Fixierung
Eine psychisch erkrankte Frau wurde fixiert, weil sie auszog und das Klinik­per­so­nal angeging. Bild: © Eduard Goricev | Dreamstime.com

Patien­tin attackierte Perso­nal

Fixie­rung gerecht­fer­tigt? Eine Frau leidet an einer schizo­af­fek­ti­ven Störung und ist deshalb auf der psych­ia­tri­schen Station eines Kranken­hau­ses unter­ge­bracht. Weil sich ihr Zustand zuneh­mend verschlech­tert hatte, beantragte das Ordnungs­amt ihre sofor­tige Unter­brin­gung nach dem PsychKG. Diese Art der Unter­brin­gung ist für Menschen mit psychi­schen Erkran­kun­gen gedacht, die häufig gegen den Willen der Person erfolgt.

Am selben Tag hat das Betreu­ungs­ge­richt die Patien­tin angehört und anschlie­ßend die entspre­chende Unter­brin­gung für mehrere Wochen angeord­net.

Die Ärzte beschrie­ben die Frau nach der Anhörung als dekom­pen­siert. Sie habe sich nackt ausge­zo­gen, sei über die Flure gerannt, habe ihr Geschlechts­teil präsen­tiert und Mitar­bei­tende attackiert. Aus diesem Grund wurde die Patien­tin am späten Abend und in der Nacht erneut 5‑Punkt-fixiert.

Auf Bitten des Richters wurde die Fixie­rung nach mehre­ren Telefo­na­ten am Morgen darauf vorüber­ge­hend gelöst. Die Frau fiel aller­dings in ihre auffäl­li­gen Verhal­tens­mus­ter zurück, weshalb sich die Verant­wort­li­chen nochmals an das Gericht wandten, um die Geneh­mi­gung einer neuen Fixie­rung zu beantra­gen.

Erneut Fixie­rung nicht zuläs­sig

Das Amtsge­richt Arnsberg beschloss schließ­lich, den Antrag auf Geneh­mi­gung einer 5‑Punkt-Fixie­rung zurück­zu­wei­sen, weil die nötigen Voraus­set­zun­gen nicht gegeben waren.

Das Gericht weist in seiner Entschei­dungs­be­grün­dung darauf hin, dass eine Fixie­rung gemäß §20 Abs. 1 S. 1 PsychKG NRW nur dann zuläs­sig ist, wenn sie „zur Abwen­dung einer gegen­wär­ti­gen erheb­li­chen Selbst­ge­fähr­dung oder einer gegen­wär­ti­gen erheb­li­chen Gefähr­dung beson­de­rer Rechts­gü­ter Dritter“ einge­setzt wird.

Zweifel gebe es seitens des Gerichts daran, ob das Verhal­ten der Patien­tin, egal wie unange­nehm es für das Perso­nal auch gewesen sein mag, eine erheb­li­che Fremd­ge­fähr­dung darstelle. Die Patien­tin ist 59 Jahre alt, 170 cm groß und eher von hagerer Statur, worüber sich das Gericht durch die Anhörung selbst einen Eindruck machen konnte. Zudem seien ihre Bewegungs­ab­läufe eher langsam. Daher sei es für das Gericht fraglich, ob sie bei Angrif­fen inner­halb der Einrich­tung andere Perso­nen massiv gefähr­den könnte.

Auch wenn ihr Verhal­ten für die Betrof­fe­nen und rückbli­ckend auch für sie selbst scham­be­haf­tet sein dürfte, stelle dieser Umstand – im Vergleich zu einer Fixie­rung – das kleinere Übel dar.

Fixie­rung nicht das mildeste Mittel

Ohnehin sei es für das Gericht nicht erheb­lich, ob die Patien­tin tatsäch­lich eine Gefahr für andere darstelle, da eine poten­zi­elle Gefähr­dung nicht nur durch eine Fixie­rung verhin­dert werden könne, sondern auch durch andere Mittel, die weniger drastisch seien.

So könnte die Patien­tin auch in einem Krisen­in­ter­ven­ti­ons­raum vorüber­ge­hend abgeson­dert werden. Eine solche Maßnahme bedürfte auch keiner erneu­ten richter­li­chen Geneh­mi­gung. Hierbei weist das Gericht darauf­hin, dass durch­aus bekannt ist, dass das Kranken­haus nicht über einen solchen Raum verfügt. Aller­dings kam es schon seit mehre­ren Jahren immer wieder zu Erörte­rungs­ge­sprä­chen diesbe­züg­lich mit Entschei­dungs­rich­tern und dem Kranken­haus.

Überdies habe das Kranken­haus auch mit den vorhan­den Mitteln die Möglich­keit Gefah­ren abseits einer Fixie­rung abzuwen­den. Beispiels­weise hätte die Patien­tin auch einfach in einem norma­len Patien­ten­zim­mer einge­schlos­sen und zusätz­lich beobach­tet werden können. Dass die Patien­tin auch für sich eine Gefahr darstelle, sei für das Gericht nicht ersicht­lich.

Leitsatz

Die Fixie­rung ist ein massi­ver, körper­li­cher und seelisch äußerst belas­ten­der Eingriff, der für die Betrof­fe­nen trauma­ti­sche Folgen haben kann und deshalb ohne Rücksicht auf etwaige Gewohn­hei­ten, Widmun­gen oder anderem nur äußerst vorsich­tig und nach (erfolg­lo­sem) Ausschöp­fen anderer Mittel einge­setzt werden darf.

Auch wenn es Beden­ken seitens des Perso­nals geben würde, ob die Patien­tin nicht doch eine Gefahr für sich selbst darstel­len könnte, so sei diese Maßnahme zumin­dest auszu­pro­bie­ren, sofern sie erfolg­ver­spre­chend und deeska­lie­rend ist. Würde sich dann zeigen, dass sich die Patien­tin im Zimmer tatsäch­lich selbst verletzt, dann könnte erneut über einer Fixie­rung nachge­dacht werden.

Quelle: Amtsge­richt Arnsberg vom 29.09.2024 – 46b XIV(L) 279/24