Inmitten der aktuellen Herausforderungen der Frühmobilisierung auf den Intensivstationen liegt eine dringende Notwendigkeit, die Patienten so früh wie möglich in Bewegung zu bringen. Dieser wichtige Schritt kann dazu beitragen, Komplikationen zu reduzieren, die Genesung zu beschleunigen und die langfristige Rehabilitation zu verbessern. Trotz des zunehmenden Bewusstseins für die Vorteile der Frühmobilisierung stehen Ärzte, Pflegekräfte sowie Therapeuten vor der Herausforderung in der Umsetzung.
Die aktuelle Studienlage zeigt eine wachsende Anerkennung der positiven Auswirkungen, der Frühmobilisierung, auf die Patientenversorgung und Genesung. Mehrere Studien zeigten, dass frühe Mobilisierung bereits auf der Intensivstation zu signifikanter Verringerung verschiedenster Sekundärkomplikation und sogar der Liegedauer führt.
Schon früh wusste man über die positiven Auswirkungen der Frühmobilisierung Bescheid. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch Hindernisse in der konsequenten Durchführung der Frühmobilisierung auf Intensivstationen. Um dem entgegenzuwirken, erkannte man schnell, dass ein Tool, ein objektiver Leitfaden in der Praxis benötigt wird um den Anwendern Unterstützung zu bieten in der Entscheidung: wann sie wie mit der Durchführung der Mobilisierung beginnen können.
Eines der ersten Modelle für einen solchen Leitfaden war das Marburger Stufenkonzept. Hierzu durften wir uns die Expertenmeinung der Mitbegründerin Silke Filipovic zu diesem Stufenkonzept einholen.
Sie berichtet uns, dass Ihr schon 2004 die Herausforderung der Frühmobilisierung auf der Intensivstation bewusst war. Nachdem Sie damals die Leitung des Physioteams im Marburger Universitätsklinikum übernommen hatte, wurden Ihr die Schwierigkeiten der Frühmobilisierung noch klarer vor Augen geführt. Das war der Moment, indem sie wusste: Es muss etwas verändert werden.
Danach kam es zu den ersten Ideen für das Marburger Stufenkonzept. Dem wissenschaftlichen Team war bewusst, es wurde ein objektives Verfahren benötigt, unabhängig von der Erfahrung des Anwenders.
Es sollte ein Hilfsmittel gestaltet werden, das jedem die Möglichkeit bietet, ohne Zweifel die richtige Mobilisierung starten und durchführen zu können. Da man festgestellt hatte, dass es in diesem Bereich die größten Hürden gab. Viele Anwender wussten nicht, wo man anfangen sollte, geschweige denn wie man die Frühmobilisierung starten sollte.
Es gibt für viele Verfahren auf der Intensivstation Bewertungskalas, doch damals gab es eine solche für die Mobilisierung noch nicht. Das Konstrukt des Stufenkonzeptes ist klar, und angelehnt an das, was die Anwender schon kennen. Einfach erklärt bewertet nun der Anwender die Ressource seines Patienten, legt dann ein realistisch erreichbares Ziel fest und mithilfe der Bewertungsskala bekommt dieser einen Vorschlag zur Durchführung.
Angelehnt an dieses Stufenkonzept wurden noch mehrere Bewertungskalas entwickelt. Auch Silke Filipovic berichtet, Ihr Konzept war damals auf der Grundlage der damaligen EU-Leitlinie begründet worden.
Mittlerweile besser bekannt ist wohl der CPAx Score (Chelsea critical care physical assessment tool),[1] der unter anderem basierend auf dem Stufenkonzept weiterentwickelt worden ist. Mit der Zeit hat man festgestellt, dass der Zustand des Patienten vor einer OP zum Beispiel fast wichtiger für das Outcome des Patienten ist als der Start der Frühmobilisierung. Mit dem Prinzip „better in = better out“, bietet der CPAx Score eine objektive Einschätzugsskala basierend auf vier Variablen, um das Risiko von Komplikationen bei Patienten nach Operationen besser einschätzen zu können.
Die wohl meistbekannte Mobilisierungsskala ist die international eingesetzte ICU Mobility Scale auf den Intensivstationen. Auch diese wird in der Medizin eingesetzt, um die Mobilität von Patienten zu bewerten. Unter anderem ermöglicht diese Skala dem medizinischen Personal die Fortschritte der Patienten in Bezug auf ihre Mobilität zu beurteilen. Zudem geht dieses Bewertungssystem tiefer auf die Beurteilung der Wirksamkeit der Behandlung ein, um im Anschluss das Rehabilitationsprogramm besser anpassen zu können.
Aus all diesen Recherchen geht einher, dass objektive Bewertungsskalen eine Notwendigkeit sind, um eine adäquate Frühmobilisierung auf den Intensivstationen durchführen zu können. Solche objektiven Hilfsmittel braucht es, um dem Anwender einen Leitfaden zur Unterstützung geben zu können.
Auch Silke Filipovic erzählt uns, dass die Einführung des Marburger Stufenkonzeptes damals gut in der Praxis angenommen wurde. Hierdurch wird klar wie notwendig wissenschaftliches Arbeiten ist, um die Herausforderungen in der Praxis im Krankenhausalltag meistern und verbessern zu können. Nichtsdestotrotz machen es die aktuellen Rahmenbedingen dem medizinischen Personal nicht leicht alles unter einem Hut zu bringen.
Dennoch ist besonders das Bewusstsein für die Mobilisierung von Schwerstbetroffenen auf den Intensivstationen gewachsen. Mittlerweile ist die Frühmobilisierung ein grundlegendes Element auf den Intensivstationen, und mithilfe der objektiven Bewertungsskalen einfacher in der Durchführung für den Anwender geworden.
Quellen:
- Corner EJ, Wood H, Englebretsen C, Thomas A, Grant RL, Nikoletou D, Soni N.: „The Chelsea critical care physical assessment tool (CPAx): validation of an innovative new tool to measure physical morbidity in the general adult critical care population; an observational proof-of-concept pilot study.“ In: Physiotherapy 2013 Mar;99(1):33–41