Eine gesunde Ernährung ist mehr als wichtig für den menschlichen Körper. Gesund leben und essen ist Heutzutage jedoch gar nicht mehr so einfach, wird doch nahezu jedes Nahrungsmittel mit schädlichen oder ungesunden Inhaltsstoffen angereichert.
Wie sollte ich mich also ernähren, damit auch mein Immunsystem vollends funktionieren kann? Hierzu hat die Rechtsdepesche mit Dipl. oecotroph. Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gesprochen. Die Fragen des Interwiews stellte Henning Roesner.
„Ausgewogene, vielseitige und pflanzenbetonte Ernährung“
Rechtsdepesche: Wie sieht eine optimale, gesunde Ernährung im Hinblick auf ein gesundes Immunsystem aus?
Antje Gahl: Bei ausgewogener Nahrung bzw. einem guten Ernährungsstatus ist das Immunsystem fähig, seine Funktion optimal zu erfüllen, nämlich den Organismus vor schädlichen Einflüssen, wie Bakterien, Viren oder Pilzen, zu schützen. Also vor pathogenen Mikroorganismen, die in den Körper eindringen, sich vermehren können – falls sie nicht rechtzeitig ausgeschaltet werden – und einzelne Organe schädigen. Außerdem können körpereigene Zellen durch vielfältige Faktoren, wie zum Beispiel Viren, Chemikalien oder Strahlung, so geschädigt werden und die Gesundheit gefährden. Das Immunsystem hat die Aufgabe, die schädigenden Einflüsse zu erkennen und zu eliminieren.
Rechtsdepesche: Welche Nahrungsmittel oder Ernährungswege führen zu einer Stärkung des Immunsystems? Und umgekehrt: Was passiert bei schlechter Ernährung mit unserem Immunsystem. Sind schlecht ernährte Menschen anfälliger für Krankheiten?
Gahl: Eine ausgewogene, vielseitige und pflanzenbetonte Nahrung mit viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukten stellt eine ausreichende Zufuhr an Nährstoffen sicher. Ein schlechter Ernährungszustand sowie Über- oder Untergewicht führen zu einer Beeinträchtigung des Immunsystems. Dies wurde vor allem bei unterernährten Kindern in Schwellen- und Entwicklungsländern festgestellt.
Forschungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Versorgung des Körpers mit bestimmten Nährstoffen das Immunsystem beeinflusst. Eine dem Bedarf angemessene, vollwertige Ernährung mit ausreichend, aber nicht zu viel Energie (Kalorien) und allen lebensnotwendigen Nährstoffen wie Vitamine, Mineralstoffe, Proteine, Fette, Kohlenhydrate, Ballaststoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe, ist daher auch eine geeignete Grundlage für die Stärkung des Immunsystems.
Insgesamt sind die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Nährstoffen und Immunmechanismen aber äußerst komplex, so dass Aussagen über Immunstimulation durch bestimmte Nährstoffe oder Ernährungsweisen kritisch zu bewerten sind.
Mangel an Vitaminen nicht selten schädlich
Rechtsdepesche: Worin besteht denn der Zusammenhang zwischen gesunder Kost und einem gesunden Immunsystem?
Gahl: Immunmodulierende oder immunaktive Wirkungen sind bislang verschiedenen Nährstoffen zugeschrieben worden. In der klinischen Ernährung steht Immunonutrition für die Anreicherung beziehungsweise Supplementation von Nährlösungen. In der klinischen Praxis wurde untera anderem beim Protein-Energie-Mangelsyndrom eine Schwächung des Immunsystems beobachtet. Dabei hat sich gezeigt, dass Nährstoffe vor allem die zelluläre Immunantwort beeinflussen können. Gewöhnlich sind dies auch Bestandteile einer vollwertigen Ernährung, sprich Aminosäuren, Carotin, Vitamin E, C und A, Selen, Zink, n‑3-Fettsäuren sowie sekundäre Pflanzenstoffe mit antioxidativer Wirkung. Sie verbessern die Infektabwehr und verringern Gewebeschädigungen.
Rechtsdepesche: Welche Vitamine und Inhaltsstoffe sind wichtig für den Körper und das Immunsystem?
