Anästhesistin
Eine falsche „Anästhe­sis­tin“ hat mehrere Tode unter ihrer Aufsicht zu verant­wor­ten. Bild: © Denny Gruner | Dreamstime.com

Aus Dokto­rin wurde Betrü­ge­rin

In 16 Fällen werden einer Frau Körper­ver­let­zungs- und Tötungs­de­likte vorge­wor­fen, die sie als „Anästhe­sis­tin“ zu verant­wor­ten hat. Alle Vorfälle ereig­ne­ten sich in einem Zeitraum von vier Monaten. Zu dieser Zeit arbei­tete sie in einem Kranken­haus in der Ortho­pä­die und war dort eigen­ver­ant­wort­lich als Narko­se­ärz­tin einge­setzt. Das Problem: Eine Ärztin war sie in Wirklich­keit nicht.

Sicht­lich ohne Kompe­tenz führte sie inadäquate oder zu langsame Behand­lun­gen durch, hat Krisen­si­tua­tion nicht erkannt, medizi­ni­sche Maßnah­men unter­nom­men, die sinnlos waren und dafür medizi­nisch gebotene Maßnah­men unter­las­sen. In drei Fällen führte ihre fehler­hafte Narko­se­be­hand­lung kausal zum Tod der Patien­ten.

Doch wie kam sie überhaupt in diese Position? Nachdem sie ihr Studium als Diplom-Biolo­gin beendet hatte, fertigte sie ihre Promo­ti­ons­schrift an. Neben­her arbei­tete sie noch als Honorar­do­zen­tin und unter­rich­tete Anato­mie und Krank­heits­lehre.

Die Stelle als Dozen­tin behielt sie aber nicht lange. Die Akade­mie war mit ihrer Leistung nicht zufrie­den und beendete die Zusam­men­ar­beit.

Und auch von ihrem schließ­lich erlang­ten Doktor­grad musste sie sich später verab­schie­den. Im Laufe eines Straf­ver­fah­rens wurde festge­stellt, dass ihre Promo­ti­ons­ar­beit ein Plagiat war.

Mit gefälsch­ter Appro­ba­ti­ons­ur­kunde und unrich­ti­gem Lebens­lauf bewarb sie sich schließ­lich als Assis­tenz­ärz­tin in besag­tem Kranken­haus. Im Lebens­lauf hatte sie fälsch­li­cher­weise angege­ben, ein Medizin-Studium absol­viert zu haben. Die Täuschung flog nicht auf und sie wurde einge­stellt. Ein schwer­wie­gen­der Fehler, der vor Gericht endete.

Anklage wegen Mordes

Die Verge­hen der heute 53-jähri­gen Frau führten zu einer langen Ankla­ge­liste vor Gericht. In erster Instanz hat sie das LG Kassel wegen Betrugs in Tatein­heit mit Urkun­den­fäl­schung und Missbrauch von Berufs­be­zeich­nun­gen in zwei Fällen und wegen Missbrauchs von Titeln und Berufs­be­zeich­nung in vier Fällen verur­teilt.

In den drei Fällen mit kausal tödli­cher Folge hat das Landge­richt die Frau wegen Mordes aus niedri­gen Beweg­grün­den in Tatein­heit mit unerlaub­tem Verab­rei­chen von Betäu­bungs­mit­teln schul­dig gespro­chen.

In zehn Fällen, in denen nicht sicher war, ob ihre fehler­hafte Behand­lung für den Tod des Patien­ten verant­wort­lich war, wurde sie wegen versuch­ten Mordes in Tatein­heit mit gefähr­li­cher Körper­ver­let­zung und unerlaub­tem Verab­rei­chen von Betäu­bungs­mit­teln verur­teilt.

In drei weite­ren Fällen hat das Landge­richt Straf­bar­keit wegen gefähr­li­cher Körper­ver­let­zung in Tatein­heit mit unerlaub­ten Verab­rei­chen von Betäu­bungs­mit­teln angenom­men.

Insge­samt hat das Gericht die Frau zu einer lebens­lan­gen Gesamt­frei­heits­strafe verur­teilt und die beson­dere Schwere der Tat festge­stellt.

Verur­tei­lung wegen Mordes ist zweifel­haft

Gegen das Urteil des Landge­richts ging die falsche Ärztin in Revision – mit Erfolg. Der Bundes­ge­richts­hof erhob recht­li­che Beden­ken in Bezug auf die Verur­tei­lung wegen Mordes bzw. versuch­ten Mordes.

Das Gericht in erster Instanz hätte nicht tragfä­hig begrün­den können, warum in den vorge­tra­ge­nen Fällen ein Tötungs­vor­satz gegeben sein sollte.

