Für erotische Ganzkörpermassagen muss weder der Etat für die Grundsicherung aufgestockt werden, noch fallen diese unter die Leistungen der Hilfe zur Pflege. (Symbolbild)
Für eroti­sche Ganzkör­per­mas­sa­gen muss weder der Etat für die Grund­si­che­rung aufge­stockt werden, noch fallen diese unter die Leistun­gen der Hilfe zur Pflege. (Symbol­bild) Bild: Photo 141398428 © Oleg Kozyts­kyi – Dreamstime.com

Sachver­halt

Der im Jahr 1954 geborene Kläger weist einen Grad der Behin­de­rung von 100 auf. Bei ihm sind die Merkzei­chen G, B, aG, H und RF anerkannt. Zudem leidet er seit Geburt an einer spasti­schen Tetra­ple­gie mit Zerebral­pa­rese und kann sich nur im Rollstuhl fortbe­we­gen. An seinem noch halbwegs gebrauchs­fä­hi­gen linken Arm wurde vor einigen Jahren eine chroni­sche Epicon­dy­li­tis humeri radia­lis (im norma­len Sprach­ge­brauch als „Tennis­arm“ bekannt) diagnos­ti­ziert. Bei der Beklag­ten bezieht der Herr seit Jahren Grund­si­che­rung im Alter und bei Erwerbs­min­de­rung sowie Hilfe zur Pflege und ambulante Leistun­gen zur Einglie­de­rungs­hilfe für behin­derte Menschen in die Gemein­schaft.

Am 15.5.2013 beantragte der Kläger schrift­lich bei dem zustän­di­gen und im hiesi­gen Verfah­ren beigela­de­nen Bezirk als überört­li­chem Sozial­hil­fe­trä­ger die Verlän­ge­rung der Bewil­li­gung der Einglie­de­rungs­hilfe, auch unter Berück­sich­ti­gung von wöchent­li­chen zwei Ganzkör­per­mas­sa­gen mit sexuel­ler Kompo­nente.

Der Antrag wurde vom Beigela­de­nen abgelehnt, da die gewoll­ten Leistun­gen nicht der Einglie­de­rungs­hilfe dienen. Der Wider­spruch hierge­gen wurde zurück­ge­wie­sen und das anschlie­ßende Klage­ver­fah­ren vom Sozial­ge­richt (SG) München durch einen Vergleich beendet (SG München vom 14.5.2014 – S 48 SO 445/13). Hiernach zahlte der Beigela­dene 6.402 Euro an den Kläger und gewährte ihm von Mai 2014 bis Juni 2015 die Einglie­de­rungs­hilfe für täglich 2,5 Stunden. Das Gericht wies zuvor darauf hin, dass die gefor­der­ten Massa­geleis­tun­gen keine Einglie­de­rungs­hilfe, sondern ein Grund­be­dürf­nis des persön­li­chen Lebens darstel­len. Der Beigela­dene gewährte dem Kläger darauf­hin die Einglie­de­rungs­hilfe im Umfang von 3,5 Stunden pro Tag im Zeitraum von Juli 2013 bis Juli 2014. Die Unter­la­gen des Klägers wurden der Beklag­ten hinsicht­lich einer etwaigen Anpas­sung des Regel­sat­zes weiter­ge­lei­tet.

Der Antrag wurde jedoch von der Beklag­ten abgelehnt. Die Kosten für die Befrie­di­gung von sexuel­len Bedürf­nis­sen seien bereits im Regel­be­darf enthal­ten. Zudem könne der Kläger hierfür den Mehrbe­darf wegen des Merkzei­chens G verwen­den – und seine Bedürf­nisse insofern decken. Hierge­gen klagte der Kläger vor dem SG München. Es seien die Kosten für zwei Massa­gen die Woche zu überneh­men. Eine solche, eroti­sche Ganzkör­per­mas­sage kostet circa 200 Euro. Aus dem Erhöhungs­be­trag für das Merkzei­chen G könne er diese nur etwa alle drei Monate finan­zie­ren. Der Kläger sei hyper­se­xu­ell und aufgrund seiner Armer­kran­kung nicht in der Lage zur Selbst­be­frie­di­gung. Das Sozial­ge­richt wies die Klage ab, der Kläger legte hierge­gen Berufung beim Bayri­schen Landes­so­zi­al­ge­richt ein.