Gahl: Die wichtigsten Mikronährstoffe für das Immunsystem sind vor allem Vitamin C, Vitamin D, Vitamin A und Zink. Eine Zufuhr von Vitamin C über die Bedarfsdeckung hinaus bringt keine Vorteile. Bei der Zufuhr von Vitamin D ist es wichtig, auf eine ausreichende Versorgung zu achten. Die Infekthäufigkeit wird nicht durch die Einnahme von Vitamin D reduziert, sondern durch einen Vitamin-D-Mangel erhöht. Aber auch hier, wie beim Vitamin C, bringt eine zusätzliche Einnahme über einen guten Versorgungsstatus keine Vorteile. Im Gegenteil: Eine andauernde Überdosierung mit Vitamin-D-Präparaten (>100 µg/Tag) sollte vermieden werden. Sie kann zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Nierensteinen, Nierenverkalkungen sowie Störungen des Herz-Kreislauf-Systems führen. Entscheidend ist es, für jeden Menschen das Risiko individuell abzuschätzen und bei Verdacht auf einen Mangel ärztlichen Rat einzuholen.
Vitamin- A‑Mangel kann zu schweren Infekten führen, der in Deutschland allerdings selten ist. Risikogruppen sind dabei Schwangere, die sich vegan ernähren oder Schwangere mit schnell aufeinanderfolgenden Schwangerschaften sowie mangelernährte Senioren.
Eine Sonderstellung hat Selen. Es ist an der Reduktion oxidierter Antioxidantien beteiligt und fungiert als Stimulator der humoralen und zellulären Immunabwehr. Fakt ist, dass Patienten mit akuten viralen Infektionen, zum Besipiel Influenza, Hepatitis oder HIV, häufig verminderte Selen-Konzentrationen im Serum aufweisen und es für die Abwehr viraler Infektionen von Bedeutung ist. Gelegentlich ist in den Medien zu lesen, dass die Einnahme von Selen präventiv gegen grippale Infekte wirkt beziehungsweise die Erkrankungsdauer bei einer Erkältung verkürzt und die Symptomatik lindert. Überzeugende klinische Belege hierfür fehlen jedoch bisher.
Um die Infekthäufigkeit zu reduzieren hat sich in mehreren Studien Zink in hoher Dosierung (> 75 mg/d) als effektiv erwiesen, teils auch bei Menschen, die keinen Zinkmangel, sondern nur niedrige Serumspiegel aufwiesen. Ohne diagnostiziertem Zinkmangel sollten keinesfalls dauerhaft Supplemente eingenommen werden.
Wann sollte man zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen?
Rechtsdepesche: Was halten Sie von Nahrungsergänzungsmitteln? Gut oder schädlich für die Gesundheit?
Gahl: Insgesamt gibt es nur wenig kritische Nährstoffe. Dazu zählen Vitamin D, Jod und bedingt Folat. Hiermit sind inzwischen jedoch bereits 86 Prozent der Bevölkerung ausreichend versorgt.
Grundsätzlich können Nahrungsergänzungsmittel (NEM) eine unausgewogene Ernährung nicht ersetzen. Der Verzehr angereicherter Lebensmittel oder Nährstoffpräparate gleicht dies nicht aus. Daher ist ein bevölkerungsweiter Einsatz von NEM, um Krankheiten zu vermeiden, das Wohlbefinden zu verbessern oder eine einseitige Ernährung auszugleichen nicht sinnvoll.
In bestimmten Situationen spricht aber nichts gegen eine gezielte Verwendung von NEM oder angereicherten Lebensmitteln. Beispielsweise bei:
- Lebensmittelunverträglichkeiten wie Lactoseintoleranz
- Abneigungen gegen bestimmte Lebensmittel
- Einseitigen Ernährungsformen, zum Beispiel veganer Ernährung
- Langfristigen und unausgewogenen Reduktionsdiäten
- Chronischem Alkohol- und Tabakkonsum
- Bestimmten Krankheiten
- Einem erhöhten Bedarf in Lebenssituationen wie Schwangerschaft oder Stillzeit
- Risikogruppen wie Säuglingen, Kleinkindern oder Senioren
Nährstoffe in hohen Dosierungen zur Behandlung von ärztlich festgestellten Mangelzuständen, zum Beispiel Eisenmangel, und bei anderen pathologischen Zuständen wie Absorptionsstörungen sollten nur vom Arzt verordnet und auch unter ärztlicher Kontrolle eingenommen werden.
Quellen:
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Mikronährstoffe und Erkältungen – ein Interview mit Prof. Dr. Martin Smollich. DGEinfo (10/2019), 157–158.
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung [Hrsg.] (2016): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 2. Auflage, Bonn
- Elmadfa, I, Leitzmann, C (2015): Ernährung des Menschen. 5. Auflage, Stuttgart