Gerade jetzt, zu Beginn der Erkältungszeit, sind gesundheitsbewußte Menschen besonders hellhörig. Was hilft, um mein Immunsystem für die Wintersaison zu stärken?
Der neueste Trend: sogenannte „Drip Bars“. Dort soll man mit Vitamininfusionen Erkältungen abwehren können, Erschöpfungen entgegenwirken und den Teint zum Strahlen bringen. Per Injektion gelangen die Nährstoffe ins Blut, wo sie dann vermeintlich schnell und effektiv wirken sollen.
Als Drips werden intravenös gegebene Nährstoffmischungen bezeichnet, die dem Körper kontrolliert verabreicht werden. Diese sollen für mehr Wohlbefinden sorgen und vermeintliche Defizite schnell und unkompliziert ausgleichen.
Die Infusionen tröpfeln in bis zu 60 Minuten in den Blutkreislauf und gelangen somit ohne Umwege direkt in den Körper. Dadurch sollen die Nährstoffe schneller und effektiver wirken als herkömmliche Nahrungsergänzungsmittel.
Experten sehen den Gesundheitstrend jedoch kritisch und warnen vor den Risiken solcher Nährstoffinfusionen. Darin sind zum Beispiel enthalten:
- Vitamin C
- Biotin
- Glutathion
- Taurin
Drip Bars bieten Nährstoffmixe an
Aber auch andere Substanzen wie Zink oder Magnesium finden ihren Weg in diese Infusionen. Die Angebote der Nährstoffmixe variieren je nach Einsatzgebiet und Wünschen der Konsumenten. In den hippen Wellness-Oasen wird dann Tropfen für Tropfen hochdosiert und intravenös die Mischung verabreicht.
Ein Anti-Kater-Drip wird beispielsweise für rund 100 Euro angeboten – die Immun-Infusion per Tropf fließt für 180 Euro in die Blutbahn.
„Für solche Infusionen gibt es keine medizinische nachvollziehbare Begründung. Ernährungsmedizinisch ist es Humbug – schlimmste Scharlatanerie wie im Mittelalter“, sagt dazu Dr. Matthias Riedl. Der Diabetologe und Ernährungsmediziner leitet das Medicum Hamburg, ein großes Zentrum für Ernährungsmedizin. Nährstoffe sind sein täglich Brot.
Von einer intravenösen Vitamintherapie ohne ärztliche Indikation rät Dr. Riedl grundsätzlich ab, da keine der angeblichen gesundheitlichen Auswirkungen bisher wissenschaftlich bestätigt worden ist.
Internisten kritisieren das Verfahren
Gegenüber der Rechtsdepesche erklärt Dr. Matthias Riedl:
„Bei jeder Injektion besteht die Gefahr der Keimverschleppung in die Blutbahn und thereotisch auch die Ansiedelung auf den Herzklappen. Die Gefahr einer Endocariditis ist zwar sehr gering, aber möglich und hängt auch von der Hygiene des Personals ab. Wer solche oder andere Infusionen in kurzen Abständen erhält, erleidet eine Vitaminüberdosierung mit möglichen gesundheitlichen Nachteilen. Die Beteiligung von unsinnigen oder potenziell schädlichen medizinischen Massnahmen durch medizinisches Fachpersonal ist unethisch. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin bezeichnet solche Proceduren zu Recht als skandlös. Hier ist meiner Einschätzung nach der Verbraucherschutz und die behördliche Aufsicht gefragt.“
„Insbesondere Menschen mit Nierenschädigungen sollten von solchen Lifestyle-Infusionen Abstand nehmen, da es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann“, urteilt zum Beispiel Nierenspezialist Jan Galle.
Welche Nährstoffmengen ein Mensch durchschnittlich braucht, um gesund zu sein und zu bleiben, ist mittlerweile gut untersucht.
Bezogen auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen – zum Beispiel Kinder, Erwachsene unterschiedlicher Altersklassen sowie Schwangere – hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sogenannte Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr und lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen festgelegt.
Ausgewogene Ernährung reicht
Deren Aussage ist: Gesunde Menschen sind auf der sicheren Seite, wenn sie ihre tägliche Nährstoff- und Lebensmittelzufuhr an diesen Werten orientieren.
Eine Nährstoffaufnahme unterhalb der Empfehlungen führt nicht gleich zu einem Mangel. Und niemand sollte Tag für Tag ausrechnen, ob er die Referenzwerte einhält. Eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ermöglicht die Nährstoffversorung im Alltag in der Regel problemlos.
Die DGE spricht folgende Empfehlungen aus:
„Eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung liefert in der Regel alles, was ein gesunder Mensch braucht, um gut mit Energie und Nährstoffen versorgt zu sein. Für bestimmte Lebensphasen, Ernährungsgewohnheiten und Bevölkerungsgruppen gibt es allgemeine Empfehlungen zur Supplementierung.
Dazu zählen vor allem Frauen mit Kinderwunsch (Folsäure), Schwangere (Folsäure und Jod) und Stillende (Jod), Menschen, die sich vegan ernähren (Vitamin B12) sowie Säuglinge, über 65-Jährige und auch Menschen, die sich kaum draußen im Tageslicht aufhalten oder ihre Haut größtenteils bedecken (Vitamin D).
Das Risiko einer unzureichenden Nährstoffversorgung steigt zum Beispiel durch eine einseitige Ernährung,“
FAQ
Welche Wirkung erzielen Drip Bar-Injektionen?
Die Nährstoffmixe, die in den Drip Bars individuell angepasst werden, sollen das Immunsystem schnell und direkt durch eine Infusion stärken. Dieses Versprechen erscheint aktuell jedoch höchst zweifelhaft, wie Internisten kritisieren.
Für wen sind Nahrungsergänzungsmittel überhaupt zu empfehlen?
Gesunde Menschen sind auf der sicheren Seite, wenn sie ihre tägliche Nährstoff- und Lebensmittelzufuhr an den ausgewiesenen Werten der DGE orientieren.
Fazit
Intravenöse Extravitamine und Mineralien helfen in erster Linie denen, die sie verabreichen und verkaufen.
Keine einzige der bisher vorliegenden Studien konnte nachweisen, dass Drips etwa Erkältungen verhindern, die Haut straffen, die Fettverbrennung ankurbeln oder einen Kater lindern können.
Die Verabreichung direkt ins Blut sagt nichts über den Wirkungsgrad aus. Auch wenn die Nährstoffe am schnellsten direkt über die Blutbahn aufgenommen werden, nützen sie nichts, wenn der Körper keinen Mangelzustand hat.