Vom Ehrenamt zum Doktortitel
Stellen Sie sich bitte einmal folgende Szene vor: K. – der Protagonist unserer Geschichte – sitzt allein in seinem Zimmer. Es ist duster, lediglich der Bildschirm des Computers spendet etwas Licht und zeichnet sein Profil im blassblauen Schein. Doch der Computer ist mehr als eine Lichtquelle in K.s Zimmer – er ist sein Werkzeug. Damit schreitet K. zur Tat.
K. ist mehrfach wegen Betrug und Urkundenfälschung vorbestraft. Sein Sozialpädagogik-Studium hat er abgebrochen. Er engagiert sich ehrenamtlich als Rettungshelfer bei einem Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Doch das ist ihm nicht genug – er möchte sich dort auf die Stelle eines stellvertretenden Rotkreuzarztes bewerben. Das Dokument, das er dazu gerade an seinem Computer fälscht, weist ihn als Arzt aus und bescheinigt ihm ein erfolgreich absolviertes Medizinstudium an einer niederländischen Universität.
Die Szene im dunklen Zimmer ist zwar nur eine Fiktion, die Tat aber ist real – und bleibt nicht ohne Folgen. Die Mitgliederversammlung des DRK-Ortsverbandes wählt K. zum stellvertretenden Rotkreuzarzt. Im September 2019 nimmt „Dr. K.“ seinen Dienst auf. Mehrere Monate fährt der vermeintliche Arzt daraufhin in einem Rettungswagen des DRK mit.
Doch „Dr. K.“ begnügt sich nicht mit dieser Position. Er bescheinigt sich mit einer weiteren Fälschung eine abgelegte Weiterbildungsprüfung zum Arzt für Notfallmedizin. Ab dem späten Sommer 2020 tritt der falsche Doktor bei Einsätzen des DRK nun auch als Notarzt auf und ordnet unter anderem Patienten die Einnahme von Medikamenten an.
500.000 Euro dank Coronapandemie
Als falscher Arzt profitiert „Dr. K.“ auch von der Coronapandemie: Am 14. Juli 2020 schließt der DRK-Kreisverband H. einen Vertrag mit der Stadt H. über die Durchführung von COVID-19-Tests und die Bereitstellung von medizinischem Fachpersonal. DRK-seitig ausgehandelt wurde dieser Vertrag zuvor von „Dr. K.“ – der folglich wie ein Subunternehmer vom DRK mündlich und gegen Bezahlung zur Erfüllung eben dieses Vertrages beauftragt wird.
K. organisiert daraufhin die COVID-19-Testungen und verpflichtet Personal. Er nimmt in Einzelfällen selbst Abstriche vor, im Wesentlichen aber beschränken sich seine Tätigkeiten auf administrative und kaufmännische Aufgaben.
Seinen Aufwand rechnet er nichtsdestotrotz als Arztleistungen ab, vom DRK erhält er mindestens 500.000 Euro, welche das DRK wiederum der Stadt H. zuzüglicher Aufschläge in Höhe von etwa 150.000 Euro in Rechnung stellt.
Maßgeblich ist dabei die vereinbarte Pauschale, die die Stadt H. für Material und Personalkosten im Zuge der COVID-19-Testungen an das DRK zahlt. Diese Pauschale beträgt zunächst 140 Euro pro Stunde und wird einvernehmlich auf 180 Euro und schließlich auf 210 Euro erhöht. „Dr. K.“ bekommt zu seinem stattlichen Einkommen noch ein Büro im Gesundheitsamt samt Doktortitel auf dem Türschild dazu.
Im Zweifel: Noch eine Urkundenfälschung
Anfang September wird „Dr. K.“ eine befristete Anstellung als Arzt im Gesundheitsamt angeboten. Er lehnt ab, handelt mit einer städtischen Vertreterin jedoch eine Ergänzungsvereinbarung für das DRK aus.
Zeitgleich kommen in K.s Umfeld erste Zweifel auf: Ist K. wirklich ein Arzt? Der Vorstand des DRK-Ortsverbandes verlangt Belege, woraufhin K. seine Fälschungen noch um eine Approbationsurkunde ergänzt.
Am 30. September 2020 stimmt die Stadt H. der Ergänzungsvereinbarung zu, die „Dr. K.“ aushandelt hat. Gemäß dieser Vereinbarung verpflichtet sich das DRK dem Gesundheitsamt ab dem 1. Oktober 2020 bis zum 31. März 2021 einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden zur Verfügung zu stellen, was von der Stadt monatlich mit 6.300 Euro vergütet wird. Die Höhe der Vergütung orientiert sich dabei an den Kosten, die üblicherweise für einen Arzt anfallen.
Falscher Arzt erhält 6.000 Euro extra im Monat
K. verpflichtet sich mündlich gegenüber dem DRK als „Arzt im Infektionsschutz zur Bekämpfung der Pandemie“ zur Verfügung zu stehen. So wird er zwar nicht als befristet angestellter Arzt, sondern in Gestellung für das DRK letztendlich doch für das Gesundheitsamt tätig, um dort die einzige Ärztin im Bereich des Infektionsschutzes zu entlasten. Vom DRK erhält K. dafür ein zusätzliches monatliches „Arztgehalt“ von 6.000 Euro
Den Sprung zum Großverdiener versüßt sich der ehemalige Ehrenamtler mit einer weiteren angeblich erfolgreich abgelegten Prüfung, diesmal zum Facharzt für Psychiatrie. Psychiater K. unterstützt das Gesundheitsamt schließlich auch noch auf diesem Gebiet, indem er eine psychiatrische Stellungnahme zur gesundheitlichen Eignung einer Lehramtsanwärterin erstellt. Darüber hinaus führt K. Plausibilitätskontrollen an Todesbescheinigungen durch.
