Die im Dezember 2021 beschlossene Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen oder Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege kann aus verfassungsrechtlicher Sicht zunächst wie geplant kommen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat einen Eilantrag gegen die geplante Impfpflicht im Pflege- und Gesundheitswesen abgelehnt. Im Hauptsacheverfahren werden die Verfassungsrichter sich jedoch noch genauer mit der Impfpflicht in Gesundheit und Pflege beschäftigen. Gegen die branchenbezogene Impfpflicht waren 74 Verfassungsbeschwerden eingegangen, eingereicht von insgesamt rund 300 Klageführenden.
Die Regelung sieht vor, dass in den im Infektionsschutzgesetz benannten Einrichtungen oder Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege tätige Personen ab dem 15. März geimpft oder genesen sein müssen. Bis zu diesem Stichtag müssen die Beschäftigten einen entsprechenden Nachweis erbringen. Machen sie dies nicht, müssen die Einrichtungen die betreffenden Personen dem Gesundheitsamt melden. Dieses entscheidet dann über weitere Schritte, die bis zu einem Betretungsverbot für die Arbeitsstelle reichen knnen. Neu in einer Einrichtung anfangende Beschäftigte brauchen ab 16. März einen solchen Nachweis von vornherein.
Bundesverfassungsgericht: Mögliche Nachteile einer Vollzugs-Aussetzung überwiegen
In ihrer Entscheidung haben die Richter zwei verschiedene Szenarien gegeneinander abgewogen: einerseits, wenn die einstweilige Anordnung auf Aussetzung nicht erginge und die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren Erfolg hätte; andererseits der entgegengesetzte Fall, wenn die einstweilige Anordnung getroffen würde, aber die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren erfolglos bliebe.
Die Nachteile, wenn die Impfpflicht nicht eingeführt würde, überwögen die Nachteile durch eine Impfpflicht, die sich letztlich als verfassungswidrig erwiese. Das Ausbleiben einer Impfung des Pflegepersonals sei schwerwiegender als die Konsequenzen für die nun zu impfenden Beschäftigten. Denn: „Schwerwiegende Nebenwirkungen oder gravierende Folgen, die über die durch die Verabreichung des Impfstoffes induzierte Immunantwort hinausgehen, sind nach derzeitigem Kenntnisstand sehr selten“, heißt es in der Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen begrüßte die Entscheidung der Karlsruher Richter. „Jetzt gilt es, die Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal bundesweit ab Mitte März umzusetzen“, so der Bundestagsabgeordnete zur Deutschen Presse-Agentur (dpa). Damit bezieht er sich auch auf die Entscheidung von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), die beschlossene Impfpflicht für Pflegekräfte in seinem Bundesland zunächst nicht anzuwenden.
Debatte um allgemeine Impfpflicht: Ampel-Abgeordnete und Union legen neue Modelle vor
In der Debatte um eine allgemeine Impfpflicht – nicht nur für Gesundheit und Pflege, sondern für alle Bereiche der Gesellschaft – hat die Union unterdessen einen neuen Vorschlag ins Spiel gebracht. Demnach soll es einen Mechanismus geben, ab wann eine Impfpflicht einzuführen sei. Als Entscheidungskriterien hierüber nennt der Antrag erstens die voraussichtliche Schwere der aktuellen Virusvariante, ihre Übertragbarkeit sowie den Umfang der Immunität der Bevölkerung. Nacheinander drei Stufen würde der impfpflichtige Personenkreis umfassen: zunächst alle ab 60 Jahren, schließlich ab 50, in der dritten Stufe Beschäftigte der kritischen Infrastruktur sowie Mitarbeiter in Schulen und Kindergärten – unabhängig von ihrem Alter. Der Bundestag könne per Beschluss – vergleichbar dem Prozedere über die „epidemische Notlage nationaler Tragweite“ – den Mechanismus in Gang setzen und auch wieder aufheben.
Als Gründe nennt die Union zum einen die hohe Übertragbarkeit der Omikron-Virusvariante trotz Impfung, der bereits nahende Höhepunkt der aktuellen Welle, sowie die damit verbundene fehlende Beeinflussbarkeit des Verlaufs durch eine Impfpflicht. Jene würde angesichts der vorgenannten Fakten besonders begründungsbedürftig.
Abgeordnete legen neuen Gesetzentwurf vor
Währenddessen haben sieben Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und FDP einen ausgearbeiteten Entwurf für ein „Gesetz zur Aufklärung, Beratung und Impfung aller Volljährigen“ vorgelegt.
Demnach sollen in einem ersten Schritt die Krankenkassen ihre Versicherten bis zum 15. Mai mit Informationsmaterial rund um die Impfung kontaktieren. Ab 1. Oktober griffe dann die Impfpflicht für alle Personen ab 18 Jahren mit drei Impfungen. Ausnahmen gäbe es nur für Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, sowie für Frauen am Anfang ihrer Schwangerschaft.
Ein weiteres Modell, hauptsächlich getragen von FDP-Abgeordneten, sieht eine Impfpflicht für Personen ab 50 Jahren vor, sollte eine noch zu definierende Mindest-Impfquote in dieser Altersgruppe nicht erreicht werden. Geplant ist, die Abstimmung im Bundestag „freizugeben“ – ohne den sonst de facto üblichen „Fraktionszwang“.