannung im Bereich der Schulter-Nacken-Region. Das kennen wir schon von Menschen, die zum Beispiel im Büro arbeiten. Heute hat man erkannt, dass es zu ähnlichen Belastungssituationen kommt, wenn Menschen ihr Handy oder ähnliche Geräte lange sehr unkontrolliert verwenden. Wir benutzen ja – wenn man Statistiken glauben darf – mehrere Stunden am Tag ein Smartphone oder Tablet und wenn wir den Kopf nach vorne neigen, dann muss die Muskulatur deutlich mehr Gewicht stabilisieren. Der Kopf wird nicht schwerer, aber wegen der Hebelgesetze müssen die Muskeln mehr Kraft aufbringen, um das Gewicht zu stabilisieren. Wenn sie aber so viel Kraft aufbringen müssen, wird die Muskulatur stark angespannt. Dadurch kann es aber zu Durchblutungsstörungen kommen. Das quittiert der Körper dann mit Schmerzen.
Der Handynacken ist keine Volkskrankheit
Rechtsdepesche: Immer mehr Menschen in Deutschland und in der Welt haben mit solchen Schmerzen in der Schulter-Nacken-Region zu tun. Ist der Handynacken für sie deshalb schon eine Volkskrankheit?
Kladny: Nein. Es ist ja so, wenn Menschen Schmerzen haben, dann ändern sie ja in der Regel erstmal was. Der Mensch merkt also, dass ihm etwas weh tut und dann sollte er erkennen, was das Problem ist und dran arbeiten. Wir haben als Einweisungsdiagnose das Thema Handynacken in den letzten Jahren nicht gehabt. Das heißt, es scheint nicht so zu eskalieren, dass es dann ambulant nicht mehr beherrschbar ist. Eine genaue Statistik dazu bekommt man somit auch nicht, weil der Handynacken als Diagnose nicht festgehalten wird.
Sondern er wird als Schulter-Nacken-Syndrom festgehalten oder als Verschleißerscheinung im Bereich der Halswirbelsäule und dergleichen mehr. Aber es gibt keine Position in der internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD), die „Handynacken“ heißt. Das heißt, es ist deshalb keine Volkskrankheit, weil die Leute – anders wie bei Gelenkverschleiß, Osteoporose – nicht massenhaft in den Praxen aufschlagen. Aber die Berichterstattung über den Handynacken und das Thema allgemein soll die Menschen sensibilisieren: Wenn sie Schmerzen haben, hat das einen Grund und dagegen kann ich was tun.
Rechtsdepesche: Wann werden akute Schmerzen chronisch und woraus ergibt sich Handlungsbedarf für Betroffene?
Kladny: Wenn sie an der Halswirbelsäule manifeste Schäden erreichen wollen, dann sprechen wir von einem Prozess, der nicht über Wochen oder Monate geht, sondern über Jahre. Wir wissen ja aus anderen Bereichen, dass körperliche Arbeit von der Wirbelsäule schon ganz gut toleriert wird. Wenn wir hier Verschleißerscheinungen gesichert mit körperlicher Arbeit in Verbindung bringen können – und nicht mit dem Alter -, dann muss das schon über Jahre gehen, mit sehr sehr hohen Belastungen.
Und das ist beim Handy genau dasselbe. Durch Zwangshaltungen wie beim Handynacken werden sämtliche Strukturen an der Wirbelsäule nicht mehr so gut durchblutet. Das betrifft die Bandscheiben, die Gelenke und die Muskulatur. Die Wirbelsäule muss aber bewegt werden, damit die Gelenke sozusagen durchgeschmiert werden und wenn die auf Dauer in einer Zwangshaltung verharren, können die in ihrer Bewegung eingeschränkt werden.
Das Wichtigste: Selbst aktiv werden
Rechtsdepesche: Wann sollte man bei Beschwerden aktiv werden?
