Sind Ersthelfer für Fehler haftbar?
Erste-Hilfe-Situationen sind vor allem eins: unvermittelt. Deshalb stellen sie auch für Menschen, die beruflich mit Lebensrettung zu tun haben, eine große Herausforderung dar. Letztlich ist auch eine Ärztin oder ein Arzt vom Notfall ähnlich unvorbereitet betroffen wie alle anderen auch.
Für medizinische Behandlungen gelten normalerweise strenge Sorgfaltspflichten. Diese müssen aus situativen Gründen in einem medizinischen Notfall herabgesetzt werden. Daraus ergibt sich jedoch kein Freifahrtschein für Ersthelfer.
Auch im Rahmen einer Ersten Hilfe müssen sich Betroffene für Fahrlässigkeit und Vorsatz verantworten. Sogar in Notfallsituationen orientieren sich die Sorgfaltspflichtanforderungen deshalb am Maßstab des § 276 Absatz 2 BGB.
„Fahrlässiges“ Eingreifen als Ersthelfer
So lautet die besagte Vorschrift: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt“. Diese Aussage erscheint auf den ersten Blick völlig unmissverständlich – doch das ist sie nicht.
Denn es gibt zum einen keinen generellen, allgemein gültigen Sorgfaltsmaßstab. Je nach Sachverhaltskonstellation können sich, in Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Handlungen, durchaus unterschiedliche Sorgfaltskriterien herausbilden. Zum anderen hat sich der Sorgfaltsmaßstab, der in einer ganz konkreten Situation als „erforderlich“ anzusehen ist, auch an die besonderen Umstände dieser Situation zu orientieren.
So sind beispielsweise die in nahezu jeder Notfallsituation objektiv vorliegenden Mangelumstände an Versorgungsmaterialien natürlich mitzuberücksichtigen.
Aus alledem erscheint es nur folgerichtig, dass der Begriff der „erforderlichen Sorgfalt“ keiner starren juristischen Definition unterliegt. Vielmehr gilt es diesen, unter der Berücksichtung der Besonderheiten des Einzelfalls, jeweils neu auszufüllen.
Erste Hilfe als Laie
Laien haben aber grundsätzlich nichts zu befürchten, wenn sie in Erste-Hilfe-Situationen Fehler machen – sofern sie dabei gewissenhaft vorgehen. Zur besseren Orientierung sollte sich ein in der Rolle des Ersthelfers befindliche Laie immer vor Augen führen, wie ein ordentlicher und gewissenhafter medizinischer Notfallhelfer typischerweise in der konkreten Situation handeln würde.
Zum Schadensersatz können Laienhelfer im Übrigen nur herangezogen werden, wenn sie grob fahrlässig oder vorsätzlich handeln.
Grobe Fahrlässigkeit kann Ersthelfern dabei nur in Ausnahmefällen vorgeworfen werden und zwar immer dann, wenn einfachste Überlegungen nicht gemacht wurden – wie etwa die Unfallstelle auf einer dicht befahrenen Straße abzusichern.
Vorsätzlich handeln jene, die bewusst oder gewollt einen Schaden verursachen und Verletzungen zufügen. Es reicht hierbei schon, diese Dinge billigend in Kauf zu nehmen.
Wer nach bestem Wissen und Gewissen handelt, ist in Erste-Hilfe-Situationen also auf der sicheren Seite. Das heißt, selbst wenn die Erste-Hilfe-Maßnahme zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei der betroffenen Person führt, können Ersthelfer nicht haftbar gemacht werden. Das gilt auch dann, wenn die verunglückte Person stirbt.
Dass eine Person nicht weiß, wie Erste-Hilfe-Praktiken in der Regel ablaufen, kann ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Erste Hilfe ist somit immer nach eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten zu leisten.
Sollte ein Ersthelfer während der Erste-Hilfe-Maßnahme einen Sachschaden verursachen – zum Beispiel zerrissene Kleidung – muss er sich auch hierfür nicht verantworten.
