Falscher Arzt
Als falscher Arzt kassierte ein Rettungs­hel­fer einen sechs­stel­li­gen Betrag. Bild: Marco Di Bella

Vom Ehren­amt zum Doktor­ti­tel

Stellen Sie sich bitte einmal folgende Szene vor: K. – der Protago­nist unserer Geschichte – sitzt allein in seinem Zimmer. Es ist duster, ledig­lich der Bildschirm des Compu­ters spendet etwas Licht und zeich­net sein Profil im blass­blauen Schein. Doch der Compu­ter ist mehr als eine Licht­quelle in K.s Zimmer – er ist sein Werkzeug. Damit schrei­tet K. zur Tat.

K. ist mehrfach wegen Betrug und Urkun­den­fäl­schung vorbe­straft. Sein Sozial­päd­ago­gik-Studium hat er abgebro­chen. Er engagiert sich ehren­amt­lich als Rettungs­hel­fer bei einem Ortsver­band des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Doch das ist ihm nicht genug – er möchte sich dort auf die Stelle eines stell­ver­tre­ten­den Rotkreuz­arz­tes bewer­ben. Das Dokument, das er dazu gerade an seinem Compu­ter fälscht, weist ihn als Arzt aus und beschei­nigt ihm ein erfolg­reich absol­vier­tes Medizin­stu­dium an einer nieder­län­di­schen Univer­si­tät.

Die Szene im dunklen Zimmer ist zwar nur eine Fiktion, die Tat aber ist real – und bleibt nicht ohne Folgen. Die Mitglie­der­ver­samm­lung des DRK-Ortsver­ban­des wählt K. zum stell­ver­tre­ten­den Rotkreuz­arzt. Im Septem­ber 2019 nimmt „Dr. K.“ seinen Dienst auf. Mehrere Monate fährt der vermeint­li­che Arzt darauf­hin in einem Rettungs­wa­gen des DRK mit.

Doch „Dr. K.“ begnügt sich nicht mit dieser Position. Er beschei­nigt sich mit einer weite­ren Fälschung eine abgelegte Weiter­bil­dungs­prü­fung zum Arzt für Notfall­me­di­zin. Ab dem späten Sommer 2020 tritt der falsche Doktor bei Einsät­zen des DRK nun auch als Notarzt auf und ordnet unter anderem Patien­ten die Einnahme von Medika­men­ten an.

500.000 Euro dank Corona­pan­de­mie

Als falscher Arzt profi­tiert „Dr. K.“ auch von der Corona­pan­de­mie: Am 14. Juli 2020 schließt der DRK-Kreis­ver­band H. einen Vertrag mit der Stadt H. über die Durch­füh­rung von COVID-19-Tests und die Bereit­stel­lung von medizi­ni­schem Fachper­so­nal. DRK-seitig ausge­han­delt wurde dieser Vertrag zuvor von „Dr. K.“ – der folglich wie ein Subun­ter­neh­mer vom DRK mündlich und gegen Bezah­lung zur Erfül­lung eben dieses Vertra­ges beauf­tragt wird.

K. organi­siert darauf­hin die COVID-19-Testun­gen und verpflich­tet Perso­nal. Er nimmt in Einzel­fäl­len selbst Abstri­che vor, im Wesent­li­chen aber beschrän­ken sich seine Tätig­kei­ten auf adminis­tra­tive und kaufmän­ni­sche Aufga­ben.

Seinen Aufwand rechnet er nichts­des­to­trotz als Arztleis­tun­gen ab, vom DRK erhält er mindes­tens 500.000 Euro, welche das DRK wiederum der Stadt H. zuzüg­li­cher Aufschläge in Höhe von etwa 150.000 Euro in Rechnung stellt.

Maßgeb­lich ist dabei die verein­barte Pauschale, die die Stadt H. für Material und Perso­nal­kos­ten im Zuge der COVID-19-Testun­gen an das DRK zahlt. Diese Pauschale beträgt zunächst 140 Euro pro Stunde und wird einver­nehm­lich auf 180 Euro und schließ­lich auf 210 Euro erhöht. „Dr. K.“ bekommt zu seinem statt­li­chen Einkom­men noch ein Büro im Gesund­heits­amt samt Doktor­ti­tel auf dem Türschild dazu.

Im Zweifel: Noch eine Urkun­den­fäl­schung

Anfang Septem­ber wird „Dr. K.“ eine befris­tete Anstel­lung als Arzt im Gesund­heits­amt angebo­ten. Er lehnt ab, handelt mit einer städti­schen Vertre­te­rin jedoch eine Ergän­zungs­ver­ein­ba­rung für das DRK aus.

Zeitgleich kommen in K.s Umfeld erste Zweifel auf: Ist K. wirklich ein Arzt? Der Vorstand des DRK-Ortsver­ban­des verlangt Belege, worauf­hin K. seine Fälschun­gen noch um eine Appro­ba­ti­ons­ur­kunde ergänzt.

