Nehmen wir mal an, es tritt das ein, was sich die meisten Pflegekräfte seit langem wünschen: Die Pflege wird fair bezahlt. Welche Auswirkungen hätte diese Veränderung auf den Pflegeberuf? Würden sich vielleicht durch einen fairen Lohn in der Pflege mehr Leute bewerben? Und wie teuer wird dann ein Heimplatz?
Diesen und weiteren Fragen hat sich der Tagesschau Zukunfts-Podcast „mal angenommen“ gewidmet und dazu auch mit einigen Experten und Expertinnen gesprochen. Wir haben die wichtigsten Ergebnisse des Gedankenexperiments einmal zusammengefasst.
Was sollten Pflegekräfte verdienen?
Ab wann sprechen wir überhaupt von einer fairen Bezahlung? Soziologin Ute Klammer von der Uni Duisburg hat sich diesem Thema schon einmal angenommen:
In den Untersuchungen wurden einzelne Berufe nach ihrer Gesamtbelastung gerankt. Dabei stellte sich heraus, dass Pflegekräfte ungefähr auf dem gleichen „Belastungslevel“ liegen wie beispielsweise Ingenieure.
Während Ingenieure eine lange Ausbildung hinter sich haben und zudem eine hohe Verantwortung für ihre Maschinen tragen (dies wiegt im Ranking recht schwer), werden Pflegekräfte vor allem durch die körperliche Anstrengung und den psychischen Stress stark belastet.
Addiert man alle Faktoren, liegen beide Berufe im Ranking etwa gleichauf. Im Schnitt erhält ein Ingenieur ein Einstiegsgehalt von rund 51.000 Euro pro Jahr, also etwas mehr als 4.000 Euro Brutto im Monat.
Setzt man Pflegekräfte auf das gleiche Lohnlevel wie Ingenieure, würden sie durchschnittlich also um die Hälfte mehr verdienen als jetzt. In der Altenpflege sei die Steigerung sogar noch größer, sodass die Altenpflege und Krankenpflege etwa gleichauf liegen würden.
Auch in diesem Szenario wären Hilfskräfte weiterhin schlechter bezahlt. Jedoch würde auch ihr Gehalt im Vergleich zum jetzigen angehoben werden.
Bessere Bezahlung gleich mehr Bewerber?
Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine höhere Bezahlung ausreicht, um mehr Menschen in den Pflegeberuf zu locken. Krankenschwester und ehemalige Altenpflegerin Kim Peters aus Hamburg glaubt, dass es mehr bräuchte, vor allem bessere Arbeitsbedingungen.
Ein höheres Gehalt verschaffe Pflegekräften zunächst einmal eine bessere Lebensqualität. Es wäre zudem ein Zeichen höherer Wertschätzung. Man dürfe schließlich nicht vergessen, was Pflegekräfte alles leisten, so Peters. Für die schwere Arbeit mit kranken oder hilfsbedürftigen Menschen würden Pflegekräfte einfach zu wenig verdienen, es gehe schließlich auch um Menschenleben.
Würde die Belastung abnehmen, beispielsweise durch mehr Personal, würde die Arbeit viel angenehmer werden. Es gäbe weniger Druck und bessere Arbeitszeiten. Auch die soziale Ausgrenzung, die sich durch Wochenend- und Feiertagsarbeit durch den Pflegeberuf zieht, würde abnehmen.
Es braucht also vor allem mehr Fachkräfte. Ob diese durch eine höhere Bezahlung gewonnen werden können, bezweifelt Dr. Mona Granato vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Für junge Leute sei mehr Geld sicherlich ein guter Anreiz, besonders für die, die sich eigetlich sicher sind, in den Pflegebruf zu wollen. Auch die Anzahl männlicher Pflegekräfte könne durch bessere Löhne steigen.
Daneben seien heutzutage jedoch noch andere Faktoren für die Berufswahl entscheidend. Die soziale Anerkennung zum Beispiel spiele aktuell bei der Berufswahl eine große Rolle: Was halten meine Eltern und Freunde wohl davon, wenn ich in der Pflege arbeiten möchte?
