Einsichtsrecht des Patienten
Vorausgesetzt der Gesundheitszustand des Patienten ist stabil und es ist nicht zu befürchten, dass mit der Einsichtnahme in die Patientenakte eine erhebliche gesundheitliche Schädigung des Patienten einhergehen kann, darf der Behandelnde die Einsichtnahme des Patienten nicht verwehren.
Das Recht hierzu ergibt sich aus § 630g des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Hiernach ist dem Patienten „auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren“.
Von dieser gesetzgeberischen Vorgabe darf nur in ganz wenigen Ausnahmefällen begründet abgewichen werden:
1. Therapeutische Gründe
Der bloße Zweifel, ob der gesundheitliche Zustand des Patienten eine Einsichtnahme in seiner Patientenakte zulässt, stellt noch keinen wirksamen Verweigerungsgrund „aus therapeutischen Gründen“ dar.
Anders verhält es sich, wenn ganz konkrete und substantiierte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient durch die Einsichtnahme eine erhebliche gesundheitliche (Selbst-)Schädigung erleiden könnte, in dem er beispielsweise in einen lebensgefährlichen Schockzustand geraten oder einen Suizid begehen könnte.
Bestehen derartige Anhaltspunkte kann der Behandelnde die Einsichtnahme des Patienten in seine Patientenakte vollständig oder partiell verweigern.
2. Rechte Dritter
Das Einsichtsrecht des Patienten erfährt weiterhin eine Einschränkung, wenn durch die Einsichtsnahme die Rechte Dritter verletzt werden können. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die Patientenakte Informationen zur Persönlichkeit dritter Personen enthalten würde.
Der Gesetzgeber nennt hierzu in der Begründung zum Patientenrechtegesetz (BT-Drucksache 17/10488) das Beispiel eines minderjährigen Patienten, der eine Behandlung unter Einbeziehung seiner sorgeberechtigten Eltern durchführt:
„Sind sensible Informationen über die Eltern des Patienten und über deren Persönlichkeit in die Dokumentation des Behandlungsgeschehens eingeflossen oder ist im Einzelfall eine erhebliche Gesundheitsgefährdung des Patienten im Falle der Kenntnis dieser Information zu befürchten, kann es sachgerecht sein, dem Patienten die Einsichtnahme partiell zu verweigern.“
BT-Drucksache 17/10488, S. 27
In einem solchen Fall seien die Umstände des Einzelfalls entscheidend und eine Abwägung der berechtigten Interessen Dritter mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten erforderlich, so der Gesetzgeber.
3. Nicht die Person des Patienten betreffend
Nach dem Wortlaut des § 630g Absatz 1 Satz 1 BGB bezieht sich das Einsichtsrecht des Patienten auf die „ihn betreffende Patientenakte“. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Aufzeichnungen, die nicht die Person des Patienten betreffen, auch von dem Einsichtsrecht ausgeschlossen sind. Hierzu zählen beispielsweise
- Unterlagen über die interne Klinikorganisation,[1]
- Unfallberichte an die Haftpflichtversicherung der Einrichtung oder[2]
- Informationen darüber, ob während des eigenen Krankenhausaufenthaltes weitere Patienten auf der Station Infektionskrankheiten erlitten haben.[3]
Einsichtsrecht der Erben und Angehörigen
§ 630g Absatz 3 Satz 1 BGB regelt auch das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte nach dessen Tode. Hiernach steht den Erben des Patienten ein Einsichtsrecht zu, sofern dies zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen notwendig sein sollte.
Soweit es um die Geltendmachung immaterieller Interessen (Schmerzensgeld) geht, steht das gleiche Einsichtsrecht auch den nächsten Angehörigen des Patienten zu – also beispielsweise Ehegatten, Lebenspartner, Kindern, Eltern, Geschwistern und Enkeln.
Aber: Das Einsichtsrecht der Erben und der nächsten Angehörigen unterliegt der Einschränkung, dass der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten der Einsichtnahme nicht entgegenstehen darf (vgl. § 630g Absatz 3 Satz 3 BGB)
Einsichtsrecht der Krankenkassen
Die Frage, ob einer Krankenkasse ein eigenes Einsichtsrecht in die Behandlungsdokumentation des bei ihr versicherten Mitglieds zusteht, löst unter Juristen – ebenso wie Fragen zu Voraussetzung und Reichweite der Einsichtnahme – seit jeher erheblichen Diskussionsbedarf aus. Typische Streitfälle sind:
1. Abrechnungsstreitigkeiten
Unstrittig sind Krankenkassen zur Erfüllung ihrer Aufgaben – zum Beispiel der Abrechnung – auf Daten angewiesen, die sich aus der Erbringung, der Verordnung sowie der Abgabe von Leistungen gegenüber ihren Versicherten ergeben. Die Pflicht zur Aufzeichnung und Übermittelung der zur Aufgabenerfüllung notwendigen Daten trifft gemäß § 294 SGB V die Leistungserbringer.
