Gegenüber anderen Branchen Deutschlands ist die Digitalisierung mitunter im Gesundheitswesen am wenigsten fortgeschritten. Dabei bergen digitale Neuerungen ein erheblichses Potenzial für die medizinische Versorgung.
Gegen­über anderen Branchen Deutsch­lands ist die Digita­li­sie­rung mitun­ter im Gesund­heits­we­sen am wenigs­ten fortge­schrit­ten. Dabei bergen digitale Neuerun­gen ein erheb­lich­ses Poten­zial für die medizi­ni­sche Versor­gung. Bild: © Adam121 | Dreamstime.com

Konkret plädierte Spahn dafür, teleme­di­zi­ni­sche und inter­net­me­di­zi­ni­sche Anwen­dun­gen stärker zu nutzen, um die Versor­gung nicht zuletzt in ländli­chen Regio­nen zu verbes­sern. Ein weite­res digita­les Themen­feld sei die breitere Nutzung von Patien­ten­da­ten aus der Forschung, die Spahn als „Big Data“ zusam­men­fasste: „Im Kern geht es darum, dass wir die Daten, die wir bereits haben, nutzbar machen.“ Ziel sei es, Erkennt­nisse über Krank­hei­ten zu gewin­nen und Behand­lungs­ver­läufe nachzu­voll­zie­hen. Dabei gelte es, die Patien­ten einzu­be­zie­hen, etwa durch die Option einer „Daten­spende“, und technisch dafür zu sorgen, dass Daten­miss­brauch verhin­dert werde.

Ebenfalls am Herzen liegen Spahn digitale Produkte zur Präven­tion, beispiels­weise Gesund­heits-Apps. Hier schwebt dem Minis­ter eine Art Zerti­fi­zie­rung für frei zugäng­li­che Gesund­heits­an­wen­dun­gen vor, wie es bei Medizin­pro­duk­ten der Fall ist. Insge­samt sei es dabei wichtig, dass die „E‑Health-Branche“ nicht dem Selbst­zweck, sondern einer effizi­en­te­ren Patien­ten­ver­sor­gung diene.

Aktuell gehört das Gesund­heits­we­sen zu den am wenigs­ten digita­li­sier­ten Branchen in Deutsch­land. Die Folge sind nicht Geldman­gel oder gerin­ges Wachs­tum – die Branche setzt jedes Jahr über 330 Milli­ar­den Euro um und wächst im Schnitt über ein Prozent schnel­ler als die gesamte deutsche Wirtschaft. Das noch sehr analoge Gesund­heits­sys­tem hat andere Folgen: Digita­li­sie­rung sorgt für eine sichere und schnelle Kommu­ni­ka­tion und mehr Effizi­enz und bietet damit vor allem Chancen, die medizi­ni­sche Versor­gung zu verbes­sern.

So wundert es nicht, dass auch Patien­ten beim Thema Digita­li­sie­rung noch viel ungenutz­tes Poten­zial sehen. Dies zeigen die Ergeb­nisse einer reprä­sen­ta­ti­ven Online­be­fra­gung, die das Statis­tik-Portal Statista für die Deutsche Apothe­ker- und Ärzte­bank (apoBank) durch­ge­führt hat.

Die Befrag­ten erwar­ten dabei vor allem gut funktio­nie­rende digitale Basis­an­wen­dun­gen, die ihnen die Kommu­ni­ka­tion erleich­tern. Hierzu zählen die Online-Termin­ver­ein­ba­rung, der Austausch mit Ärzten und Apothe­kern per E‑Mail, die Telefon­sprech­stunde sowie die Online-Sprech­stunde. 60 % der Befrag­ten können es sich vorstel­len, digital mit ihrem Arzt zu kommu­ni­zie­ren. Am liebs­ten würden sie das per Telefon tun, gefolgt von Video­chat sowie E‑Mail und Text-Chat, zum Beispiel per Whats­App oder Messen­ger. Dabei sind aber nur sechs Prozent der Befrag­ten der Ansicht, dass Online-Infor­ma­tio­nen einen Arztbe­such erset­zen können.