Man müsse also auch das gesellschaftliche Ansehen des Berufs erhöhen. Auch dies gelinge durch bessere Arbeitsbedingungen. Die Frage sei nur, wie lange es dauert, bis sich die Arbeitssituation der Pflegekräfte verbessert.
Ist das Prestige der Pflege hoch stellt sich zudem noch die Frage, ob auf der anderen Seite die Zahl der medizinischen Fachangestellten und Hilfskräfte bei niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen abnehmen würde, wenn sich mehr Leute für die Pflege entscheiden. Auch hier bräuchte es dann wohl Lohnerhöhungen, um einem solchen Trend entgegenzuwirken. Letztlich müssten Bezahlung und Arbeitsbedingungen in beiden Berufsfeldern stimmen.
Woher käme das Geld?
Pro Kopf gibt Deutschland etwa 4.700 Euro im Jahr für Gesundheit aus. Damit liegt Deutschland europaweit auf Platz 1. Allerdings gibt es in Deutschland auch das Problem der Überversorgung. Nirgendwo werden so viele Hüft-Operationen und Kernspin-Versorgungen durchgeführt wie hier. Zudem stehen in Deutschland viele kleine, ländliche Krankenhäuser.
Könne man nicht hier einsparen und das Geld dann in die Pflege stecken? Politisch sei dies nicht durchsetzbar. Florian Lanz von der Gesetzlichen Krankenversicherung fehle die Fantasie, wo man im Gesundheitssystem so viel Geld zurücklegen könnte, dass sich von diesem Geld die Pflegelöhne ernsthaft verbessern würden.
Man bräuchte daher zusätzliches Geld im System. Aus welchem Topf dies kommen soll sei egal. Letztlich müssten alle Bürger und Bürgerinnen dazu beitragen, zum Beispiel durch höhere Steuern.
Wie viel Geld bräuchten wir für eine fairen Lohn in der Pflege?
Für die aktuell 1,7 Millionen beschäftigten Pflegekräfte in Deutschland wären laut Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Uni Bremen knapp 5 Prozent der Gesamtgesundheitsausgaben von Nöten. Klingt wenig, bei Betrachtung der Gesamtausgaben in Höhe von 400 Milliarden Euro, klingen 20 Milliarden jedoch noch äußerst viel.
Die einfachste Lösung seien höhere Beitragssätze. Dies könne gerade in der Langzeitpflege jedoch für Probleme sorgen. Die höheren Heimkosten bleiben letztendlich an den Heimbewohnern und Heimbewohnerinnen und deren Angehörigen hängen. Es bestehe die Gefahr, dass die Eigenanteile im Prinzip unbezahlbar werden könnten, so Rothgang. Eine Finanzreform in der Pflegeversicherung müsse zunächst vollzogen werden, damit die Personalkostensteigerung nicht auf Kosten der Bewohner und Bewohnerinnen geht.
Geschieht dies nicht, so würden womöglich mehr Leute daheim gepflegt werden, gestemmt von den eigenen Angehörigen oder mit Hilfe eines Pflegedienstes. Die familiären Kapazitäten seien jedoch ebenfalls begrenzt, irgendwann sei auch hier nichts mehr möglich. Schon jetzt seien deshalb etwa eine halbe Million ausländischer Pflegekräfte in der Heimpflege tätig.
Andere Länder als Vorreiter?
Betrachtet man die Gesundheitssysteme anderer Länder, so lassen sich hier einige gute Puzzleteile für eine Verbesserung der Pflege finden.
Dänemark setzt beispielsweise bei Krankenhäusern auf Qualität statt Quantität. Es gibt wenige Einrichtungen, dafür dort aber viele Pflegekräfte und bessere Arbeitsbedingungen. In der Altenpflege können Angehörige stärker eingebunden und sogar in Kommunen angestellt werden.
Die Niederlande überzeugen schon länger mit dem Pflegemodell Buurtzorg. Hier haben ambulante Pflegeteams weniger bürokratische Aufgaben und dadurch mehr Zeit für ihre Patienten und Patientinnen.
