Sachverhalt
Der im Jahr 1954 geborene Kläger weist einen Grad der Behinderung von 100 auf. Bei ihm sind die Merkzeichen G, B, aG, H und RF anerkannt. Zudem leidet er seit Geburt an einer spastischen Tetraplegie mit Zerebralparese und kann sich nur im Rollstuhl fortbewegen. An seinem noch halbwegs gebrauchsfähigen linken Arm wurde vor einigen Jahren eine chronische Epicondylitis humeri radialis (im normalen Sprachgebrauch als „Tennisarm“ bekannt) diagnostiziert. Bei der Beklagten bezieht der Herr seit Jahren Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Hilfe zur Pflege und ambulante Leistungen zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in die Gemeinschaft.
Am 15.5.2013 beantragte der Kläger schriftlich bei dem zuständigen und im hiesigen Verfahren beigeladenen Bezirk als überörtlichem Sozialhilfeträger die Verlängerung der Bewilligung der Eingliederungshilfe, auch unter Berücksichtigung von wöchentlichen zwei Ganzkörpermassagen mit sexueller Komponente.
Der Antrag wurde vom Beigeladenen abgelehnt, da die gewollten Leistungen nicht der Eingliederungshilfe dienen. Der Widerspruch hiergegen wurde zurückgewiesen und das anschließende Klageverfahren vom Sozialgericht (SG) München durch einen Vergleich beendet (SG München vom 14.5.2014 – S 48 SO 445/13). Hiernach zahlte der Beigeladene 6.402 Euro an den Kläger und gewährte ihm von Mai 2014 bis Juni 2015 die Eingliederungshilfe für täglich 2,5 Stunden. Das Gericht wies zuvor darauf hin, dass die geforderten Massageleistungen keine Eingliederungshilfe, sondern ein Grundbedürfnis des persönlichen Lebens darstellen. Der Beigeladene gewährte dem Kläger daraufhin die Eingliederungshilfe im Umfang von 3,5 Stunden pro Tag im Zeitraum von Juli 2013 bis Juli 2014. Die Unterlagen des Klägers wurden der Beklagten hinsichtlich einer etwaigen Anpassung des Regelsatzes weitergeleitet.
Der Antrag wurde jedoch von der Beklagten abgelehnt. Die Kosten für die Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen seien bereits im Regelbedarf enthalten. Zudem könne der Kläger hierfür den Mehrbedarf wegen des Merkzeichens G verwenden – und seine Bedürfnisse insofern decken. Hiergegen klagte der Kläger vor dem SG München. Es seien die Kosten für zwei Massagen die Woche zu übernehmen. Eine solche, erotische Ganzkörpermassage kostet circa 200 Euro. Aus dem Erhöhungsbetrag für das Merkzeichen G könne er diese nur etwa alle drei Monate finanzieren. Der Kläger sei hypersexuell und aufgrund seiner Armerkrankung nicht in der Lage zur Selbstbefriedigung. Das Sozialgericht wies die Klage ab, der Kläger legte hiergegen Berufung beim Bayrischen Landessozialgericht ein.
Erotische Massagen fallen nicht unter Pflegehilfe
Die Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Bayern hatte keinen Erfolg (LSG Bayern vom 6. Februar 2020 – L8 SO 163/17). Für den Kläger besteht kein Anspruch auf (höhere) Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung von Kosten der begehrten Ganzkörpermassagen. Hierfür fehlt es an den Voraussetzungen der Rücknahme eines unrichtigen Verwaltungsakts gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X (dieser ist hier nicht ersichtlich).
Die Beklagte hat den Bedarf nach § 42 SGB XII zutreffend ermittelt. Dabei hat sie den Regelbedarf nach Stufe 1 (374 Euro, ab 2013: 382 Euro, ab 2014 391 Euro), sowie den Aufstockungsbetrag (19 beziehungsweise 20 Euro nach den Regelsatzfestsetzungsverordnungen), den Mehrbedarf nach § 42 Nummer 2 in Verbindung mit § 30 Absatz 1 SGB XII aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers mit dem Merkzeichen G und die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung fehlerlos berücksichtigt. Weitere Bedarfe waren nicht zugrunde zu legen, insbesondere nicht für Kosten von sexuellen Ganzkörpermassagen.
Laut des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales müsse der Gesetzgeber nicht jede Konsumausgabe eines privaten Haushalts als regelbedarfsrelevant anerkennen. Auch Ausgaben für Prostitutionsdienstleistungen fallen auf Basis der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2013 nicht in die Kategorie „regelbedarfsrelevant“. Der Senat erkennt daher keine Verletzung der Einschätzung des notwendigen Bedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Nicht-Gewährung der Kosten für sexuelle Ganzkörpermassagen. Eine Erhöhung seines Regelsatzes kommt daher nicht infrage, der Kläger kann wegen der gewollten Massagen keine höheren Grundsicherungsleistungen beanspruchen.
Auch eine Berücksichtigung im Bereich der Hilfe zur Pflege hat nicht zu erfolgen. Laut § 19 Absatz 3 und § 61 Absatz 1 Satz 1 SGB XII ist Personen, die wegen einer physischen oder psychischen Krankheit oder Behinderung für ihre gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Abläufe des täglichen Lebens, auf Dauer für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße Hilfe benötigen, diese Hilfe zur Pflege zu leisten.
Darunter fallen Tätigkeiten im Bereich der Körper- und Zahnpflege, im Bereich der Mobilität, der Nahrungsaufnahme und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie die allgemeine Betreuung.
Die Ganzkörpermassagen können diesen Punkten nicht erkennbar subsumiert werden, da sie keinen pflegerischen und keinen betreuerischen Charakter aufweisen und sie auch nicht auf Anleitung, Beaufsichtigung oder Orientierung des Klägers abzielen.
Ein Anspruch besteht auch nicht auf Grundlage von § 19 Absatz 3 und § 73 Satz 1 SGB XII. Hiernach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Diese Paragraphen dienen jedoch auch nicht dazu, als unzureichend empfundene, vertypte Leistungen (hier: die streitgegenständlichen Massagen) aufzustocken.
Der Kläger hat daher in keinem Aspekt Anspruch auf die erotischen Ganzkörpermassagen.
Quelle: LSG Bayern vom 6. Februar 2020 – L 8 SO 163/17 = RDG 2020, S. 136 f.