Erste Hilfe
Erste Hilfe: Viele Menschen befürch­ten in einer solchen Situa­tion Fehler zu machen Bild: Tutye2001/Dreamstime

Sind Ersthel­fer für Fehler haftbar?

Erste-Hilfe-Situa­tio­nen sind vor allem eins: unver­mit­telt. Deshalb stellen sie auch für Menschen, die beruf­lich mit Lebens­ret­tung zu tun haben, eine große Heraus­for­de­rung dar. Letzt­lich ist auch eine Ärztin oder ein Arzt vom Notfall ähnlich unvor­be­rei­tet betrof­fen wie alle anderen auch.

Für medizi­ni­sche Behand­lun­gen gelten norma­ler­weise strenge Sorgfalts­pflich­ten. Diese müssen aus situa­ti­ven Gründen in einem medizi­ni­schen Notfall herab­ge­setzt werden. Daraus ergibt sich jedoch kein Freifahrt­schein für Ersthel­fer.

Auch im Rahmen einer Ersten Hilfe müssen sich Betrof­fene für Fahrläs­sig­keit und Vorsatz verant­wor­ten. Sogar in Notfall­si­tua­tio­nen orien­tie­ren sich die Sorgfalts­pflicht­an­for­de­run­gen deshalb am Maßstab des § 276 Absatz 2 BGB.

„Fahrläs­si­ges“ Eingrei­fen als Ersthel­fer

So lautet die besagte Vorschrift: „Fahrläs­sig handelt, wer die im Verkehr erfor­der­li­che Sorgfalt außer Acht lässt“. Diese Aussage erscheint auf den ersten Blick völlig unmiss­ver­ständ­lich – doch das ist sie nicht.

Denn es gibt zum einen keinen generel­len, allge­mein gülti­gen Sorgfalts­maß­stab. Je nach Sachver­halts­kon­stel­la­tion können sich, in Abhän­gig­keit von den zugrunde liegen­den Handlun­gen, durch­aus unter­schied­li­che Sorgfalts­kri­te­rien heraus­bil­den. Zum anderen hat sich der Sorgfalts­maß­stab, der in einer ganz konkre­ten Situa­tion als „erfor­der­lich“ anzuse­hen ist, auch an die beson­de­ren Umstände dieser Situa­tion zu orien­tie­ren.

So sind beispiels­weise die in nahezu jeder Notfall­si­tua­tion objek­tiv vorlie­gen­den Mangel­um­stände an Versor­gungs­ma­te­ria­lien natür­lich mitzu­be­rück­sich­ti­gen.

Aus alledem erscheint es nur folge­rich­tig, dass der Begriff der „erfor­der­li­chen Sorgfalt“ keiner starren juris­ti­schen Defini­tion unter­liegt. Vielmehr gilt es diesen, unter der Berück­sich­tung der Beson­der­hei­ten des Einzel­falls, jeweils neu auszu­fül­len.

Erste Hilfe als Laie

Laien haben aber grund­sätz­lich nichts zu befürch­ten, wenn sie in Erste-Hilfe-Situa­tio­nen Fehler machen – sofern sie dabei gewis­sen­haft vorge­hen. Zur besse­ren Orien­tie­rung sollte sich ein in der Rolle des Ersthel­fers befind­li­che Laie immer vor Augen führen, wie ein ordent­li­cher und gewis­sen­haf­ter medizi­ni­scher Notfall­hel­fer typischer­weise in der konkre­ten Situa­tion handeln würde.

Zum Schadens­er­satz können Laien­hel­fer im Übrigen nur heran­ge­zo­gen werden, wenn sie grob fahrläs­sig oder vorsätz­lich handeln.

Grobe Fahrläs­sig­keit kann Ersthel­fern dabei nur in Ausnah­me­fäl­len vorge­wor­fen werden und zwar immer dann, wenn einfachste Überle­gun­gen nicht gemacht wurden – wie etwa die Unfall­stelle auf einer dicht befah­re­nen Straße abzusi­chern.

Vorsätz­lich handeln jene, die bewusst oder gewollt einen Schaden verur­sa­chen und Verlet­zun­gen zufügen. Es reicht hierbei schon, diese Dinge billi­gend in Kauf zu nehmen.

Wer nach bestem Wissen und Gewis­sen handelt, ist in Erste-Hilfe-Situa­tio­nen also auf der siche­ren Seite. Das heißt, selbst wenn die Erste-Hilfe-Maßnahme zu einer Verschlech­te­rung des Gesund­heits­zu­stan­des bei der betrof­fe­nen Person führt, können Ersthel­fer nicht haftbar gemacht werden. Das gilt auch dann, wenn die verun­glückte Person stirbt.

Dass eine Person nicht weiß, wie Erste-Hilfe-Prakti­ken in der Regel ablau­fen, kann ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Erste Hilfe ist somit immer nach eigenen Kennt­nis­sen und Fähig­kei­ten zu leisten.

Sollte ein Ersthel­fer während der Erste-Hilfe-Maßnahme einen Sachscha­den verur­sa­chen – zum Beispiel zerris­sene Kleidung – muss er sich auch hierfür nicht verant­wor­ten.