Eroti­sche Massa­gen fallen nicht unter Pflege­hilfe

Die Berufung beim Landes­so­zi­al­ge­richt (LSG) Bayern hatte keinen Erfolg (LSG Bayern vom 6. Februar 2020 – L8 SO 163/17). Für den Kläger besteht kein Anspruch auf (höhere) Leistun­gen der Grund­si­che­rung unter Berück­sich­ti­gung von Kosten der begehr­ten Ganzkör­per­mas­sa­gen. Hierfür fehlt es an den Voraus­set­zun­gen der Rücknahme eines unrich­ti­gen Verwal­tungs­akts gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X (dieser ist hier nicht ersicht­lich).

Die Beklagte hat den Bedarf nach § 42 SGB XII zutref­fend ermit­telt. Dabei hat sie den Regel­be­darf nach Stufe 1 (374 Euro, ab 2013: 382 Euro, ab 2014 391 Euro), sowie den Aufsto­ckungs­be­trag (19 bezie­hungs­weise 20 Euro nach den Regel­satz­fest­set­zungs­ver­ord­nun­gen), den Mehrbe­darf nach § 42 Nummer 2 in Verbin­dung mit § 30 Absatz 1 SGB XII aufgrund der Schwer­be­hin­de­rung des Klägers mit dem Merkzei­chen G und die tatsäch­li­chen Kosten der Unter­kunft und Heizung fehler­los berück­sich­tigt. Weitere Bedarfe waren nicht zugrunde zu legen, insbe­son­dere nicht für Kosten von sexuel­len Ganzkör­per­mas­sa­gen.

Laut des Bundes­mi­nis­te­ri­ums für Arbeit und Sozia­les müsse der Gesetz­ge­ber nicht jede Konsum­aus­gabe eines priva­ten Haushalts als regel­be­darfs­re­le­vant anerken­nen. Auch Ausga­ben für Prosti­tu­ti­ons­dienst­leis­tun­gen fallen auf Basis der Einkom­mens- und Verbrau­cher­stich­probe 2013 nicht in die Katego­rie „regel­be­darfs­re­le­vant“. Der Senat erkennt daher keine Verlet­zung der Einschät­zung des notwen­di­gen Bedarfs zur Siche­rung des Lebens­un­ter­halts durch die Nicht-Gewäh­rung der Kosten für sexuelle Ganzkör­per­mas­sa­gen. Eine Erhöhung seines Regel­sat­zes kommt daher nicht infrage, der Kläger kann wegen der gewoll­ten Massa­gen keine höheren Grund­si­che­rungs­leis­tun­gen beanspru­chen.

Auch eine Berück­sich­ti­gung im Bereich der Hilfe zur Pflege hat nicht zu erfol­gen. Laut § 19 Absatz 3 und § 61 Absatz 1 Satz 1 SGB XII ist Perso­nen, die wegen einer physi­schen oder psychi­schen Krank­heit oder Behin­de­rung für ihre gewöhn­li­chen und regel­mä­ßig wieder­keh­ren­den Abläufe des tägli­chen Lebens, auf Dauer für mindes­tens sechs Monate, in erheb­li­chem Maße Hilfe benöti­gen, diese Hilfe zur Pflege zu leisten.

Darun­ter fallen Tätig­kei­ten im Bereich der Körper- und Zahnpflege, im Bereich der Mobili­tät, der Nahrungs­auf­nahme und im Bereich der hauswirt­schaft­li­chen Versor­gung sowie die allge­meine Betreu­ung.

Die Ganzkör­per­mas­sa­gen können diesen Punkten nicht erkenn­bar subsu­miert werden, da sie keinen pflege­ri­schen und keinen betreue­ri­schen Charak­ter aufwei­sen und sie auch nicht auf Anlei­tung, Beauf­sich­ti­gung oder Orien­tie­rung des Klägers abzie­len.

Ein Anspruch besteht auch nicht auf Grund­lage von § 19 Absatz 3 und § 73 Satz 1 SGB XII. Hiernach können Leistun­gen auch in sonsti­gen Lebens­la­gen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffent­li­cher Mittel recht­fer­ti­gen. Diese Paragra­phen dienen jedoch auch nicht dazu, als unzurei­chend empfun­dene, vertypte Leistun­gen (hier: die streit­ge­gen­ständ­li­chen Massa­gen) aufzu­sto­cken.

Der Kläger hat daher in keinem Aspekt Anspruch auf die eroti­schen Ganzkör­per­mas­sa­gen.

Quelle: LSG Bayern vom 6. Februar 2020 – L 8 SO 163/17 = RDG 2020, S. 136 f.