Ein Tötungs­vor­satz liegt nämlich dann vor, wenn der Täter den Tod als mögli­che, nicht ganz fernlie­gende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt (Wissens­ele­ment).

Es kann auch dann von einem Tötungs­vor­satz ausge­gan­gen werden, wenn der Täter sich um des erstreb­ten Zieles willen zumin­dest mit dem Eintritt des Todes abfin­det, mag ihm der Erfolgs­ein­tritt auch gleich­gül­tig oder an sich unerwünscht sein (Willens­ele­ment).

Landge­richt hätte zusätz­li­che Prüfun­gen unter­neh­men müssen

Um sowohl das Wissens- als auch das Willens­ele­ment zu prüfen hätte das Landge­richt eine umfas­sende Prüfung der subjek­ti­ven Tatum­stände unter­neh­men müssen. Dazu zählt auch eine Ausein­an­der­set­zung mit der Persön­lich­keit der Täterin und ihrer psychi­schen Verfas­sung.

Ebenso muss die Motiva­tion und die für das Tatge­sche­hen bedeut­sa­men Umstände – so etwa die Angriffs­weise – ergrün­det werden. Hierbei ist auch die objek­tive Gefähr­lich­keit der Tathand­lung entschei­dend.

Die objek­tive Befund­lage ist aber nur im ersten Fall eines Getöte­ten umfas­send begrün­det worden. Hinsicht­lich der anderen Tötungs­de­likte hält die Überprü­fung recht­li­chen Anfor­de­run­gen nicht stand.

Das liegt daran, dass sich die objek­tive Befund­lage in den nachfol­gen­den Fällen maßgeb­lich vom ersten unter­schei­den. Einer­seits in Bezug auf die Fähig­kei­ten der Angeklag­ten zu Beginn des Tatzeit­raums und anderer­seits in Bezug auf ihre Erfah­run­gen, die sie zumin­dest im Laufe der Zeit im Zusam­men­hang mit den Folgen ihrer Behand­lung gemacht hat.

Ob und welchen Einfluss dies auf die Bewer­tung der subjek­ti­ven Tatseite gehabt hat, lassen die Urteils­gründe nicht erken­nen. Zum anderen fehlt es an der für die Vorsatz­prü­fung erfor­der­li­chen Gesamt­schau aller maßgeb­li­chen Umstände.

Insbe­son­dere vorsatz­kri­ti­sche Gesichts­punkte wurden nicht in ausrei­chen­dem Maße in den Blick genom­men, weshalb nicht ausge­schlos­sen werden kann, dass das bei rechts­feh­ler­freier Wertung vor allem für Taten zu Beginn der Anästhe­sie­tä­tig­keit der Angeklag­ten ein beding­ter Tötungs­vor­satz hätte ausge­schlos­sen werden können.

FAQ

Weshalb wurde die falsche Ärztin angeklagt?

Die falsche Ärztin wurde angeklagt, weil sie mit gefälsch­ten Dokumen­ten und falschen Angaben eine Stelle als Anästhe­sis­tin erhielt und dadurch mehrere Patien­ten durch unsach­ge­mäße Narko­se­be­hand­lung schwer verletzte oder tötete. Ihre fehler­hafte Behand­lung führten in drei Fällen zum Tod der Patien­ten.

Wann kann man von einem Tötungs­vor­satz sprechen?

Tötungs­vor­satz besteht, wenn im Handeln des Täters Wissens- und dem Willens­ele­ment ersicht­lich werden. Beim Wissens­ele­ment geht es darum, dass der Täter die mögli­chen Folgen seines Handelns erkennt und akzep­tiert. Das Willens­ele­ment liegt vor, wenn der Täter den Tod in Kauf nimmt, um ein Ziel zu errei­chen, selbst wenn ihm der Todes­ein­tritt unerwünscht ist. Wichtig sind dabei die Umstände, Motiva­tion und psychi­sche Verfas­sung des Täters.

Warum wurde das Mordur­teil gegen die falsche Ärztin aufge­ho­ben?

Das Urteil gegen die falsche Ärztin wurde aufge­ho­ben, weil der Bundes­ge­richts­hof recht­li­che Beden­ken hinsicht­lich der Begrün­dung des Tötungs­vor­sat­zes hatte. Das Landge­richt Kassel konnte nicht ausrei­chend darle­gen, dass die Angeklagte den Tod der Patien­tin bewusst in Kauf nahm.

Quelle: BGH vom 20. Februar 2024 – 2 StR 468/22 = RDG 2024, S. 206 ff.