Einsichtsrecht in Patientenakte
Wer darf Einsicht in die Patien­ten­akte nehmen? Bild: Matthias Menne/Pflegewiki

Einsichts­recht des Patien­ten

Voraus­ge­setzt der Gesund­heits­zu­stand des Patien­ten ist stabil und es ist nicht zu befürch­ten, dass mit der Einsicht­nahme in die Patien­ten­akte eine erheb­li­che gesund­heit­li­che Schädi­gung des Patien­ten einher­ge­hen kann, darf der Behan­delnde die Einsicht­nahme des Patien­ten nicht verweh­ren.

Das Recht hierzu ergibt sich aus § 630g des Bürger­li­chen Gesetz­buchs (BGB). Hiernach ist dem Patien­ten „auf Verlan­gen unver­züg­lich Einsicht in die vollstän­dige, ihn betref­fende Patien­ten­akte zu gewäh­ren“.

Von dieser gesetz­ge­be­ri­schen Vorgabe darf nur in ganz wenigen Ausnah­me­fäl­len begrün­det abgewi­chen werden:

1. Thera­peu­ti­sche Gründe

Der bloße Zweifel, ob der gesund­heit­li­che Zustand des Patien­ten eine Einsicht­nahme in seiner Patien­ten­akte zulässt, stellt noch keinen wirksa­men Verwei­ge­rungs­grund „aus thera­peu­ti­schen Gründen“ dar.

Anders verhält es sich, wenn ganz konkrete und substan­ti­ierte Anhalts­punkte dafür vorlie­gen, dass der Patient durch die Einsicht­nahme eine erheb­li­che gesund­heit­li­che (Selbst-)Schädigung erlei­den könnte, in dem er beispiels­weise in einen lebens­ge­fähr­li­chen Schock­zu­stand geraten oder einen Suizid begehen könnte.

Bestehen derar­tige Anhalts­punkte kann der Behan­delnde die Einsicht­nahme des Patien­ten in seine Patien­ten­akte vollstän­dig oder parti­ell verwei­gern.

2. Rechte Dritter

Das Einsichts­recht des Patien­ten erfährt weiter­hin eine Einschrän­kung, wenn durch die Einsichts­nahme die Rechte Dritter verletzt werden können. Dies wäre beispiels­weise der Fall, wenn die Patien­ten­akte Infor­ma­tio­nen zur Persön­lich­keit dritter Perso­nen enthal­ten würde.

Der Gesetz­ge­ber nennt hierzu in der Begrün­dung zum Patien­ten­rech­te­ge­setz (BT-Druck­sa­che 17/10488) das Beispiel eines minder­jäh­ri­gen Patien­ten, der eine Behand­lung unter Einbe­zie­hung seiner sorge­be­rech­tig­ten Eltern durchführt:

„Sind sensi­ble Infor­ma­tio­nen über die Eltern des Patien­ten und über deren Persön­lich­keit in die Dokumen­ta­tion des Behand­lungs­ge­sche­hens einge­flos­sen oder ist im Einzel­fall eine erheb­li­che Gesund­heits­ge­fähr­dung des Patien­ten im Falle der Kennt­nis dieser Infor­ma­tion zu befürchten, kann es sachge­recht sein, dem Patien­ten die Einsicht­nahme parti­ell zu verwei­gern.“

BT-Druck­sa­che 17/10488, S. 27

In einem solchen Fall seien die Umstände des Einzel­falls entschei­dend und eine Abwägung der berech­tig­ten Inter­es­sen Dritter mit dem Selbst­be­stim­mungs­recht des Patien­ten erfor­der­lich, so der Gesetz­ge­ber.

3. Nicht die Person des Patien­ten betref­fend

Nach dem Wortlaut des § 630g Absatz 1 Satz 1 BGB bezieht sich das Einsichts­recht des Patien­ten auf die „ihn betref­fende Patien­ten­akte“. Das bedeu­tet im Umkehr­schluss, dass Aufzeich­nun­gen, die nicht die Person des Patien­ten betref­fen, auch von dem Einsichts­recht ausge­schlos­sen sind. Hierzu zählen beispiels­weise

  • Unter­la­gen über die interne Klinik­or­ga­ni­sa­tion,[1]
  • Unfall­be­richte an die Haftpflicht­ver­si­che­rung der Einrich­tung oder[2]
  • Infor­ma­tio­nen darüber, ob während des eigenen Kranken­haus­auf­ent­hal­tes weitere Patien­ten auf der Station Infek­ti­ons­krank­hei­ten erlit­ten haben.[3]

Einsichts­recht der Erben und Angehö­ri­gen

§ 630g Absatz 3 Satz 1 BGB regelt auch das Recht auf Einsicht­nahme in die Patien­ten­akte nach dessen Tode. Hiernach steht den Erben des Patien­ten ein Einsichts­recht zu, sofern dies zur Wahrneh­mung der vermö­gens­recht­li­chen Inter­es­sen notwen­dig sein sollte.

