Bereits im März hat die Redaktion der Rechtsdepesche über die Klage des ehemaligen Schülers, der im Sportunterricht den Zusammenbruch erlitt, berichtet. Nachdem die Klage vom Landgericht Wiesbaden abgelehnt wurde und auch vor dem Berufungsgericht erfolglos blieb, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) über diesen Fall zu urteilen (Az.: III ZR 35/18). Von besonderer Bedeutung war in diesem Verfahren die Frage, inwieweit Sportleherer für fehlerhafte Erste-Hilfe-Maßnahmen haften müssen. Grundsätzlich gilt nämlich für Nothelfer, die in zufälligen Situationen Erste-Hilfe-Maßnahmen ergreifen, ein Haftungsprivileg. Der Gesetzgeber erkennt dieses zivilcouragierte Engagement an, indem er dem Nothelfer nur die Verantwortung für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Fehlverhalten auferlegt.
Anders hingegen verhält es sich etwa für Nothelfer mit medizinischer Ausbildung, da für diese das oben beschriebene Haftungsprivilieg nicht gilt!
Zum Hergang: 18-Jähriger bricht zusammen und erleidet einen hypoxischen Hirnschaden
Im Sportunterricht einer 13. Jahrgangsstufe kam es bei einem 18-jährigen Schüler fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings zu einem Zusammenbruch. Nachdem die Sanitäter und der Notarzt eintrafen und Reanimationsmaßnahmen vornahmen, wurde der Schüler beatmet und intubiert in eine Klinik gebracht. Laut dem Klinikbericht heißt es, dass er beim Eintreffen des Notarztes bereits 8 Minuten lang bewusstlos ohne jegliche Laienreanimation gewesen sei. Der 18-Jährige erlitt einen hypoxischen Hirnschaden nach Kammerflimmern und zudem kam es zu weiteren teils lebensgefährlichen Erkrankungen während der stationären Behandlung. Seit Oktober 2013 ist er zu 100 Prozent als schwerbehindert anerkannt. Der Vorfall trug sich im Januar 2013 zu.
Der Schüler klagte vor dem Landgericht Wiesbaden und behauptet, dass der hypoxische Hirnschaden wegen mangelnder Sauerstoffversorgung des Gehirns Folge der unterlassenen Reanimationsmaßnahmen durch die Sportlehrerin und einer weiteren Lehrkraft sei. Als der Schüler den Zusammenbruch erlitt, stellte er sich an die Seitenwand der Sporthalle und sackte dort in eine Sitzposition hinunter und reagierte nicht mehr auf Ansprache. Die Sportlehrerin alarmierte um 15:27 den Notarzt und wurde gefragt, ob der Schüler noch atme. Sie befragte dazu die Schüler, die Antwort ist streitig. Der Rettungswagen traf um 15:32 Uhr, der Notarzt um 15:35 Uhr ein. Die Sanitäter und der Notarzt begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, die ungefähr 45 Minuten dauerten. Der Betroffene ist der Ansicht, dass es nicht zu dem Hirnschaden gekommen wäre, wenn im Rahmen der Erste-Hilfe-Versorgung eine Atemkontrolle vorgenommen und nach dem festgestellten Atemstillstand eine Reanimation durch Herzdruckmassage und Atemspende durchgeführt worden wäre.
Anspruchbegehren auf 500.000 Euro Schmerzensgeld
Er verlangte daher ein Schmerzensgeld von mindestens 500.000 Euro, die Erstattung materieller Schäden in Höhe von 102.999,68 Euro, eine monatliche Mehrbedarfsrente von 3.078 Euro sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Landes für künftige Schäden.
Die Klage wurde vom Landgericht Wiesbaden (Az.: 5 O 201/15) nach Vernehmung von Zeugen abgewiesen, ebenso wie die darauffolgende Berufung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt (Az.: 1 U 7/17). Als Begründung wurde angeführt, dass nicht klar sei, ob die Amtspflicht zur erforderlichen Erste-Hilfe verletzt worden sei. Die Beweisaufnahme habe nicht Klarheit darüber gegeben, ob die Atmung bereits vor Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt habe.