Am 30. Septem­ber 2020 stimmt die Stadt H. der Ergän­zungs­ver­ein­ba­rung zu, die „Dr. K.“ aushan­delt hat. Gemäß dieser Verein­ba­rung verpflich­tet sich das DRK dem Gesund­heits­amt ab dem 1. Oktober 2020 bis zum 31. März 2021 einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Wochen­ar­beits­zeit von 39 Stunden zur Verfü­gung zu stellen, was von der Stadt monat­lich mit 6.300 Euro vergü­tet wird. Die Höhe der Vergü­tung orien­tiert sich dabei an den Kosten, die üblicher­weise für einen Arzt anfal­len.

Falscher Arzt erhält 6.000 Euro extra im Monat

K. verpflich­tet sich mündlich gegen­über dem DRK als „Arzt im Infek­ti­ons­schutz zur Bekämp­fung der Pande­mie“ zur Verfü­gung zu stehen. So wird er zwar nicht als befris­tet angestell­ter Arzt, sondern in Gestel­lung für das DRK letzt­end­lich doch für das Gesund­heits­amt tätig, um dort die einzige Ärztin im Bereich des Infek­ti­ons­schut­zes zu entlas­ten. Vom DRK erhält K. dafür ein zusätz­li­ches monat­li­ches „Arztge­halt“ von 6.000 Euro

Den Sprung zum Großver­die­ner versüßt sich der ehema­lige Ehren­amt­ler mit einer weite­ren angeb­lich erfolg­reich abgeleg­ten Prüfung, diesmal zum Facharzt für Psych­ia­trie. Psych­ia­ter K. unter­stützt das Gesund­heits­amt schließ­lich auch noch auf diesem Gebiet, indem er eine psych­ia­tri­sche Stellung­nahme zur gesund­heit­li­chen Eignung einer Lehramts­an­wär­te­rin erstellt. Darüber hinaus führt K. Plausi­bi­li­täts­kon­trol­len an Todes­be­schei­ni­gun­gen durch.

Sein Spiel geht bis zum 18. Januar 2021 gut. Dann wird K. verhaf­tet.

Das Urteil

Das Landge­richt Hagen verur­teilt K. am 19. Novem­ber 2021 wegen Urkun­den­fäl­schung gemäß § 267 Absatz 1, 1. und 3. Variante StGB in vier Fällen, jeweils in Tatein­heit mit Missbrauch von Titeln und Berufs­be­zeich­nun­gen gemäß § 132a Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von 3 Jahren und 9 Monaten.

Eine Betrugs­straf­bar­keit gemäß § 263 Absatz 1 StGB verneint das Gericht und begrün­det dies unter anderem mit K.s Leistungs­wil­lig­keit und dem Wert seiner „Dienst­leis­tung“ – für deren Erbrin­gung ein Arztti­tel im Übrigen ja ohnehin nicht erfor­der­lich war.

Auch die Einzie­hung von Tater­trä­gen gemäß § 73 Absatz 1 StGB wird vom Landge­richt abgelehnt, da K. das Geld nicht unmit­tel­bar aus der Tat, sondern auf Basis der vertrag­li­chen Verein­ba­rung zwischen DRK und Stadt erlangt hat – welche letzt­end­lich aber durch die Urkun­den­fäl­schung überhaupt erst zustande gekom­men ist.

Falscher Arzt vor dem BGH
Falscher Arzt: Das Westge­bäude des BGH in Karls­ruhe mit Sitz des 4. Straf­se­nats. Bild: ComQuat/Wikimedia Commons

Die Revision

Die Staats­an­walt­schaft hat mit der Revision zu Unguns­ten des Angeklag­ten die Verlet­zung sachli­chen Rechts gerügt. Beanstan­det wird die rechts­feh­ler­hafte Vernei­nung der Betrugs­straf­bar­keit und die ausge­blie­bene Einzie­hung des Tater­trags von „Dr. K.“.

Die Revision ist nach Auffas­sung des 4. Straf­se­nats des Bundes­ge­richts­ho­fes (BGH) begrün­det, das vertre­tene Rechts­mit­tel hat Erfolg. Demnach hätte K. auch wegen Betru­ges nach § 263 Absatz 1 StGB verur­teilt werden müssen. Der Senat kann zudem der Annahme des Landge­rich­tes nicht folgen, nach der kein Vermö­gens­scha­den bei den Getäusch­ten sowohl auf Seiten des DRK als auch der Stadt H. entstan­den sein soll. Denn:

„Ein Vermö­gens­scha­den gemäß § 263 StGB Absatz 1 StGB tritt ein, wenn die irrtums­be­dingte Vermö­gens­ver­fü­gung bei wirtschaft­li­cher Betrach­tungs­weise unmit­tel­bar zu einer nicht durch Zuwachs ausge­gli­che­nen Minde­rung des wirtschaft­li­chen Gesamt­werts des Vermö­gens des Verfü­gen­den führt. Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertra­ges verlei­tet, sind bei der für die Schadens­fest­stel­lung erfor­der­li­chen Gesamt­sal­die­run­gen der Geldwert des erwor­be­nen Anspruchs gegen den Vertrags­part­ner und der Geldwert der einge­gan­ge­nen Verpflich­tung mitein­an­der zu verglei­chen. Der Getäuschte ist geschä­digt, wenn sich dabei ein Negativ­saldo zu seinem Nachteil ergibt.“

Verein­facht ausge­drückt stellt sich also die Frage: War „Dr. K.“ das Geld wert?