Sein Spiel geht bis zum 18. Januar 2021 gut. Dann wird K. verhaftet.
Das Urteil
Das Landgericht Hagen verurteilt K. am 19. November 2021 wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Absatz 1, 1. und 3. Variante StGB in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten.
Eine Betrugsstrafbarkeit gemäß § 263 Absatz 1 StGB verneint das Gericht und begründet dies unter anderem mit K.s Leistungswilligkeit und dem Wert seiner „Dienstleistung“ – für deren Erbringung ein Arzttitel im Übrigen ja ohnehin nicht erforderlich war.
Auch die Einziehung von Taterträgen gemäß § 73 Absatz 1 StGB wird vom Landgericht abgelehnt, da K. das Geld nicht unmittelbar aus der Tat, sondern auf Basis der vertraglichen Vereinbarung zwischen DRK und Stadt erlangt hat – welche letztendlich aber durch die Urkundenfälschung überhaupt erst zustande gekommen ist.
Die Revision
Die Staatsanwaltschaft hat mit der Revision zu Ungunsten des Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Beanstandet wird die rechtsfehlerhafte Verneinung der Betrugsstrafbarkeit und die ausgebliebene Einziehung des Tatertrags von „Dr. K.“.
Die Revision ist nach Auffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofes (BGH) begründet, das vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Demnach hätte K. auch wegen Betruges nach § 263 Absatz 1 StGB verurteilt werden müssen. Der Senat kann zudem der Annahme des Landgerichtes nicht folgen, nach der kein Vermögensschaden bei den Getäuschten sowohl auf Seiten des DRK als auch der Stadt H. entstanden sein soll. Denn:
„Ein Vermögensschaden gemäß § 263 StGB Absatz 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt. Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet, sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierungen der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt.“
Vereinfacht ausgedrückt stellt sich also die Frage: War „Dr. K.“ das Geld wert?
Für die BGH-Richter ist die Wertung des Landgerichtes hinsichtlich der Ergänzungsvereinbarung nicht nachvollziehbar, denn gemäß dieser sollte das DRK einen Arzt zur Verfügung stellen. K. ist aber nachweislich kein Arzt, daher ist ein Negativsaldo zum Nachteil des DRK und der Stadt H. naheliegend – auch weil aus den Urteilsgründen nichts Abweichendes entnehmbar ist.
Zudem weist der Senat auf das nur auszugsweise wiedergegebene, offen gestaltete Leistungsspektrum hin, welches auch Tätigkeiten, die nur von einem Arzt ausgeübt werden können, umfasst – was K. spätestens mit der psychiatrischen Stellungnahme zu einer Lehramtsanwärterin getan hat.
Nicht nachvollziehbar ist für den Senat daher auch die aus dem Urteil hervorgehende Feststellung, nach der allen Beteiligten klar gewesen sein soll, dass K. für organisatorische Aufgaben vorgesehen war– und nicht für ärztliche Leistungen. Bleibt auch hier die Frage: Warum wurde dann eine Vereinbarung explizit für einen Arzt getroffen?
Die BGH-Richter weisen auf einen weiteren Widerspruch hin: Die Stadt meldet Bedarf an medizinischem Sachverstand, da COVID-19-Testabstriche dem – falschen – Verständnis nach zu diesem Zeitpunkt nur durch ärztliches Personal vorgenommen werden dürfen. Gleichzeitig sollen alle Beteiligten aber davon ausgegangen sein, dass „Dr. K.“ im Rahmen dieser Vereinbarung ausschließlich organisatorisch tätig sein soll – was gemäß Vertrag vom 14. Juli 2020 ohnehin schon gegeben war.
Darüber hinaus sehen die BGH-Vertreter die zusätzliche Vergütung von 6.300 Euro bzw. 6.000 Euro in keinem angemessenen Verhältnis zu der tatsächlich erbrachten Leistung K.s. Für sie ist nicht nachvollziehbar, wie hier das Landgericht keinen Vermögensschaden feststellen konnte.
Nicht relevant für die Frage nach dem Betrug hingegen ist nach Auffassung der BGH-Richter
- ob K. ab dem 1. Oktober 2020 weiterhin nur rein organisatorisch tätig war und somit keiner Approbation bedurfte.
- die Anfechtbarkeit der Ergänzungsvereinbarung nach § 123 BGB, denn für eine Anfechtung hätten die Beteiligten erst einmal wissen müssen, dass K. keine Approbation besitzt.
Das Ende vom Lied?
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf einem Rechtsfehler beruht.
Er hebt mit seiner Entscheidung am 1. Juni 2023 das Urteil des Landgerichtes Hagen samt zugehörigen Feststellungen auf. Da eine Betrugsstrafbarkeit gemäß § 263 Absatz 1 StGB in Betracht kommt, ist auch die Haltung des Landgerichtes zur Wertersatzeinziehung gemäß § 73 StGB nicht tragbar, da es auf die Höhe des Vermögensschadens nicht ankommt.
Der Senat verweist den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an eine andere Kammer des Landgerichts mit dem Hinweis, die getroffenen Vereinbarungen und das Missverhältnis zwischen Arzthonoraren und dem wirtschaftlichen Wert von „Dr. K.s“ Leistung zu prüfen. Dabei sollte das Landgericht auch die seit dem 8. März 2021 geltende Coronavirus-Testverordnung berücksichtigen, nach der einem K. ohne Doktor eine wesentlich geringere Vergütung zugestanden hätte.
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