Kladny: Wenn sie Schmerzen haben, müssen sie sich erst mal die Frage stellen: Woher kommt der Schmerz und kann ich dagegen etwas tun? Und wenn sie nach längerer Handynutzung merken, dass sie Schmerzen haben, dann wissen sie, da ist etwas passiert, was dem Körper so nicht gefällt. Und dann muss man eben anfangen, etwas zu ändern, wie zum Beispiel die Handynutzung einschränken oder das Handy auch mal ausschalten. Oder auch einfach versuchen Zwangshaltungen zu vermeiden.
Wenn jemand schon Probleme am Handy hat, dann sollte diese Person zumindest versuchen, in anderen Bereichen wie beim Verwenden eines PCs nicht die gleichen Fehler zu machen. Das heißt Bildschirme richtig platzieren, um nicht nach unten zu gucken, und zwischendurch auch mal bewegen. In der Regel ist der Schmerz sehr niedrigschwellig. Wenn die Person etwas dagegen tut, sollte der Schmerz auch weggehen. Wenn die Beschwerden aber nach wenigen Tagen nicht weggehen, dann sollte man zum Arzt gehen. Insbesondere, wenn der Schmerz auch ausstrahlt in Verbindung mit Gefühlsstörungen, weil dann könnte auch etwas anderes dahinterstecken.
Rechtsdepesche: Welche Behandlungsmöglichkeiten sind ihrer Meinung nach die wirksamsten?
Kladny: Das allerwichtigste ist selbst etwas dafür zu tun. Jede Form von Bewegung ist gut, Hauptsache es macht Spaß. Auch Wärmeeinwirkung ist hilfreich, weil die dazu führt, dass sich die Muskulatur lockert. Durch die Wärme werden außerdem die Gefäße geöffnet und dadurch werden die Muskeln auch wieder besser durchblutet. Das sind alles Dinge, die man sehr gut zu Hause machen kann.
Wenn das nicht hilft, kann man zu reizzustandhemmenden Medikamenten greifen, wie zum Beispiel Ibuprofen, das ist ja frei verfügbar. Wenn auch das alles nicht hilft, würde ich zunächst eine ärztliche Abklärung machen lassen, nicht dass doch etwas ernstes dahintersteckt. Erst danach würde man nach der entsprechenden Diagnose eine Therapie durchführen. Es kann sein, dass die Muskeln zu schwach sind und die erst mal gestärkt werden müssen. Es kann aber auch sein, dass die Bewegung des Patienten eingeschränkt ist, dann muss die verbessert werden. Welche Therapieform hilft, hängt von den Befunden des jeweiligen Patienten ab.
Bewegung, die Spaß macht
Rechtsdepesche: Bewegung ist wichtig gegen den Handynacken. Doch welche Sportarten sind besonders wirksam und welche sogar schädlich?
Kladny: Es geht gar nicht so sehr um das Thema Sport, weil da ist ja immer so ein Leistungscharakter dabei. Man will sich messen mit jemandem oder ich messe mich mit mir selbst. Es geht aber einfach um Bewegung. Da ist es günstig, wenn wir eine Ganzkörperbelastung haben, also Spazierengehen, Nordic Walking oder Schwimmen. Beim Fahrradfahren sollte man – gerade bei Nackenschmerzen – darauf achten, aufrecht zu sitzen.
Und beim Schwimmen eher Kraul als Brustschwimmen, weil sie hier sonst vermehrt den Hals nach hinten kippen müssen. Man sollte sich eine Art der Bewegung suchen, die einem Spaß macht, die man gut und schmerzfrei umsetzen kann. Was dagegen immer ungünstig ist, sind unkontrollierte Belastungen. Am besten ist aber etwas, was nicht nur die Halswirbelsäule adressiert, sondern den ganzen Körper und die ganze Muskulatur.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Prof. Dr. Bernd Kladny ist Chefarzt der Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie an der Fachklinik Herzogenaurach und stellvertretender Generalsekretär der deutschen Gesellschaft für Orthopädie (DGOU) und Unfallchirurigie. Außerdem ist er Generalsektretär der deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC). Als Experte für die nicht operative Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen kennt er sich mit dem Thema Handynacken bestens aus.