Kann ein Kind eine rechtswirksame Einwilligung in Heileingriffe geben?
Kann ein Kind eine rechts­wirk­same Einwil­li­gung in Heilein­griffe geben? Bild: Sonya Etchison/Dreamstime

Warum ist eine Einwil­li­gung in Heilein­griffe wichtig?

Die Frage nach einer rechts­wirk­sa­men Einwil­li­gung ist gerade für mögli­che Schadens­er­satz- und Schmer­zens­geld­an­sprü­chen wichtig zu klären. Denn jeder invasive Eingriff in den mensch­li­chen Organis­mus stellt eine vorsätz­li­che Körper­ver­let­zung nach § 223 Straf­ge­setz­buch dar.

Das hat auch das Landge­richt Walds­hut-Tiengen in einem Urteil festge­stellt. In dem Fall ging es um die Leite­rin eines Alten­pfle­ge­heims, die nicht ausrei­chend quali­fi­zier­tes Perso­nal Insulin­ver­ab­rei­chun­gen per Spritze durch­füh­ren ließ. So hat sie einen medizi­nisch und pflege­risch unerfah­re­nen Kraft­fahr­zeug­me­cha­ni­ker – der als Hilfs­kraft angestellt war – angewie­sen die genannte Injek­tio­nen vorzu­neh­men.

Das Gericht erklärte, dass das Verab­rei­chen einer Injek­tion einen Eingriff in die körper­li­che Unver­sehrt­heit des Patien­ten darstellt und den Körper­ver­let­zungs­tat­be­stand des § 223 StGB erfüllt. Weil es für die Injek­tio­nen jeweils keine Einwil­li­gun­gen der Patien­ten gab, wurde die Heimlei­te­rin wegen Anstif­tens zur Körper­ver­let­zung schließ­lich schul­dig gespro­chen.

Wie das Gericht zusätz­lich klarstellte, bezie­hen sich Einwil­li­gun­gen der Patien­ten in erster Linie auf Eingriffe in die körper­li­che Unver­sehrt­heit, die von Ärztin­nen und Ärzten selbst vorge­nom­men werden. Sie können sich aber auch auf Behand­lungs­maß­nah­men erstre­cken, die an medizi­ni­sches und pflege­ri­sches Perso­nal delegiert wurden, sofern dieses ausrei­chend quali­fi­ziert ist.

Von wem kann die Einwil­li­gung erfol­gen?

Eine Einwil­li­gung des Patien­ten wird also vor allem dafür benötigt, damit das medizi­ni­sche Perso­nal einen invasi­ven Eingriff recht­fer­ti­gen kann. Inter­es­sant ist hierbei, dass die Einwil­li­gung keine rechts­ge­schäft­li­che Willens­er­klä­rung darstellt. Die volle Geschäfts­fä­hig­keit erreicht man in Deutsch­land mit 18 Jahren. Bei medizi­ni­schen Heilein­grif­fen kommt es aber gerade nicht darauf an, ob die Patien­tin oder der Patient tatsäch­lich geschäfts­fä­hig ist.

Vielmehr ist entschei­dend, dass Patien­tin­nen und Patien­ten über das natür­li­che Einsichts­ver­mö­gen verfü­gen, die Dring­lich­keit und Tragweite des Eingriffs zumin­dest in Umris­sen zu erken­nen und Für und Wider abzuwä­gen. Eine Einwil­li­gung ist damit nicht direkt an das Alter einer Person gekop­pelt. Eine generelle Alters­grenze gibt es also nicht.

Ärztin­nen und Ärzte müssen also zunächst prüfen, ob die Person über die Fähig­keit zur Einwil­li­gung verfügt, in dem sie den Grad der persön­li­chen Entwick­lung und die Reife der Person betrach­ten. Damit können auch Minder­jäh­rige prinzi­pi­ell ohne Einver­ständ­nis der Eltern in medizi­ni­sche Eingriffe einwil­li­gen.

