Familienaufstellung
Famili­en­auf­stel­lung Bild: Michael Schanz

Famili­en­auf­stel­lung als Experi­ment in der Praxis: Das Erstau­nen im Saal schien mit Händen zu greifen. Absolut lebens­echt und emotio­nal schlüpf­ten die Mitwir­ken­den in ihren Familien-Part, den sie spielen sollten. Teils flossen Tränen; Wut, Trauer und Freude waren die steti­gen Beglei­ter des Vormit­tags.

Aus der Mitte der Runde heraus hatte Jochen Bickert, DGfS-zerti­fi­zier­ter Syste­mi­scher Coach und „Famili­en­auf­stel­ler“, zwei Fallkon­stel­la­tio­nen aus seinem Publi­kum heraus­ge­nom­men: zum einen der Fall von körper­li­chen Beschwer­den, an denen trauma­ti­sche Erfah­run­gen in der Kindheit wohl entschei­den­den Anteil haben. Zum anderen ein Nachbar­schafts­zwist, dessen eigent­li­cher Auslö­ser jedoch eine frühe Verlust­er­fah­rung ist.

Die beiden Teilneh­me­rin­nen schil­der­ten in der Runde ihr Problem und erläu­ter­ten die Konstel­la­tion, die zugrunde liegen­den persön­li­chen Bezie­hun­gen sowie die Verhält­nisse zwischen den Akteu­ren. Danach konnten sie weitere Perso­nen im Saal vorschla­gen, die aus ihrer Sicht eine Rolle überneh­men könnten; wenn sie einver­stan­den waren, betra­ten sie die Bühne in der Mitte des Konfe­renz­raums. Nach einiger Zeit übernah­men die Teilneh­me­rin­nen in ihrem jewei­li­gen Fall die Haupt­rolle der Person, die auf der „Bühne“ gerade sie spielte.

Famili­en­auf­stel­lung: Über Reaktio­nen überrascht

Die Resul­tate dieser Famili­en­auf­stel­lung waren überwäl­ti­gend: Sowohl das Publi­kum, als auch dieje­ni­gen, die gerade eine Famili­en­rolle übernom­men hatten, waren überrascht über die sehr starken körper­li­chen und emotio­na­len Reaktio­nen. „Es gibt etwas zwischen Himmel und Erde, was wir schlicht­weg nicht begrei­fen – und vielleicht ist das auch richtig so“, so etwa eine der Akteu­rin­nen nach einer Aufstel­lung, an der sie betei­ligt war.

Unter dem Titel „Im Dialog mit mir“ am vierten Programm­tag der Winter­aka­de­mie 2024 auf Gran Canaria stellte Bickert das thera­peu­ti­sche Konzept vor, das eine Mischung aus Psycho­lo­gie und darstel­len­der Kunst ist. Im Rollen­spiel werden die Motive der Handeln­den klar; Lösun­gen werden sicht­bar und auf einmal ganz einleuch­tend.

Bickert, der sein Berufs­le­ben als Sänger, Schau­spie­ler, Sprecher, Modera­tor, Regis­seur und Autor begon­nen hatte und in Frankfurt/Main lebt, hatte 2008 eine Ausbil­dung zum Syste­mi­schen Coach absol­viert, die er 2011 abschloss. Seitdem leistet er in ganz Deutsch­land Famili­en­auf­stel­lun­gen und Syste­mi­sche Aufstel­lun­gen, aber auch Organi­sa­ti­ons-Aufstel­lun­gen.

Ursachen für Konflikte liegen häufig in Familie

Er ist überzeugt: Die Probleme, die man mit sich herum­trägt, haben sehr häufig ihre Ursache in der Kindheit.

„In Inter­views erzäh­len viele aus der Kriegs­ge­nera­tion, dass ihre Eltern ihnen nie wirkli­che Zuwen­dung gegeben haben – so als wenn die Eltern durch sie hindurch­ge­schaut hätten. Dass sie nie umarmt wurden“, erläu­terte er.

„Da stellt sich natür­lich schnell die Frage: Bin ich eigent­lich gewollt?“ Häufig sei das gerade bei Kindern, die eine Flucht ihrer Familie miter­lebt haben, der Fall. „Da schien es schlicht keine Zeit für Zuwen­dung zu geben. Alle waren mit anderen Dingen beschäf­tigt, nach dem Zweiten Weltkrieg etwa mit dem Wieder­auf­bau.“

Ein weite­rer typischer, inter­es­san­ter Fall war der eines Menschen, der lange im Glauben war, der Erstge­bo­rene in seiner Familie zu sein. Doch irgend­wie fühlte es sich nicht so an – er machte nicht im gleichen Maße die Erfah­run­gen wie andere erstge­bo­rene Kinder: das starke Sich-Durch­set­zen-Müssen, sich Freiräume zu erkämp­fen und selbst­be­wusst für seine Sache einzu­ste­hen.

„Er fühlte sich nie wie ein richti­ger Erstge­bo­re­ner. Bis er irgend­wann von seinen Eltern erfuhr, dass es vor seiner Zeit einmal einen älteren, früh verstor­be­nen Bruder gegeben hatte.“ Erkennt­nisse, wie sie durch eine Famili­en­auf­stel­lung zutage gebracht werden können.