Bei der Wahl eines passen­den Arztes holt sich mittler­weile jeder Dritte Unter­stüt­zung im Inter­net – vor allem jüngere Patien­ten nutzen hier die Homepage der Praxis oder Bewer­tungs­por­tale.

62 Prozent signa­li­sie­ren eine hohe bis sehr hohe Bereit­schaft, ihre Gesund­heits­da­ten im Rahmen einer elektro­ni­schen Gesund­heits­akte an Ärzte und Apothe­ker weiter­zu­ge­ben. Insge­samt stellt die Daten­si­cher­heit für die meisten Patien­ten kein Hinder­nis dar.

Auch Ärzte stehen Digita­li­sie­rung positiv gegen­über

Auch die Ärzte stehen der Digita­li­sie­rung grund­sätz­lich offen gegen­über. Das zeigt der DAK-Digita­li­sie­rungs­re­port 2018. Die Studi­en­teil­neh­mer sind überwie­gend der Meinung, dass digitale Angebote wie Online-Coaching, Gesund­heits-Apps, Video­kon­fe­ren­zen und selbst reine Online-Konsul­ta­tion von Ärzten in einem Callcen­ter sinnvolle Szena­rien sind, die sie auch selbst anwen­den würden, wenn es möglich wäre.

Aller­dings ist beispiels­weise ein ortsun­ab­hän­gi­ger Austausch zwischen Arzt und Patien­ten per Video­kon­fe­renz derzeit nur einge­schränkt möglich: Das geltende Fernbe­hand­lungs­ver­bot sieht vor, dass ein Arzt einen Patien­ten persön­lich unter­sucht haben muss, bevor er Teleme­di­zin einset­zen darf.

Der Deutsche Ärzte­tag 2018 hat zwar der Locke­rung des Fernbe­hand­lungs­ver­bots zugestimmt, ob dieser Beschluss in den einzel­nen Bundes­län­dern umgesetzt wird, entschei­den die Landes­ärz­te­kam­mern. Bis in allen Bundes­län­dern darüber abgestimmt wurde, wird noch einige Zeit verge­hen. Es ist auch durch­aus möglich, dass nicht alle Landes­ärz­te­kam­mern dem Beschluss folgen. Der DAK-Digita­li­sie­rungs­re­port zeigt jedoch, dass viele Ärzte eine Locke­rung für notwen­dig halten, um Versor­gungs­eng­pässe in ländli­chen Regio­nen mit gerin­ger Arztdichte aufzu­fan­gen.

Die meisten Studi­en­teil­neh­mer sehen in digita­len Lösun­gen aber auch Vorteile, die über den Patien­ten­nut­zen hinaus­ge­hen: Sieben von zehn sehen einen mögli­chen oder klaren wirtschaft­li­chen Nutzen für die Praxis durch Zeiter­spar­nis in adminis­tra­ti­ven Abläu­fen oder bei der Behand­lung. 85 % sind sicher, dass sich neue medizi­ni­sche Erkennt­nisse und Leitli­nien schnel­ler verbrei­ten lassen. Fast 90 % können sich vorstel­len, dass wissen­schaft­li­che Studien mit digita­len Metho­den schnel­ler durch­ge­führt werden können.

Aber: Digitale Anwen­dun­gen sind bisher noch lange nicht im Praxis­all­tag angekom­men – das macht der DAK-Digita­li­sie­rungs­re­port 2018 auch deutlich. So haben zwar vier von fünf Ärzten schon von der Video­sprech­stunde gehört, aber nur 8 Prozent hatten tatsäch­lich schon damit zu tun. Von einer Online-Patien­ten­akte hat nur jeder Zweite gehört. Mit 8 Prozent ist die prakti­sche Verbrei­tung sehr gering.