Soweit es um die Geltend­ma­chung immate­ri­el­ler Inter­es­sen (Schmer­zens­geld) geht, steht das gleiche Einsichts­recht auch den nächs­ten Angehö­ri­gen des Patien­ten zu – also beispiels­weise Ehegat­ten, Lebens­part­ner, Kindern, Eltern, Geschwis­tern und Enkeln.

Aber: Das Einsichts­recht der Erben und der nächs­ten Angehö­ri­gen unter­liegt der Einschrän­kung, dass der ausdrückliche oder mutmaß­li­che Wille des Patien­ten der Einsicht­nahme nicht entge­gen­ste­hen darf (vgl. § 630g Absatz 3 Satz 3 BGB)

Einsichts­recht der Kranken­kas­sen

Die Frage, ob einer Kranken­kasse ein eigenes Einsichts­recht in die Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion des bei ihr versi­cher­ten Mitglieds zusteht, löst unter Juris­ten – ebenso wie Fragen zu Voraus­set­zung und Reich­weite der Einsicht­nahme – seit jeher erheb­li­chen Diskus­si­ons­be­darf aus. Typische Streit­fälle sind:

1. Abrech­nungs­strei­tig­kei­ten

Unstrit­tig sind Kranken­kas­sen zur Erfül­lung ihrer Aufga­ben – zum Beispiel der Abrech­nung – auf Daten angewie­sen, die sich aus der Erbrin­gung, der Verord­nung sowie der Abgabe von Leistun­gen gegen­über ihren Versi­cher­ten ergeben. Die Pflicht zur Aufzeich­nung und Übermit­te­lung der zur Aufga­ben­er­fül­lung notwen­di­gen Daten trifft gemäß § 294 SGB V die Leistungs­er­brin­ger.

Bestehen aufsei­ten der Kranken­kasse Zweifel an der Richtig­keit diese Daten, wird sie regel­mä­ßig eine Überprü­fung anstre­ben. Die hierfür gegeben­falls erfor­der­li­che Einsicht­nahme in die Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion der Versi­cher­ten kann sie jedoch gegen­über dem Leistungs­trä­ger nicht verlan­gen. Hier ist sie auf das Tätig­wer­den des Medizi­ni­schen Diens­tes angewie­sen.[4]

Einsichtrecht der Krankenkasse
Häufige Frage: Darf die Kranken­kasse Einsicht nehmen? (Symbol­bild) Bild: Tomnex/Dreamstime

2. Überge­gan­ge­nes Recht

Nach § 116 Absatz 1 SGB X analog §§ 401, 412 BGB kann das Recht auf Einsicht­nahme in die Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion auf die zustän­dige Kranken­kasse überge­hen.[5]

Voraus­set­zung hierfür ist, dass die Einsicht­nahme zum Zwecke der Abklä­rung von auf den Träger der GKV überge­gan­ge­nen haftungs­recht­li­chen Schadens­er­satz­an­sprü­chen erfol­gen soll.[6]

„Ein auf anderen gesetz­li­chen Vorschrif­ten beruhen­der Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht auf den Versi­che­rungs­trä­ger oder Träger der Einglie­de­rungs­hilfe oder der Sozial­hilfe über, soweit dieser auf Grund des Schadens­er­eig­nis­ses Sozial­leis­tun­gen zu erbrin­gen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf densel­ben Zeitraum wie der vom Schädi­ger zu leistende Schadens­er­satz bezie­hen.[…]“

§ 116 Absatz 1 Satz 1 SGB X

Eine solche Konstel­la­tion ergibt sich beipi­els­weise dann, wenn ein Heimbe­woh­ner aufgrund eines Pflege­feh­lers stürzt und sich dabei so schwer verletzt (zum Beispiel ein Oberschen­kel­hals­bruch), dass eine medizi­ni­sche Behand­lung notwen­dig wird.