Erste Hilfe als Profi
Während Laien in Erste-Hilfe-Situationen kaum Konsequenzen befürchten müssen, haben Profis etwas mehr Verantwortung. Ärztinnen und Ärzte, die außerhalb ihres Dienstes Erste Hilfe leisten, sind zwar ähnlich unvorbereitet wie Laien auf die entsprechende Situation. Sie verfügen aber über deutlich höheres Fachwissen und haben einen entsprechend höheren Handlungsspielraum.
Doch obwohl sie Profis sind, kommt es in der Rechtssprechung mit Blick auf die einzuhaltende Sorgfalt im Notfall (§ 276 Absatz 2 BGB) regelmäßig zu einer mildernden Berücksichtigung der äußeren Lage.
Oft kann die Notfallsituation eben nicht antizipiert werden, zudem sorgen Zeit- und Handlungsdruck sowie fehlende medizinische Hilfsmittel dafür, dass nothelfende Profis bei Haftungsfragen meist privilegiert werden.
So geschehen in einem Fall des Oberlandesgerichts in München. Ein Kleinkind war in einen Badesee gefallen und trieb bewusstlos mit dem Kopf unter Wasser umher. Die Mutter des Kindes bemerkte die Abwesenheit ihrer Tochter erst spät.
Ein Gynäkologe reagierte auf die Rufe der Mutter und eilte zur Hilfe. Das Kind war unterkühlt, atmete nicht mehr und hatte keinen testbaren Puls.
Der Arzt ging deshalb davon aus, dass das Kind tot sei und unternahm keine weiteren Maßnahmen. Ein Fehler, wie sich später herausstellte.
Ein Notarzt konnte das Kind reanimieren. Nach zwei Wochen im Koma erwachte das Kind schließlich und litt fortan unter einer schweren Tetraspastik, Schmerzzuständen und Sehstörungen.
Der Gynäkologe wurde von der Familie auf Schmerzensgeld verklagt. Das Gericht erkannte zwar die unterlassene Reanimation als fehlerhaft, jedoch nicht als grob fahrlässig an.
Wenn der Arzt in seiner Freizeit in einer unvermittelten Notsituation eingreift und somit kein Behandlungsvertrag zwischen ihm und dem Kind existiert, gelten für ihn dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen wie für einen Laien in der Situation.
„Liegt dagegen kein Behandlungsverhältnis vor, sondern leistet ein zufällig am Unfallort anwesender Arzt entsprechend der gesetzlichen Pflicht die Hilfe, die jeder Dritte auch zu erbringen hätte, würde die Anwendung dieser Grundsätze zu einer sachlich nicht gerechtfertigten und für einen Arzt unvermeidbaren Haftungsverschärfung im Notfall führen“
Oberlandesgericht München vom 6. April 2006 – 1 U 4142/05
Auch der Arzt muss sich also nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz in Erste-Hilfe-Situationen verantworten. Der qualitative Maßstab, an dem sein Handeln gemessen wird, ist jedoch wegen seiner Fachexpertise ein anderer als bei einem Laien. Dem Arzt kommt, wie jedem (anderen) Dritten auch, ein Haftungsprivileg nach § 680 BGB zu Gute.
Unterlassene Hilfeleistung
Den einzigen richtigen Fehler, den Erste-Hilfe-Leistende machen können, ist gar nicht zu helfen. Denn das wird in jedem Fall als Straftat bewertet.
Unterlassene Hilfeleistung wird nach § 323c Strafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Die Hilfeleistung muss hierbei jedoch nicht über alles andere gestellt werden.
Denn: Wer sich selbst in Gefahr bringen oder andere Pflichten verletzen würde, muss nicht unmittelbar Erste Hilfe leisten. Zumindest kann die Person aber einen Notruf absetzen. Es muss auch dann keine Erste Hilfe mehr geleistet werden, wenn diese bereits durch andere erfolgt.