Klage hätte nicht abgelehnt werden dürfen
Die Revision wurde vom III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassen. Dabei wurde das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und zu einer neuen Verhandlung an das Berufungsgericht verwiesen. Der Schadensersatzanspruch des Klägers sei nach dem aktuellen Stand nicht unbegründet, zur Klärung des Streitfalls seien weitere beweisaufklärende Maßnahmen erforderlich.
Der Antrag des ehemaligen Schülers zielte darauf ab, den genauen Zeitpunkt des Atemstillstandes festzustellen, wonach ein Urteil darüber, ob durch unterlassene Erste-Hilfe-Maßnahmen ein pflichtwidriges Verhalten der anwesenden Sportlehrer vorliegt, möglich wäre. Revisionsrechtlich sei zugunsten des Klägers ein solches Verhalten der Lehrkräfte zu unterstellen gewesen.
Unstrittig sind dabei die Angaben des Einsatzprotokolls des Rettungspersonals, in welchem das Ausmaß des Hirnschadens und weitere Befunde, wie die Sauerstoffkonzentration im Blut, beim Patienten detailliert dokumentiert wurden. Es sei durchaus möglich, dass ein weiterer Sachverständiger anhand dieser Angaben genauere Aussagen zum Geschehen vor Ort tätigen kann. Erst wenn das unterstellte Versäumnis der Erste-Hilfe-Maßnahmen definitiv auszuschließen ist, darf der Schadensersatzantrag des Klägers abgewiesen werden.
Zwei wichtige Entscheidungen hat der BGH in diesem Fall getroffen:
- Die im Arzthaftungsrecht entwickelte Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten ist nicht auf diesen Fall anwendbar. Grund dafür ist, dass Erste-Hilfe-Maßnahmen nicht zu den Hauptpflichten der Sportlehrkräften gehören. Das Verletzen einer Nebenpflicht rechtfertigt keine Beweislastumkehr, auch nicht bei einer solch groben Fahrlässigkeit. Das heißt, nicht der Beklagte (der Sportlehrer) muss die Nichtursächlichkeit der unterlassenen Hilfe-Leistungen für den gesundheitlichen Schaden des Schülers beweisen, sondern der Schüler muss einen entsprechenden Kausalitätsnachweis dafür erbringen, dass die Pflichtverletzungen ursächlich für den Schaden waren.
- Das Haftungsprivileg für Nothelfer greift nicht für Sportlehrer: Nach § 839 BGB, Artikel 34 GG müsste das angeklagte Land im Fall grober Fahrlässigkeit für die Folgen haften. Allerdings besteht in diesem Fall kein Anspruch auf das Haftungsprivileg für Nothelfer. § 680 schützt normalerweise diejenigen, die in einer spontanen Notsituation Erste-Hilfe leisten und dabei aber möglicherweise den Schaden durch falsch angewandte Mittel erhöhen, da in einer solchen Situation oftmals keine Zeit für gut überlegtes Handeln bleibt. Im Prozess des ehemaligen Schülers sind die Sportlehrkräfte allerdings nicht mit einer spontan bei einem Unglück hilfeleistenden Person zu vergleichen. Sie haben die Amtspflicht, notwendige und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen, auch wenn es sich hierbei nur um eine Nebenpflicht handelt. Daher ist das Haftungsprivileg nicht auf die anwesenden Lehrkräfte anwendbar, sodass die Haftung auch bei leichter und mittlerer Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Erste-Hilfe-Kenntnisse sollten möglichst alle zwei Jahre aufgefrischt werden. Was genau bei der Ersten-Hilfe zu tun ist und wo weiterführende Informationen zu finden sind, erfahren Sie hier.