Die Zahlen sind alarmierend: Gewalt, ob in verbaler, psychischer oder sogar körperlicher Form, ist gerade im Gesundheits- und Sozialwesen sehr weit verbreitet. Laut einer Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag des Spitzenverbandes der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) berichteten 54 Prozent der Befragten aus diesen Branchen von mindestens einem verbalen oder psychischen Gewaltakt durch betriebsfremde Personen, wie etwa Patienten oder Besucher. 22 Prozent haben sogar Erfahrung mit mindestens einem körperlichen Angriff binnen eines Jahres gemacht.
Damit liegen der Gesundheits- und Sozialsektor weit vor allen abgefragten Branchen, gerade was körperliche Angriffe betrifft. Im Durchschnitt berichteten 37 Prozent der Befragten von verbaler oder psychischer, 8 Prozent von Fällen körperlicher Gewalt binnen zwölf Monaten.
„Diese Zahlen zeigen: Gewalt ist ein Problem – Betriebe und Einrichtungen sind diesem Problem aber nicht ausgeliefert“, sagt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer des Unfallkassen-Dachverbands. Wichtig sei, die Vorfälle in der Einrichtung systematisch zu erfassen, um Probleme zu identifizieren.
Hohes Dunkelfeld durch nicht-erfasste Vorfälle
Zwischen 9.000 und 13.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle pro Jahr gehen laut der DGUV auf Gewalteinwirkung zurück. Dieses Bild ist jedoch nicht vollständig: Zum einen sind nur Arbeitsunfähigkeiten von mehr als drei Tagen meldepflichtig, zum anderen würden gerade verbale und psychische Gewalt-Vorfälle (wie Beleidigungen, Drohungen, Verleumdungen oder sexualisierte Gesten und Sprüche) weder gemeldet noch angezeigt, und somit von der Statistik überhaupt nicht erfasst. Nach einem Rückgang während der Corona-Zeit, wo es nur eingeschränkten Publikumsverkehr gab, stiegen die Zahlen seitdem wieder an.
Ähnlich stark von verbaler oder psychischer Gewalt betroffen wie das Gesundheits- und Sozialwesen, ist die öffentliche Verwaltung. Hier haben mit 53 Prozent solche Erfahrungen in den vergangenen zwölf Monaten gemacht. Etwas weniger Vorfälle gibt es in Verkehr und Lagerei (42 Prozent), Handel (39 Prozent) sowie Erziehung und Unterricht (37 Prozent). Finanzdienstleistungen (33 Prozent), das Baugewerbe (26 Prozent) sowie verarbeitendes Gewerbe und IT/Telekommunikation/Medien (16 Prozent) liegen am Ende des Feldes.
Trauriger einsamer Spitzenreiter bei körperlicher Gewalt
Bei physischen Angriffen liegt das Gesundheits- und Sozialwesen dagegen mit seinen 22 Prozent einsam an der Spitze, gefolgt von Erziehung und Unterricht (11 Prozent) Verkehr und Lagerei (10 Prozent) und der öffentlichen Verwaltung (9 Prozent). Bei den Befragten in den anderen Branchen war diese Gewaltform eine absolute Ausnahme.
Unter sämtlichen Befragten berichteten Frauen (41 Prozent) deutlich häufiger von verbalen oder psychischen Übergriffen als Männer (32 Prozent), vor allem bedingt durch den großen Geschlechtsunterschied bei Fällen sexualisierter psychischer Gewalt (9 vs. 2 Prozent Nennungen). Die jüngeren Altersgruppen (18 bis 34 sowie 35 bis 44 Jahre) berichteten mit jeweils 41 Prozent deutlich häufiger von verbalen Vorfällen als die 45- bis 54-Jährigen (34 Prozent) und die 55- bis 67-Jährigen (30 Prozent). Bei körperlichen Angriffen bejahten jeweils 8 Prozent beider Geschlechter der Befragten entsprechende Vorfälle, auch in den Altersgruppen gab es keine nennenswerten Unterschiede.
Für die Erhebung hatte Forsa 2.512 abhängig Beschäftigte ab 18 Jahren aus ganz Deutschland online befragt, die im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit häufig Kontakt mit betriebsfremden Personen haben – seien es Schüler, Bürger, Patienten, Lieferanten oder Kunden.
Tipps zur Vor- und Nachsorge
Die DGUV rät Einrichtungen, in denen es häufig zu Gewalt kommt, Vorkehrungen für solche Ereignisse zu treffen – von Rückzugsräumen fürs Personal, Notruf-Einrichtungen, Deeskalationstrainings über Notfallpläne bis zu einer betrieblichen psychologischen Erstbetreuung. Immerhin rund ein Viertel der Befragten gab zudem an, dass ihr Arbeitgeber Vorfälle systematisch erfasse.
Im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung sind es sogar ein Drittel. Diese Werte seien „durchaus ermutigend“, so Hussy. Viele Betriebe und Einrichtungen hätten sich also bereits auf den Weg gemacht.