Ersthelfer
Von einem Ersthel­fer kann die Absiche­rung einer Unfall­stelle durch­aus erwar­tet werden. Bild: Marco Di Bella/Adobe Firefly KI

Erste Hilfe als Profi

Während Laien in Erste-Hilfe-Situa­tio­nen kaum Konse­quen­zen befürch­ten müssen, haben Profis etwas mehr Verant­wor­tung. Ärztin­nen und Ärzte, die außer­halb ihres Diens­tes Erste Hilfe leisten, sind zwar ähnlich unvor­be­rei­tet wie Laien auf die entspre­chende Situa­tion. Sie verfü­gen aber über deutlich höheres Fachwis­sen und haben einen entspre­chend höheren Handlungs­spiel­raum.

Doch obwohl sie Profis sind, kommt es in der Rechts­spre­chung mit Blick auf die einzu­hal­tende Sorgfalt im Notfall (§ 276 Absatz 2 BGB) regel­mä­ßig zu einer mildern­den Berück­sich­ti­gung der äußeren Lage.

Oft kann die Notfall­si­tua­tion eben nicht antizi­piert werden, zudem sorgen Zeit- und Handlungs­druck sowie fehlende medizi­ni­sche Hilfs­mit­tel dafür, dass nothel­fende Profis bei Haftungs­fra­gen meist privi­le­giert werden.

So gesche­hen in einem Fall des Oberlan­des­ge­richts in München. Ein Klein­kind war in einen Badesee gefal­len und trieb bewusst­los mit dem Kopf unter Wasser umher. Die Mutter des Kindes bemerkte die Abwesen­heit ihrer Tochter erst spät.

Ein Gynäko­loge reagierte auf die Rufe der Mutter und eilte zur Hilfe. Das Kind war unter­kühlt, atmete nicht mehr und hatte keinen testba­ren Puls.

Der Arzt ging deshalb davon aus, dass das Kind tot sei und unter­nahm keine weite­ren Maßnah­men. Ein Fehler, wie sich später heraus­stellte.

Ein Notarzt konnte das Kind reani­mie­ren. Nach zwei Wochen im Koma erwachte das Kind schließ­lich und litt fortan unter einer schwe­ren Tetras­pas­tik, Schmerz­zu­stän­den und Sehstö­run­gen.

Der Gynäko­loge wurde von der Familie auf Schmer­zens­geld verklagt. Das Gericht erkannte zwar die unter­las­sene Reani­ma­tion als fehler­haft, jedoch nicht als grob fahrläs­sig an.

Wenn der Arzt in seiner Freizeit in einer unver­mit­tel­ten Notsi­tua­tion eingreift und somit kein Behand­lungs­ver­trag zwischen ihm und dem Kind existiert, gelten für ihn diesel­ben recht­li­chen Rahmen­be­din­gun­gen wie für einen Laien in der Situa­tion.

„Liegt dagegen kein Behand­lungs­ver­hält­nis vor, sondern leistet ein zufäl­lig am Unfall­ort anwesen­der Arzt entspre­chend der gesetz­li­chen Pflicht die Hilfe, die jeder Dritte auch zu erbrin­gen hätte, würde die Anwen­dung dieser Grund­sätze zu einer sachlich nicht gerecht­fer­tig­ten und für einen Arzt unver­meid­ba­ren Haftungs­ver­schär­fung im Notfall führen“

Oberlan­des­ge­richt München vom 6. April 2006 – 1 U 4142/05

Auch der Arzt muss sich also nur für grobe Fahrläs­sig­keit und Vorsatz in Erste-Hilfe-Situa­tio­nen verant­wor­ten. Der quali­ta­tive Maßstab, an dem sein Handeln gemes­sen wird, ist jedoch wegen seiner Fachex­per­tise ein anderer als bei einem Laien. Dem Arzt kommt, wie jedem (anderen) Dritten auch, ein Haftungs­pri­vi­leg nach § 680 BGB zu Gute.

Ersthelfer im Erste-Hilfe-Kurs
Ein Erste-Hilfe-Kurs kann helfen Unsicher­hei­ten abzubauen – und sogar Spaß machen. Bild: Rosshelen/Dreamstime

Unter­las­sene Hilfe­leis­tung

Den einzi­gen richti­gen Fehler, den Erste-Hilfe-Leistende machen können, ist gar nicht zu helfen. Denn das wird in jedem Fall als Straf­tat bewer­tet.

Unter­las­sene Hilfe­leis­tung wird nach § 323c Straf­ge­setz­buch mit Freiheits­strafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Die Hilfe­leis­tung muss hierbei jedoch nicht über alles andere gestellt werden.

Denn: Wer sich selbst in Gefahr bringen oder andere Pflich­ten verlet­zen würde, muss nicht unmit­tel­bar Erste Hilfe leisten. Zumin­dest kann die Person aber einen Notruf abset­zen. Es muss auch dann keine Erste Hilfe mehr geleis­tet werden, wenn diese bereits durch andere erfolgt.