Einer der größten Medizinskandale in Deutschland
Es ist einer der größten Medizinskandale in Deutschland. 2016 wurde der Fall vom Bottroper Apotheker Peter S. aufgedeckt. Zwei Jahre später wurde er nach einem Strafverfahren vor dem Landgericht in Essen zu zwölfjähriger Freiheitsstrafe verurteilt. Jahrelang hatte er Krebspatientinnen und ‑patienten mit falsch dosierten Medikamenten versorgt und dabei ein Vermögen angehäuft.
Verurteilt wurde er letztlich wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und Abrechnungsbetrug. Das Gericht berechnete für den Abrechnungsbetrug bei den Krankenkassen einen Gesamtschaden von 17.943.846 Euro. Neben der Freiheitsstrafe ordnete das Gericht an dieses Vermögen einzuziehen. Zudem verhängte es ein lebenslanges Berufsverbot gegen Peter S.
Wie das Gericht im Urteil mitteilte, habe er als Apotheker fünf Jahre lang Krebskranke mit unterdosierten Arzneimitteln versorgt, „um sich selbst ein Luxusleben zu finanzieren und sich in seiner Heimatstadt als Gönner und Wohltäter aufzuspielen“.
Arzneimittelzubereitung nach Maß
Neben dem gewöhnlichen Apothekenbetrieb hatte sich Peter S. darauf spezialisiert, individuelle Arzneimittel für die Krebstherapie herzustellen. Diese verkaufte er auch an onkologische Arztpraxen und Krankenhäuser. Die Zubereitungen der Medikamente wurden teils von ihm selbst und teils von bestimmten Mitarbeitenden in einem speziellen Reinraumlabor hergestellt.
„Rechtlich hat die Kammer dem Angeklagten sämtliche Fälle nach den Regeln des uneigentlichen Organisationsdelikts zugerechnet“, teilte das Gericht mit. Das bedeutet, dass trotz Beiträgen von Mittätern und Gehilfen die Abläufe in einer Tat zusammengefasst werden. Deshalb muss sich Peter S. auch für alle gemischten Medikamente verantworten. Rund 40 Millionen Euro Jahresumsatz soll Peter S. mit zuletzt circa 90 Mitarbeitenden mit seiner Apotheke erzielt haben.
Von 2012 bis 2016 habe er 61.863 Zubereitungen ausgeliefert, von denen 14.498 nicht den deklarierten Wirkstoff in der ärztlich verschriebenen Menge enthielten. Es fanden sich teils unterdosierte Medikamente, teils Medikamente ohne jeglichen Wirkstoff oder welche mit falschem Wirkstoff.
Gericht stellt keine konkreten gesundheitlichen Schäden fest
Im Urteil stellt das Gericht zudem eine entscheidende Tatsache klar: „Die Kammer konnte nicht feststellen, dass ein konkreter Patient, dem eine unterdosierte Zubereitung verabreicht wurde, aufgrund der Unterdosierung verstarb oder sich aufgrund der Unterdosierung sein Leben verkürzte oder er in Lebensgefahr geriet.“
Dieser strafrechtliche Hintergrund – also die Feststellung, dass das Fehlverhalten von Peter S. tatsächlich konkret Personen schädigte – ist jedoch für die Frage nach Schmerzensgeld oder Schadensersatz von enormer Wichtigkeit.
In Zivilprozessen kommt es nämlich genau darauf an: Wer um Schadensersatz klagen möchte, muss vor Gericht nachweisen können, dass derjenige oder diejenige, gegen den er oder sie klagt, auch tatsächlich einen konkreten Schaden verursacht hat.
Im Fall von Krebserkrankten ist das zusätzlich schwer. Krebs an sich ist oftmals eine tödliche Krankheit und hier nachzuweisen, dass die falschen beziehungsweise falsch dosierten Krebsmedikamente ursächlich für den Tod oder zumindest eine schwere körperliche Schädigung ist und nicht die Krankheit selbst, ist so gut wie unmöglich.
Das hat nun auch der strafrechtliche Prozess gegen Peter S. gezeigt.
Kein Schadensersatz für von falschen Krebsmedikamenten Betroffene?
Doch was passiert nun mit den circa 2.000 Betroffenen, die von Peter S. gepanschte Krebsmedikamente erhalten haben? Im Oktober 2022 gingen rund 30 Schadensersatzprozesse vor dem Landgericht in Essen los.
Es handelt sich um frühere Patientinnen und Patient sowie Angehörigen von bereits Verstorbenen, die auf Schmerzensgeld klagen. Wie die Prozesse letztlich ausgehen, wird sich zeigen. Einfach werden sie jedoch nicht.
Im Februar 2022 gab es bereits ein erstes Verfahren vor dem Landgericht, bei dem die Witwe eines 63-jährigen Krebspatienten 25.000 Euro Schadensersatz von Peter S. beziehungsweise seinem Insolvenzverwalter forderte. Am Ende sprach das Gericht der Frau tatsächlich 10.000 Euro zu.
Das Geld soll sie aber nicht wegen gesundheitlicher Beeinträchtigung bekommen, die durch die Unterdosierung des Krebsmedikaments hervorgerufen wurde. Grund ist vielmehr die psychische Belastung, der ihr Mann ausgesetzt war. Schwierigkeit in diesem Prozess war ebenfalls die Unklarheit darüber, ob tatsächlich das falsch gemischte Krebsmedikament zum verfrühten Tod ihres Mannes geführt habe.
Kleine Abhilfe vom Land
Abhilfe hat Nordrhein-Westfalen mit einer Pauschallösung versprochen. Für die Betroffenen des Verbrechens hat das Land insgesamt 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Demnach haben alle Menschen Anspruch auf einen Pauschalbetrag von 5.000 Euro, die nachweisen können, im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 28. November 2016 Krebsmedikamente aus der Bottroper Apotheke von Peter S. gekauft zu haben.
Die gekauften Medikamente müssen allerdings auch in der Apotheke produziert worden sein. Anspruch auf die 5.000 Euro haben so auch die Hinterbliebenen von bereits verstorbenen Krebspatientinnen und ‑patienten.
Der Kreis derer, die Anspruch auf die Entschädigungszahlung haben, hat NRW jüngst am 9. Dezember 2022 erweitert. Zuvor wurden diejenigen von der Entschädigung ausgeschlossen, die nur gering dosierte Medikamente bekommen hatten.
Die Frist zur Einreichung der Anträge wurde auf den 31. März 2023 verlängert. Für alle, denen jetzt erst Anspruch auf die Zahlungen gewährt wurde, haben bis Ende Juni Zeit um einen Antrag zu stellen.
Wie der WDR berichtete, sei der Entschädigungs-Pool von 10 Millionen Euro kaum angerührt worden. Grund dafür könnte sein, dass die Betroffenen nicht mitbekommen haben, dass sie Anspruch auf 5.000 Euro haben.