In der Schweiz, den USA und Großbritannien gibt es die Pflege zudem als Studienfach. Studierte Pflegekräfte können anschließend ärztliche Aufgaben übernehmen und erhalten somit bessere Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten.
Jedoch bräuchte es auch hier weiterhin Pflegekräfte für die „schwere“ Arbeit am Menschen. Diese müssten ebenfalls besser bezahlt werden, womit wir wieder am Anfangsszeanrio stehen.
Weitere Probleme – Gerwerkschaft als Lichtblick?
Spätesten seit Beginn der Coronapandemie ist das Thema um gerechte Löhne in der Pflege wohl relevenater denn je. Es gab zwar einen Pflegebonus und die Anerkennung durch das Klatschen auf den Balkonen. Viel mehr hat sich jedoch seitdem nicht getan.
Eigentlich sind sich alle Akteure einig, dass die Pflege besser bezahlt werden muss. Eine angedachte Lösung ist kürzlich erst gescheitert: Ein flächendeckender Tarifvertrag, der für höhere Löhne gesorgt hätte, wurde aus finanziellen Gründen von den Kirchen und Privaten abgelehnt. Die Mitstreiter konnten den Vertrag am Ende nicht durchsetzen.
Laut Prof. Dr. Heinz Rothgang seien Pflegekräfte in einer guten Marktposition. Würden sie sich besser organisieren, zum Beispiel per Gewerkschaft statt „einem halben Duzend zerstrittener Berufsverbände“, wäre wohl gerade bei privaten Einrichtungsträgern mehr möglich. Pflegekräfte müssten demnach weiter Druck machen und für eine bessere Situation kämpfen.
Der Druck nimmt druch den bundesweiten Fachkräftemangel weiter zu. Es fehlen insgesamt 40.000 Pflegekräfte. Durch Berufsaussteiger nach der Coronapandemie und die Alterung der Gesellschaft würde sich diese Zahl noch weiter erhöhen. Deshalb sei es wichtiger denn je, gute Anreize für eine Beschäftigung in der Pflege zu schaffen.
Schafft man es, die Löhne in der Pflege zu erhöhen, werden womöglich auch Beschäftigte in anderen Sektoren laut. Auch Köche und Köchinnen, Lehrkräfte und Erzieher und Erzieherinnen seien in Deutschland schlecht bezahlt, so Ute Klammer.
Fazit
Angenommen: Wir befinden uns in dem Zukunftsszenario „Fairer Lohn in der Pflege“. Was dann?
Im schlechtesten Fall:
- Gibt es mehr Lohn, aber die Arbeitsbedingungen bleiben schlecht
- Die Bewerberzahlen bleiben niedrig und der Fachkräftemangel beständig
- Die Kosten in der Pflege steigen und fallen den Bewohnern und Bewohnerinnen und Familien zur Last. Es wird mehr zuhause gepflegt
- Für Menschen, für die die Heimpflege alternativlos ist, muss der Staat zuschießen. Dies gelingt durch höhere Steuern
Im besten Fall:
- Gibt es einen fairen Lohn
- Pflegekräfte arbeiten deshalb lieber. Die gute Atmosphäre tut den Heimbewohnern und Heimbewohnerinnen sowie den Kollegen und Kolleginnen gut
- Der Beruf ist attraktiver und angesehener. Es bewerben sich mehr junge Leute
- Pflegekräfte können studieren und ärztliche Aufgaben übernehmen. Auch dies wirkt dem Personalmangel entgegen
- Durch die Organisation in einer Gewerkschaft könnten Pflegekräfte ihre Situation selbst verbessern. Die benötigten Kosten für die Pflege werden durch Ersparnisse bei doppelten Untersuchungen oder kleinen Krankenhäusern mit getragen
- Ein Steuerzuschuss ist weiterhin nötig
Den kompletten Podcast gibt es in der Tagesschau-Mediathek und überall, wo es Podcasts gibt.
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Quelle: Tagesschau Zukunfts-Podcast „mal angenommen“ vom 1.4.2021