In der regel­mä­ßi­gen Rechts­spre­chung hat sich aber gezeigt, dass Minder­jäh­rige unter 14 Jahren nicht einwil­li­gungs­fä­hig sind. Minder­jäh­rige, die kurz vor Vollendung des 18. Lebens­jah­res stehen, können aller­dings sehr wohl einwil­li­gungs­fä­hig sein.

Was passiert, wenn der Minder­jäh­rige nicht einwil­li­gungs­fä­hig ist?

Sollte die Ärztin oder der Arzt feststel­len, dass ein Minder­jäh­ri­ger nicht einwil­li­gungs­fä­hig ist, müssen die Eltern einge­holt werden. Die elter­li­che Sorgfalts­pflicht gemäß § 1627 BGB sieht hierbei folgen­des vor:

Die Eltern haben die elter­li­che Sorge in eigener Verant­wor­tung und in gegen­sei­ti­gem Einver­neh­men zum Wohl des Kindes auszu­üben. Bei Meinungs­ver­schie­den­hei­ten müsse sie versu­chen, sich zu einigen.

Somit ist eigent­lich vorge­se­hen, dass beide Eltern­teile ihre Einwil­li­gung in eine medizi­ni­sche Behand­lung geben müssen. In der Praxis gestal­tet sich das aller­dings schwie­rig.

Oftmals werden Kinder nur von einem Eltern­teil beglei­tet. Ein Urteil des Bundes­ge­richts­hofs (VI ZR 288/87) hat hierfür einige Grund­sätze aufge­stellt, die Fragen in diesem Zusam­men­hang beant­wor­ten sollen.

In „Routi­ne­fäl­len“, bei der Behand­lung „leich­te­rer Erkran­kun­gen und Verlet­zun­gen“, darf sich die Ärztin oder der Arzt im allge­mei­nen ungefragt auf die Ermäch­ti­gung des erschie­ne­nen Eltern­tei­les zum Handeln für den anderen verlas­sen.

Bei ärztli­chen Eingrif­fen „schwe­re­rer Art“, muss die Ärztin oder der Arzt nachfra­gen, ob die Ermäch­ti­gung mit dem anderen Eltern­teil abgespro­chen ist. Es darf hierbei auf die wahrheits­ge­mäße Auskunft des anwesen­den Eltern­teils vertraut werden. Im Zweifel kann es aber angebracht sein, auf das erschie­nene Eltern­teil dahin einzu­wir­ken, den ärztli­chen Eingriff noch einmal mit dem anderen Eltern­teil zu bespre­chen.

Bei „schwie­ri­gen und weitrei­chen­den Entschei­dun­gen über die Behand­lung des Kindes, die mit erheb­li­chen Risiken für das Kind verbun­den sind“ müssen beide Eltern­teile expli­zit einwil­li­gen. Sonst würde die Verpflich­tung des anderen Eltern­teils unter­gra­ben werden, die Perso­nen­sorge des Kindes in beson­ders wichti­gen Angele­gen­hei­ten wahrzu­neh­men.

Was tun bei missbräuch­li­chen Entschei­dun­gen der Eltern?

Es können aber auch Fälle auftre­ten, in denen beide Eltern­teile in einen notwen­di­gen Eingriff nicht einwil­li­gen möchten.

Verwei­gern die Eltern missbräuch­li­chen den erfor­der­li­chen Eingriff, so kann die Ärztin oder der Arzt das Vormund­schafts­ge­richt kontak­tie­ren.

§ 1666 BGB sieht hierbei Folgen­des vor:

(1) Wird das körper­li­che, geistige oder seeli­sche Wohl des Kindes oder sein Vermö­gen gefähr­det und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwen­den, so hat das Famili­en­ge­richt die Maßnah­men zu treffen, die zur Abwen­dung der Gefahr erfor­der­lich sind.

Dieser Prozess kann mitun­ter jedoch sehr langwie­rig sein. Bleibt wegen eines dringend gebote­nen Eingriffs keine Zeit, den Weg über das Famili­en­ge­richt zu gehen, so kann auch über den Kopf der Eltern hinweg entschie­den werden. Ärztin­nen und Ärzte können sich dann auf den recht­fer­ti­gen­den Notstand gemäß § 34 StGB berufen und den Eingriff durch­füh­ren.