Aber woran liegt das? Es gibt gute Gründe dafür, dass die Gesund­heits­bran­che bisher nicht zu den Vorrei­tern in Sachen Digita­li­sie­rung gehört: Neben „branchen­un­ab­hän­gi­gen“ Fakto­ren, wie fehlen­der flächen­de­cken­der Breit­band­ver­sor­gung, bremsen die starke Fragmen­tie­rung des Systems und seiner Akteure sowie unzurei­chende Vergü­tungs- und Finan­zie­rungs­struk­tu­ren nach Exper­ten­mei­nung den digita­len Fortschritt aus.

Auch sind die Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen nicht auf die Heraus­for­de­run­gen der Digita­li­sie­rung einge­rich­tet. Es mangelt vor allem an IT-Kompe­ten­zen und ganzheit­li­chem System­wis­sen. Muss man sich jedoch erst einmal Exper­ten ins Haus holen, setzt dies bereits eine Entschei­dung voraus, die viele medizi­ni­sche Einrich­tun­gen noch nicht getrof­fen haben. Viele Ärzte bekla­gen in diesem Zusam­men­hang den tägli­chen Zeitman­gel, der eine Ausein­an­der­set­zung mit neuen Techni­ken verhin­dert. Hinzu kommt der Zeitauf­wand für eine spätere Imple­men­tie­rung.

Ein weite­rer „Knack­punkt“ für mehr Digita­li­sie­rung im Gesund­heits­we­sen ist der Schutz der hochsen­si­blen Patien­ten­da­ten. Tatsa­che ist: Eine schnelle Verfüg­bar­keit medizi­ni­scher Daten kann Leben retten. Daher ist die konse­quente und kluge Nutzung von Gesund­heits­da­ten wichtig und richtig. Gleich­zei­tig muss aber der Schutz der Privat­sphäre sicher­ge­stellt werden (siehe auch Beitrag „DSGVO – der Wert der Daten im Zeital­ter der Digita­li­sie­rung”).

Fazit

Schlan­kere Prozesse, mehr Trans­pa­renz sowie eine bessere Kommu­ni­ka­tion zwischen den Protago­nis­ten des Gesund­heits­we­sens und ihren Patien­ten – das erhof­fen sich alle Betei­lig­ten von einer stärke­ren Digita­li­sie­rung des Gesund­heits­sys­tems. Auch wenn noch viele Heraus­for­de­run­gen anste­hen: Sowohl Patien­ten als auch Ärzte stehen der Digita­li­sie­rung aufge­schlos­sen gegen­über.

Aller­dings geht es mit der Digita­li­sie­rung nur langsam voran. In Zukunft müssen deshalb Angebote entwi­ckelt werden, die der Komple­xi­tät des Gesund­heits­we­sens, gelten­den Daten­schutz- und IT-Sicher­heits­an­for­de­run­gen und den Erwar­tun­gen der Betei­lig­ten, insbe­son­dere der Patien­ten, gerecht werden. Diese verlan­gen auch im Gesund­heits­we­sen nach „digita­ler Norma­li­tät“. Das heißt, sie wollen von den Vortei­len der Digita­li­sie­rung, die sie in anderen Branchen, etwa beim Online­shop­ping, im Alltag als selbst­ver­ständ­lich wahrneh­men, auch im Gesund­heits­we­sen profi­tie­ren.

Die größte Heraus­for­de­rung, die starke Regulie­rung, wird auf abseh­bare Zeit bestehen bleiben – bei so sensi­blen Themen wie Gesund­heit und Daten­schutz in großen Teilen auch zu Recht. Oft genug müssen die Vorschrif­ten aber auch als Ausrede für eine wenig verbrei­tete Innova­ti­ons­lust herhal­ten. Die hohen Anfor­de­run­gen an Daten­schutz und Daten­si­cher­heit können aber bei sinnvol­ler Anwen­dung auch für eine größere Akzep­tanz von digita­len Anwen­dun­gen sorgen. Den großen Vertrau­ens­vor­schuss, den Ärzte genie­ßen, gilt es hier zu nutzen.

Quelle: Rechts­an­walt Mark Hesse, HDI Versi­che­rung AG, Hanno­ver