Bestehen aufseiten der Krankenkasse Zweifel an der Richtigkeit diese Daten, wird sie regelmäßig eine Überprüfung anstreben. Die hierfür gegebenfalls erforderliche Einsichtnahme in die Behandlungsdokumentation der Versicherten kann sie jedoch gegenüber dem Leistungsträger nicht verlangen. Hier ist sie auf das Tätigwerden des Medizinischen Dienstes angewiesen.[4]
2. Übergegangenes Recht
Nach § 116 Absatz 1 SGB X analog §§ 401, 412 BGB kann das Recht auf Einsichtnahme in die Behandlungsdokumentation auf die zuständige Krankenkasse übergehen.[5]
Voraussetzung hierfür ist, dass die Einsichtnahme zum Zwecke der Abklärung von auf den Träger der GKV übergegangenen haftungsrechtlichen Schadensersatzansprüchen erfolgen soll.[6]
„Ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht auf den Versicherungsträger oder Träger der Eingliederungshilfe oder der Sozialhilfe über, soweit dieser auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen.[…]“
§ 116 Absatz 1 Satz 1 SGB X
Eine solche Konstellation ergibt sich beipielsweise dann, wenn ein Heimbewohner aufgrund eines Pflegefehlers stürzt und sich dabei so schwer verletzt (zum Beispiel ein Oberschenkelhalsbruch), dass eine medizinische Behandlung notwendig wird.
Im Gegensatz zu den dabei erlittenen Schmerzen, für die der Bewohner Schmerzensgeld verlangen kann, stellen die Kosten für die medizinischen Behandlung regelmäßig einen finanziellen Schaden zulasten der Krankenkassen dar, die einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Einrichtungsträger begründen.[7]
3. Mitteilung nach § 294a SGB V
Ein besonderer Fall tritt ein, wenn einem Vertragsarzt, einer ärztlich geleiteten Einrichtung oder einem Krankenhaus Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erkrankung des Versicherten entweder auf eine Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung oder einer der weiteren, in § 294a Absatz 1 Satz 1 SGB V genannten Ursachen beruht bzw. dass es Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden gibt.
Zu den weiteren Ursachen nach § 294a Absatz 1 Satz 1 SGB V zählen die Folgen oder Spätfolgen
- eines Arbeitsunfalls,
- eines sonstigen Unfalls,
- einer Körperverletzung,
- einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes oder
- eines Impfschadens im Sinne des Infektionsschutzgesetzes.
In solchen Fällen trifft dem Arzt, der Einrichtung bzw. das Krankenhaus nach § 294a SGB V die Pflicht, „die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen.“
Ob und in welchem Umfang Behandlungsunterlagen zu übermitteln sind, ist jedoch zuweilen strittig:[8] So haben diverse Sozialgerichte den Anspruch auf Übermittlung einzelner Unterlagen[9] oder sogar die Herausgabe der gesamten Patientenakte bejaht.[10]
Einsichtsrecht des Medizinischen Dienstes (MD)
Der Medizinische Dienst ist gemäß §§ 275 ff. SGB V mit einer Reihe verschiedener Begutachtungs- und Kontrollaufgaben beauftragt, zu deren Erfüllung die Einsichtnahme in die Behandlungsdokumentation des Versicherten notwendig ist.
Die hierzu erforderlichen Regeln zur Zusammenarbeit ergeben sich aus § 276 SGB V. So legt beispielsweise Absatz 4 fest, dass Gutachter des Medizinischen Dienstes, die mit der Stellungnahme über die Notwendigkeit, Dauer und ordnungsgemäße Abrechnung einer stationären Behandlung beauftragt sind, befugt sind die Räume der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen zu betreten, um dort die jeweiligen Krankenunterlagen einzusehen zu können.
Anmerkungen:
- OLG Karlsruhe vom 3. August 2017 – 7 U 202/16
- LG Bonn vom 2. September 2009 – 5 S 19/09
- LG Flensburg vom 8. September 2020 – 3 O 375/14
- BSG vom 28. Mai 2003 – B 3 KR 10/02 R
- vgl. Harks T: „Das prozessuale Einsichtsrecht der Krankenkassen in Patientenakten der Krankenhäuser.“ In: NZS 2013, S. 247 ff.
- vgl. hierzu: BGH vom 26. Februar 2013 – VI ZR 359/11 = RDG 2013, S. 188
- Beispiele: BGH vom 23. März 2010 – VI ZR 249/08 = RDG 2014, S. 319; OLG Schleswig-Holstein vom 31. Mai 2013 – 4 U 85/12 = RDG 2013, S. 243; LG Nürnberg-Fürth vom 10. September 2013 – 12 O 1933/13 = RDG 2016, S. 207
- Becker/Kingreen: SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung. § 294a, Rn. 4
- SG Koblenz vom 8. Juni 2009 – S 3 KR 332/08; SG Berlin vom 1. Juni 2004 – S 82 KR 2038/02
- SG Potsdam vom 27. März 2008 – S 1 KA 191/06