Im Gegen­satz zu den dabei erlit­te­nen Schmer­zen, für die der Bewoh­ner Schmer­zens­geld verlan­gen kann, stellen die Kosten für die medizi­ni­schen Behand­lung regel­mä­ßig einen finan­zi­el­len Schaden zulas­ten der Kranken­kas­sen dar, die einen Schadens­er­satz­an­spruch gegen­über dem Einrich­tungs­trä­ger begrün­den.[7]

3. Mittei­lung nach § 294a SGB V

Ein beson­de­rer Fall tritt ein, wenn einem Vertrags­arzt, einer ärztlich gelei­te­ten Einrich­tung oder einem Kranken­haus Anhalts­punkte dafür vorlie­gen, dass die Erkran­kung des Versi­cher­ten entwe­der auf eine Berufs­krank­heit im Sinne der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung oder einer der weite­ren, in § 294a Absatz 1 Satz 1 SGB V genann­ten Ursachen beruht bzw. dass es Hinweise auf dritt­ver­ur­sachte Gesund­heits­schä­den gibt.

Zu den weite­ren Ursachen nach § 294a Absatz 1 Satz 1 SGB V zählen die Folgen oder Spätfol­gen

  • eines Arbeits­un­falls,
  • eines sonsti­gen Unfalls,
  • einer Körper­ver­let­zung,
  • einer Schädi­gung im Sinne des Bundes­ver­sor­gungs­ge­set­zes oder
  • eines Impfscha­dens im Sinne des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes.

In solchen Fällen trifft dem Arzt, der Einrich­tung bzw. das Kranken­haus nach § 294a SGB V die Pflicht, „die erfor­der­li­chen Daten, einschließ­lich der Angaben über Ursachen und den mögli­chen Verur­sa­cher, den Kranken­kas­sen mitzu­tei­len.“

Ob und in welchem Umfang Behand­lungs­un­ter­la­gen zu übermit­teln sind, ist jedoch zuwei­len strit­tig:[8] So haben diverse Sozial­ge­richte den Anspruch auf Übermitt­lung einzel­ner Unter­la­gen[9] oder sogar die Heraus­gabe der gesam­ten Patien­ten­akte bejaht.[10]

Einsichts­recht des Medizi­ni­schen Diens­tes (MD)

Der Medizi­ni­sche Dienst ist gemäß §§ 275 ff. SGB V mit einer Reihe verschie­de­ner Begut­ach­tungs- und Kontroll­auf­ga­ben beauf­tragt, zu deren Erfül­lung die Einsicht­nahme in die Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion des Versi­cher­ten notwen­dig ist.

Die hierzu erfor­der­li­chen Regeln zur Zusam­men­ar­beit ergeben sich aus § 276 SGB V. So legt beispiels­weise Absatz 4 fest, dass Gutach­ter des Medizi­ni­schen Diens­tes, die mit der Stellung­nahme über die Notwen­dig­keit, Dauer und ordnungs­ge­mäße Abrech­nung einer statio­nä­ren Behand­lung beauf­tragt sind, befugt sind die Räume der Kranken­häu­ser und Vorsorge- oder Rehabi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tun­gen zu betre­ten, um dort die jewei­li­gen Kranken­un­ter­la­gen einzu­se­hen zu können.

Anmer­kun­gen:

  1. OLG Karls­ruhe vom 3. August 2017 – 7 U 202/16
  2. LG Bonn vom 2. Septem­ber 2009 – 5 S 19/09
  3. LG Flens­burg vom 8. Septem­ber 2020 – 3 O 375/14
  4. BSG vom 28. Mai 2003 – B 3 KR 10/02 R
  5. vgl. Harks T: „Das prozes­suale Einsichts­recht der Kranken­kas­sen in Patien­ten­ak­ten der Kranken­häu­ser.“ In: NZS 2013, S. 247 ff.
  6. vgl. hierzu: BGH vom 26. Februar 2013 – VI ZR 359/11 = RDG 2013, S. 188
  7. Beispiele: BGH vom 23. März 2010 – VI ZR 249/08 = RDG 2014, S. 319; OLG Schles­wig-Holstein vom 31. Mai 2013 – 4 U 85/12 = RDG 2013, S. 243; LG Nürnberg-Fürth vom 10. Septem­ber 2013 – 12 O 1933/13 = RDG 2016, S. 207
  8. Becker/Kingreen: SGB V, Gesetz­li­che Kranken­ver­si­che­rung. § 294a, Rn. 4
  9. SG Koblenz vom 8. Juni 2009 – S 3 KR 332/08; SG Berlin vom 1. Juni 2004 – S 82 KR 2038/02
  10. SG Potsdam vom 27. März 2008 – S 1 KA 191/06