Für die BGH-Richter ist die Wertung des Landge­rich­tes hinsicht­lich der Ergän­zungs­ver­ein­ba­rung nicht nachvoll­zieh­bar, denn gemäß dieser sollte das DRK einen Arzt zur Verfü­gung stellen. K. ist aber nachweis­lich kein Arzt, daher ist ein Negativ­saldo zum Nachteil des DRK und der Stadt H. nahelie­gend – auch weil aus den Urteils­grün­den nichts Abwei­chen­des entnehm­bar ist.

Zudem weist der Senat auf das nur auszugs­weise wieder­ge­ge­bene, offen gestal­tete Leistungs­spek­trum hin, welches auch Tätig­kei­ten, die nur von einem Arzt ausge­übt werden können, umfasst – was K. spätes­tens mit der psych­ia­tri­schen Stellung­nahme zu einer Lehramts­an­wär­te­rin getan hat.

Nicht nachvoll­zieh­bar ist für den Senat daher auch die aus dem Urteil hervor­ge­hende Feststel­lung, nach der allen Betei­lig­ten klar gewesen sein soll, dass K. für organi­sa­to­ri­sche Aufga­ben vorge­se­hen war– und nicht für ärztli­che Leistun­gen. Bleibt auch hier die Frage: Warum wurde dann eine Verein­ba­rung expli­zit für einen Arzt getrof­fen?

Die BGH-Richter weisen auf einen weite­ren Wider­spruch hin: Die Stadt meldet Bedarf an medizi­ni­schem Sachver­stand, da COVID-19-Testab­stri­che dem – falschen – Verständ­nis nach zu diesem Zeitpunkt nur durch ärztli­ches Perso­nal vorge­nom­men werden dürfen. Gleich­zei­tig sollen alle Betei­lig­ten aber davon ausge­gan­gen sein, dass „Dr. K.“ im Rahmen dieser Verein­ba­rung ausschließ­lich organi­sa­to­risch tätig sein soll – was gemäß Vertrag vom 14. Juli 2020 ohnehin schon gegeben war.

Darüber hinaus sehen die BGH-Vertre­ter die zusätz­li­che Vergü­tung von 6.300 Euro bzw. 6.000 Euro in keinem angemes­se­nen Verhält­nis zu der tatsäch­lich erbrach­ten Leistung K.s. Für sie ist nicht nachvoll­zieh­bar, wie hier das Landge­richt keinen Vermö­gens­scha­den feststel­len konnte.

Nicht relevant für die Frage nach dem Betrug hinge­gen ist nach Auffas­sung der BGH-Richter

  • ob K. ab dem 1. Oktober 2020 weiter­hin nur rein organi­sa­to­risch tätig war und somit keiner Appro­ba­tion bedurfte.
  • die Anfecht­bar­keit der Ergän­zungs­ver­ein­ba­rung nach § 123 BGB, denn für eine Anfech­tung hätten die Betei­lig­ten erst einmal wissen müssen, dass K. keine Appro­ba­tion besitzt.

Das Ende vom Lied?

Der Senat kann nicht ausschlie­ßen, dass das Urteil auf einem Rechts­feh­ler beruht.

Er hebt mit seiner Entschei­dung am 1. Juni 2023 das Urteil des Landge­rich­tes Hagen samt zugehö­ri­gen Feststel­lun­gen auf. Da eine Betrugs­straf­bar­keit gemäß § 263 Absatz 1 StGB in Betracht kommt, ist auch die Haltung des Landge­rich­tes zur Werter­satz­ein­zie­hung gemäß § 73 StGB nicht tragbar, da es auf die Höhe des Vermö­gens­scha­dens nicht ankommt.

Der Senat verweist den Fall zur neuen Verhand­lung und Entschei­dung zurück an eine andere Kammer des Landge­richts mit dem Hinweis, die getrof­fe­nen Verein­ba­run­gen und das Missver­hält­nis zwischen Arztho­no­ra­ren und dem wirtschaft­li­chen Wert von „Dr. K.s“ Leistung zu prüfen. Dabei sollte das Landge­richt auch die seit dem 8. März 2021 geltende Corona­vi­rus-Testver­ord­nung berück­sich­ti­gen, nach der einem K. ohne Doktor eine wesent­lich gerin­gere Vergü­tung zugestan­den hätte.

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