Kündigung
„Leck mich…fick dich selbst!“

Kündi­gung wegen Streits: Während einer Visite kommt es zwischen dem Oberarzt und einer Assis­tenz­ärz­tin zu einem lautstar­ken Streit­ge­spräch. Dem Oberarzt seien fachli­che Mängel aufge­fal­len, auf die er die Ärztin hinge­wie­sen habe. Das Verhal­ten der Ärztin hätte nach Ansicht des Oberarz­tes die Patien­ten gefähr­det. Im Streit soll der Oberarzt dann Sätze geschrien haben wie: „Sie habe ihm nichts zu sagen, wenn es ihr nicht gefalle, könne sie sich ja beschwe­ren, es sei ihm scheiß­egal, was passiere, so eine Pipi-Station könne er auch alleine machen, er brauche nieman­den dazu“. Bereits zuvor in einem anderen Fall, soll der Oberarzt einen anderen Assis­tenz­arzt lautstark beschimpft haben, wofür der Oberarzt eine Abmah­nung erhielt. Der Oberarzt bestritt diesen Vorfall aller­dings.

Zeugin sagt aus: „Er hat fick dich selbst gesagt“

Auf Grund­lage dieses Streit­ge­sprächs mit der Assis­tenz­ärz­tin wurde der Oberarzt schließ­lich ohne Abmah­nung außer­or­dent­lich gekün­digt. Der Oberarzt wehrte sich hierge­gen vor dem Arbeits­ge­richt Dresden. Vor Gericht berich­tete dann eine Zeugin, dass der Oberarzt zudem „leck mich“ und „fick dich selbst“ in Richtung der Assis­tenz­ärz­tin geäußert haben soll. Die Ärztin selbst habe das aller­dings nicht gehört.

Das Arbeits­ge­richt hatte deshalb die Kündi­gungs­schutz­klage des Oberarz­tes abgewie­sen. Belei­di­gun­gen und Verleum­dun­gen der vorge­tra­ge­nen Art seien grund­sätz­lich geeig­net, eine ordent­li­che Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen, so das Gericht. Die hier gewählte Ausdrucks­weise, die als Gossen­spra­che bezeich­net werden müsse, sei im Umfeld einer Univer­si­täts­kli­nik in keiner Weise tolera­bel und auch geeig­net, das Ansehen dieser Klinik zu schädi­gen. Daher sei hier auch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung des Arztes gerecht­fer­tigt, sie sei nicht unver­hält­nis­mä­ßig. Gegen dieses Urteil legte der Oberarzt Berufung vor dem Landes­ar­beits­ge­richt Sachsen ein.

Berufung hat Erfolg!

Vor dem Sächsi­schen Landes­ar­beits­ge­richt hatte der Oberarzt mit seiner Berufung Erfolg. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung sowie die hilfs­weise ausge­spro­chene frist­ge­rechte Kündi­gung seien unwirk­sam. Auch die Abmah­nung sei aus der Perso­nal­akte des Oberarz­tes zu entfer­nen.

Das Landes­ar­beits­ge­richt findet, dass die Vorwürfe des lautstar­ken, belei­di­gen­den sowie unsach­li­chen Umgangs­tons gegen­über der Assis­tenz­ärz­tin nicht so schwer wiegen, dass ein Ausspruch einer frist­lo­sen oder frist­ge­rech­ten Kündi­gung berech­tigt wäre. Das gilt auch für die Worte „leck mich, fick dich selbst“, die der Oberarzt in Richtung der Assis­tenz­ärz­tin geäußert hatte. Die arbeits­ver­trag­li­chen Pflicht­ver­let­zun­gen des Oberarz­tes recht­fer­ti­gen nach Ansicht des Gerichts ledig­lich eine Abmah­nung als verhält­nis­mä­ßige Reaktion der Klinik.

Der recht­li­che Hinter­grund der Entschei­dung

Nach § 626 Absatz 1 Bürger­li­ches Gesetz­buch müssen folgende Dinge beach­tet werden, damit eine frist­lose Kündi­gung wegen sexuel­ler Beläs­ti­gung oder groben Belei­di­gung gerecht­fer­tigt ist:

  1. Die Vorlie­gen­den Tatsa­chen müssen klar sein
  2. Die Umstände des bestimm­ten Einzel­falls sind zu betrach­ten
  3. Die Inter­es­sen beider Vetrags­teile müssen abgewo­gen werden

Kann nach Betrach­tung dieser Punkte die Fortset­zung des Dienst­ver­hält­nis­ses bis zum Ablauf der Kündi­gungs­frist oder bis zur verein­bar­ten Beendi­gung des Dienst­ver­hält­nis­ses nicht zugemu­tet werden, ist eine frist­lose Kündi­gung gerecht­fer­tigt.

