Seit dem 7. Mai läuft der Berufungsprozess eines Falls, in welchem ein fünfjähriger Junge, vertreten durch sein Vater, gegen eine Heilpraktikerin klagt. Grund: Die Heilpraktikerin soll der krebskranken Mutter des Jungen von einer schulmedizinischen Behandlung abgeraten haben. Die Mutter verstarb einige Zeit später an den Folgen des Krebs. Der Junge wird vor Gericht durch seinen Vater vertreten, dieser fordert nun ein Schmerzensgeld in Höhe von 170.000 Euro für sein Kind. Das Landgericht Passau hatte die Klage bereits abgewiesen, die Kläger gingen daher eine Instanz weiter zum Oberlandesgericht (OLG) München.
Hat die Heilpraktikerin der Mutter von einer Strahlentherapie abgeraten?
Laut Klägerseite brach die Mutter die Strahlentherapie auf Rat der Heilpraktikerin nach wenigen Wochen ab. Stattdessen wurde sie nach Angaben des SPIEGEL unter anderem mit Präparaten aus Schlangengift, sogenannte Horvi-Präparaten behandelt. Die Zweifel an der schulmedizinischen Behandlung und die darauffolgenden alternativen Behandlungen hätten massive Auswirkungen auf den ohnehin schon geschädigten Körper der Mutter gehabt, so die Aussage des Anwalts der Kläger.
Die angeklagte Heilpraktikerin bestreitet die Vorwürfe. Bereits bei der Geburt des Jungen im April 2015 war die Mutter an Krebs erkrankt. Der Abbruch der Strahlentherapie erfolgte auf den freien Willen der Mutter. Die Beklagte behauptet, entgegen der Aussagen seitens der Kläger, der Mutter sogar empfohlen zu haben, die Strahlenbehandlung wieder aufzunehmen. Der Tod der Mutter sei allerdings ohnehin nicht zu verhindern gewesen. Die Behandlung wurde zudem ab Juni in die Hände eines anderen Heilpraktikers übergeben.
Es steht also Aussage gegen Aussage. Klar ist jedoch: Als abzusehen war, dass sich der Zustand der Mutter konstant verschlechtert, hätte man ihr dringend zur Strahlentherapie raten müssen. Ob dieser Fehler nun aber bei der Beklagten oder gar beim ab Juni für die Mutter zuständigen Heilpraktiker liegt, sei nach Aussagen eines sachverständigenden Heilpraktikers vor dem Gericht allerdings (noch) nicht zu erkennen.
Der Fall befand sich 2018 bereits in einem strafrechtlichen Verfahren wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Was dürfen Heilpraktiker und was nicht?
Unter den Begriff Heilkunde fallen nach § 1 Absatz 2 des Heilpraktikergesetzes alle Tätigkeiten „zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.“
Wer, ohne Arzt zu sein, eine heilkundliche Arbeit ausüben möchte, muss sich hierfür die Erlaubnis einholen (§ 1 Absatz 1 HeilprG). Als Heilpraktiker gelten solche, die Heilkunde bereits beruflich ausgeübt haben und dies auch weiterhin tun möchten. Sie erhalten die Erlaubnis gemäß § 1 Absatz 3 HeilprG nach Maßgabe der Durchführungsbestimungen. Heilpraktiker sind mit ihrer Erlaubnis also berechtigt, eigenverantwortlich heilkundliche Aufgaben an Patienten vorzunehmen, obwohl sie nicht als Arzt approbiert sind.
Heilpraktiker sind keine Ärzte
Trotzdem gibt es hinsichtlich des Tätigkeitsprofils bestimmte Abgrenzungen zum Beruf des Arztes. So fallen beispielsweise meldepflichtige Erkrankungen, Geburtshilfe, zahnmedizinische Behandlungen oder die rechtliche Feststellung eines Patiententodes klar in das Aufgabenfeld des Arztes. Auch zur Verordnung von verschreibungspflichtigen Medikamenten ist lediglich ein Arzt berechtigt, weswegen Heilpraktiker häufig mit Präparaten aus der Naturheilkunde arbeiten. Übernimmt ein Heilpraktiker eine dieser Aufgaben, macht sich dieser im Schadensfall strafbar.
Auch zum Aufgabenfeld eines Psychotherapeuten gibt es Abgrenzungen. So ist es Heilpraktikern nicht erlaubt, Soziotherapien oder Reha-Maßnahmen zu verschreiben oder Krankenhauseinweisungen zu verordnen. Ferner ist auch keine Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen möglich.
Unter die Aufgaben, die Heilpraktiker hingegen selbstständig durchführen dürfen, fallen typischerweise Blutabnahmen, Blutanalysen, Erste-Hilfe-Maßnahmen, Untersuchungen von Organen und das Setzen von Spritzen, zum Beispiel bei Muskelbeschwerden. Die Aufgaben müssen dabei in einem anerkannten, stationären Behandlungsraum stattfinden, da die Praktizierung von Heilkunde beim „Umherziehen“ nach § 3 HeilprG verboten ist.
Kritik an der Berufsqualifikation
Häufig wird darüber diskutiert, ob der Beruf des Heilpraktikers nicht zu einfach zu erlangen ist. Zwar müssen angehende Heilpraktiker in ihrer zwei- bis dreijährigen Ausbildung unter anderem eine Prüfung beim Gesundheitsamt ablegen und werden in diesem Zeitraum hin zur Diagnostik und Behandlung sämtlicher körperlichen und psychischen Krankheiten geschult.
Die Voraussetzungen, um die Ausbildung antreten zu dürfen, sind jedoch äußerst gering. Bereits ein Hauptschulabschluss, ein Mindestalter von 25 Jahren und ein straffreies Führungszeugnis berechtigen zur Heilpraktikerausbildung. Da der Heilpraktiker kein staatlich geregelter Ausbildungsberuf ist, gelten hier und da abweichende Regelungen für den Erwerb der Heilpraktikerzulassung.
Der Fall der krebskranken Mutter ist nicht der Erste, mit dem sich die Justiz in Verbindung mit Heilpraktikertätigkeiten konfrontiert sieht. Heilpraktiker stehen mit ihren zum Teil alternativen Behandlungsmethoden in der Kritik, Krankheiten zum Teil nicht zu erkennen und damit die Patienten zu gefährden.
Der FOCUS berichtete im Februar über die Entrüstung eines Arztes, der einer Patientin mit einem sogenannten „kalten Knoten“ in der Schilddrüse eine OP anordnete. Drei Monate später hatte sich der Zustand der Schilddrüse und auch der Lymphkonten weiter verschlechtert. Die Frau hatte sich auf Anweisung eines Heilpraktikers keiner OP unterzogen. Die Ursache des Knotens sei lediglich auf die geistige Einstellung der Patientin zurückzuführen. Seiner Wut ließ der Arzt damals auf Twitter freien Lauf.
Dennoch suchen viele Menschen nach wie vor Heilpraktiker auf. Im Zuge der Klage des fünfjährigen Jungen wolle sich die Politik demnächst mit der Thematik befassen und das Behandlungsspektrum der Heilpraktiker hinreichend prüfen, wie der SPIEGEL berichtet. Die Klage des fünfjährigen Jungen sei in diesem Zusammenhang noch nicht weit genug aufgeklärt, um anhand dessen über die Zukunft der Heilpraktikertätigkeiten zu urteilen.
Quelle: spiegel-online, br24, focus-online, medizin-netz.de