Aus Doktorin wurde Betrügerin
In 16 Fällen werden einer Frau Körperverletzungs- und Tötungsdelikte vorgeworfen, die sie als „Anästhesistin“ zu verantworten hat. Alle Vorfälle ereigneten sich in einem Zeitraum von vier Monaten. Zu dieser Zeit arbeitete sie in einem Krankenhaus in der Orthopädie und war dort eigenverantwortlich als Narkoseärztin eingesetzt. Das Problem: Eine Ärztin war sie in Wirklichkeit nicht.
Sichtlich ohne Kompetenz führte sie inadäquate oder zu langsame Behandlungen durch, hat Krisensituation nicht erkannt, medizinische Maßnahmen unternommen, die sinnlos waren und dafür medizinisch gebotene Maßnahmen unterlassen. In drei Fällen führte ihre fehlerhafte Narkosebehandlung kausal zum Tod der Patienten.
Doch wie kam sie überhaupt in diese Position? Nachdem sie ihr Studium als Diplom-Biologin beendet hatte, fertigte sie ihre Promotionsschrift an. Nebenher arbeitete sie noch als Honorardozentin und unterrichtete Anatomie und Krankheitslehre.
Die Stelle als Dozentin behielt sie aber nicht lange. Die Akademie war mit ihrer Leistung nicht zufrieden und beendete die Zusammenarbeit.
Und auch von ihrem schließlich erlangten Doktorgrad musste sie sich später verabschieden. Im Laufe eines Strafverfahrens wurde festgestellt, dass ihre Promotionsarbeit ein Plagiat war.
Mit gefälschter Approbationsurkunde und unrichtigem Lebenslauf bewarb sie sich schließlich als Assistenzärztin in besagtem Krankenhaus. Im Lebenslauf hatte sie fälschlicherweise angegeben, ein Medizin-Studium absolviert zu haben. Die Täuschung flog nicht auf und sie wurde eingestellt. Ein schwerwiegender Fehler, der vor Gericht endete.
Anklage wegen Mordes
Die Vergehen der heute 53-jährigen Frau führten zu einer langen Anklageliste vor Gericht. In erster Instanz hat sie das LG Kassel wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen in zwei Fällen und wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnung in vier Fällen verurteilt.
In den drei Fällen mit kausal tödlicher Folge hat das Landgericht die Frau wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen.
In zehn Fällen, in denen nicht sicher war, ob ihre fehlerhafte Behandlung für den Tod des Patienten verantwortlich war, wurde sie wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln verurteilt.
In drei weiteren Fällen hat das Landgericht Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubten Verabreichen von Betäubungsmitteln angenommen.
Insgesamt hat das Gericht die Frau zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Tat festgestellt.
Verurteilung wegen Mordes ist zweifelhaft
Gegen das Urteil des Landgerichts ging die falsche Ärztin in Revision – mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof erhob rechtliche Bedenken in Bezug auf die Verurteilung wegen Mordes bzw. versuchten Mordes.
Das Gericht in erster Instanz hätte nicht tragfähig begründen können, warum in den vorgetragenen Fällen ein Tötungsvorsatz gegeben sein sollte.
Ein Tötungsvorsatz liegt nämlich dann vor, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt (Wissenselement).
Es kann auch dann von einem Tötungsvorsatz ausgegangen werden, wenn der Täter sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).
Landgericht hätte zusätzliche Prüfungen unternehmen müssen
Um sowohl das Wissens- als auch das Willenselement zu prüfen hätte das Landgericht eine umfassende Prüfung der subjektiven Tatumstände unternehmen müssen. Dazu zählt auch eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit der Täterin und ihrer psychischen Verfassung.
Ebenso muss die Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – so etwa die Angriffsweise – ergründet werden. Hierbei ist auch die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung entscheidend.
Die objektive Befundlage ist aber nur im ersten Fall eines Getöteten umfassend begründet worden. Hinsichtlich der anderen Tötungsdelikte hält die Überprüfung rechtlichen Anforderungen nicht stand.
Das liegt daran, dass sich die objektive Befundlage in den nachfolgenden Fällen maßgeblich vom ersten unterscheiden. Einerseits in Bezug auf die Fähigkeiten der Angeklagten zu Beginn des Tatzeitraums und andererseits in Bezug auf ihre Erfahrungen, die sie zumindest im Laufe der Zeit im Zusammenhang mit den Folgen ihrer Behandlung gemacht hat.
Ob und welchen Einfluss dies auf die Bewertung der subjektiven Tatseite gehabt hat, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Zum anderen fehlt es an der für die Vorsatzprüfung erforderlichen Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände.
Insbesondere vorsatzkritische Gesichtspunkte wurden nicht in ausreichendem Maße in den Blick genommen, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das bei rechtsfehlerfreier Wertung vor allem für Taten zu Beginn der Anästhesietätigkeit der Angeklagten ein bedingter Tötungsvorsatz hätte ausgeschlossen werden können.
FAQ
Weshalb wurde die falsche Ärztin angeklagt?
Die falsche Ärztin wurde angeklagt, weil sie mit gefälschten Dokumenten und falschen Angaben eine Stelle als Anästhesistin erhielt und dadurch mehrere Patienten durch unsachgemäße Narkosebehandlung schwer verletzte oder tötete. Ihre fehlerhafte Behandlung führten in drei Fällen zum Tod der Patienten.
Wann kann man von einem Tötungsvorsatz sprechen?
Tötungsvorsatz besteht, wenn im Handeln des Täters Wissens- und dem Willenselement ersichtlich werden. Beim Wissenselement geht es darum, dass der Täter die möglichen Folgen seines Handelns erkennt und akzeptiert. Das Willenselement liegt vor, wenn der Täter den Tod in Kauf nimmt, um ein Ziel zu erreichen, selbst wenn ihm der Todeseintritt unerwünscht ist. Wichtig sind dabei die Umstände, Motivation und psychische Verfassung des Täters.
Warum wurde das Mordurteil gegen die falsche Ärztin aufgehoben?
Das Urteil gegen die falsche Ärztin wurde aufgehoben, weil der Bundesgerichtshof rechtliche Bedenken hinsichtlich der Begründung des Tötungsvorsatzes hatte. Das Landgericht Kassel konnte nicht ausreichend darlegen, dass die Angeklagte den Tod der Patientin bewusst in Kauf nahm.
Quelle: BGH vom 20. Februar 2024 – 2 StR 468/22 = RDG 2024, S. 206 ff.