Nach dem Scheitern einer allgemeinen Impfpflicht im Bundestag mehren sich die Stimmen, nun auch die seit 15. März geltende einrichtungsbezogene branchenbezogene Pflicht zur Impfung für Gesundheits- und Pflegeberufe abzuschaffen. Insbesondere aus Baden-Württemberg gibt es massive Kritik von Verbänden. Die Hauptkritik: Man habe die am 10. Dezember 2021 im Bundestag beschlossene Impfpflicht für das Pflegepersonal zwar mitgetragen – aber immer unter der Voraussetzung, dass später eine, wie auch immer ausgestaltete, allgemeine Impfpflicht komme.
Diese war am 7. April in der Bundestags-Abstimmung jedoch gescheitert. Sowohl der parteiübergreifend eingebrachte Vorschlag einer allgemeinen Impfpflicht ab dem Alter von 60 Jahren, als auch die von der Union favorisierte „Impfpflicht auf Vorrat“, falls sich im Herbst die Corona-Lage wieder verschlechtert, fanden jeweils keine Mehrheit.
Kritik an Impfpflicht nur für die Pflege: „Einseitig in die Verantwortung genommen“
Dass diese nach großem politischem Theater doch nicht eingeführt werde, sei „ein eklatanter Vertrauensbruch der Politik gegenüber der gesamten Pflegebranche“, so Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung Stuttgart, die als einer der größten Altenpflege-Anbieter in Baden-Württemberg landesweit knapp 100 Senioren- und Pflegeheime betreibt.
Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, kritisierte im Gespräch mit dem SWR eine Diskriminierung der Beschäftigten in Pflege, Kinder- und Jugendhilfe sowie Eingliederungshilfe. Diese würden mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht „einseitig in die Verantwortung genommen“, so Noller.
Nachweis der Impfung erforderlich
Der Hintergrund: Seit dem 15. März müssen Mitarbeiter in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen einen Nachweis erbringen, dass sie vollständig gegen Corona geimpft, oder aber von der Infektion genesen sind – beziehungsweise im Ausnahmefall, dass bei ihnen eine medizinische Kontra-Indikation gegen eine Impfung besteht.
Damals stimmte eine große Mehrheit der Ampel-Regierungskoalition sowie der Unionsfraktion für den entsprechenden Gesetzesentwurf von SPD, Grünen und FDP. Dem Personal in Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, komme eine besondere Verantwortung zu, da es intensiven und engen Kontakt zu Personengruppen mit einem hohen Infektionsrisiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf habe, hieß es in der Begründung.
Beschäftigten, die keinen Impfschutz oder eine Genesung nachweisen, drohen arbeitsrechtliche Schritte; das örtliche Gesundheitsamt kann für sie ein Betretungsverbot für ihre Einrichtung verhängen.
DKG-Vorsitzender Gaß und Virologe Kekulé: Einrichtungsbezogene Impfpflicht hat Zweck verloren
Nun aber gehöre auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht wieder auf den Prüfstand, erklärte Dr. Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), bereits am Tag nach dem Scheitern im Bundestag. Denn wenn es selbst für potenziell gefährdete Altersgruppen keine allgemein geltende Impfpflicht gebe – wie ist dann die Impfverpflichtung in der Pflege zu rechtfertigen, die ja indirekt – durch das Verhindern einer Virus-Übertragung von Beschäftigten auf Bewohner oder Patienten – genau diese Gruppen schützen soll?
„Bei der allgemeinen Impfpflicht wurde argumentiert, dass diese besonders gefährdete Gruppen vor schweren Verläufen und Krankenhausaufenthalten schützen würde und somit für eine Entlastung des Gesundheitssystems sorgt. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wurde eingeführt, um genau diese Gruppen zu schützen. Die Verhinderung der Übertragung wurde als Argument für die allgemeine Impfpflicht aber als hinfällig betrachtet.
Dann kann sie auch nicht mehr Grundlage für Betretungs- und Berufsverbote für die Beschäftigten in den Gesundheitseinrichtungen sein“, erläutert er. In einer ähnlichen Richtung hatte sich der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) bereits Mitte März, dem Tag nach Inkrafttreten der Branchen-Impfpflicht geäußert.
„Die einrichtungsbezogene Impfpflicht kann nur ein erster Schritt sein, weil sie das erklärte Ziel, den Schutz der älteren und pflegebedürftigen Menschen, allein nicht erreichen kann. Eine allgemeine Impfpflicht muss schnell folgen, damit nicht nur die Beschäftigten in einer Pflegeeinrichtung, sondern auch Angehörige und Besucher nicht mehr ungeimpft sein können“, so bpa-Präsident Bernd Meurer.
Auch der Virologe Alexander Kekulé, Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle, ging beim Interview mit dem MDR für seinen Podcast „Kekulés Corona-Kompass“ auf Distanz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Er sei damals einer der ersten gewesen, die für die einrichtungsbezogene Impfpflicht – oder überhaupt eine Impfpflicht in Deutschland – plädiert hätten.
Dies sei jedoch vor dem Hintergrund der damals vorherrschenden Delta-Variante zu sehen, wo es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Impfquote und Inzidenz gab, und es mehrfach schwere Corona-Ausbrüche in Seniorenheimen gegeben habe. Durch die seit Jahresanfang dominante Omikron-Variante habe sich die Lage jedoch grundlegend geändert.
„Und deshalb meine ich, weil wir ja auch gerade wissen, dass die Impfung bezüglich der Verbreitung von Infektionen nicht so viel bringt – bei Omikron kann man sagen fast gar nichts bringt, nur sehr wenig – dass man eigentlich keine epidemiologische Begründung dafür mehr hat“, so Kekulé. Es wäre „ein klarer Schnitt gewesen zu sagen, wir stellen jetzt erst mal alles zurück. Wir warten mal ab, was da kommt, und machen uns bereit, eben dann im Zweifelsfall schnell zu entscheiden.“