Der Oberarzt verstößt darüber hinaus zweifels­ohne gegen seine vertrag­li­chen Pflich­ten, sollte ihm ein lautstar­ker und belei­di­gen­der Umgangs­ton nachge­wie­sen werden können. Der Arbeit­neh­mer – also in diesem Fall der Oberarzt – ist dazu verpflich­tet, alles zu unter­las­sen, was dem Arbeit­ge­ber, anderen Arbeit­neh­mern und dem Betrieb abträg­lich ist. Insbe­son­dere den „Bereich der betrieb­li­chen Verbun­den­heit der Mitar­bei­ter“ darf der Arbeit­neh­mer durch sein Verhal­ten nicht unzuläs­sig beein­träch­ti­gen. Hierge­gen hat der Oberarzt versto­ßen und trägt somit eine schuld­hafte Pflicht­ver­let­zung.

Frist­lose Kündi­gung wirkt sich als Nachteil für die Klinik aus

Vor Gericht bringt die Klinik hervor, dass der Oberarzt (neben der Aussage „leck mich, fick dich selbst“, die aber von der Zeugin hervor­ge­bracht wurde) folgende Äußerun­gen getätigt haben soll:

  • „Was machst du den ganzen Tag?“
  • „Was soll der Scheiß?“
  • „Mach dich gefäl­ligst nützlich!“
  • „Du gefähr­dest den Patien­ten!“
  • „Wer hat dir den Schwach­sinn gezeigt?“
  • „Ich rede mit dir wie ich will, du hast mir nichts zu sagen, wenn es dir nicht gefällt, kannst Du dich beschwe­ren, es ist mir scheiß­egal, was passiert, so eine Pipi-Station kann ich auch alleine machen, ich brauche da nieman­den dazu, es ist mir egal!“

Es bleibt aller­dings dahin­ge­stellt, ob die von der Klinik vorge­tra­gen­den Äußerun­gen des Oberarz­tes so tatsäch­lich gefal­len sind. Und selbst wenn sie so gefal­len sind, wäre eine frist­lose Kündi­gung unwirk­sam. Das liegt daran, dass die Kündi­gung sich zum Nachteil der Klinik auswir­ken würde, wenn sie den Oberarzt vorher nicht abgemahnt hat. Das fällt in den Bereich der Inter­es­sen­ab­wä­gung, dessen Betrach­tung – wie bereits oben erklärt – für eine frist­lose Kündi­gung relevant ist.

Wichtig ist neben den nach § 626 Absatz 1 BGB gelten­den Verhält­nis­mä­ßig­keits­prin­zips die Notwen­dig­keit der Abmah­nung. Denn der Zweck der Kündi­gung ist nicht die Bestra­fung des Vertrags­part­ners, sondern die Vermei­dung weite­rer (erheb­li­cher) Pflicht­ver­let­zun­gen. In diesem Fall ist davon auszu­ge­hen, dass eine Abmah­nung zu einer Verän­de­rung im Verhal­ten des Klägers geführt hätte.

Sexuelle Beläs­ti­gung nicht gravie­rend

Sowohl nach § 626 BGB als auch durch § 1 Abatz 1, 2 KSchG hat das Fehlver­hal­ten des Klägers nicht das Gewicht eines Kündi­gungs­grun­des. Bei dem Vorfall ist es nicht zu unerwünsch­ten sexuel­len (tätli­chen) Handlun­gen, zu sexuell bestimm­ten körper­li­chen Berüh­run­gen oder zur Konfron­ta­tion mit porno­gra­fi­schen Darstel­lun­gen gekom­men. Auch hat der Oberarzt die Assis­tenz­ärz­tin nicht aufge­for­dert, sexuelle Handlun­gen an ihm vorzu­neh­men. Die Aussage „leck mich, fick dich selbst“ ist demnach durch § 3 Absatz 4 AGG in einen weniger gravie­ren­den Bereich zuzuord­nen. Zudem hat der Oberarzt die Äußerung in sehr leisem Tonfall zu sich selbst gesagt, ohne dabei die Anwesen­heit der Zeugin zu bemer­ken.