Konkret plädierte Spahn dafür, telemedizinische und internetmedizinische Anwendungen stärker zu nutzen, um die Versorgung nicht zuletzt in ländlichen Regionen zu verbessern. Ein weiteres digitales Themenfeld sei die breitere Nutzung von Patientendaten aus der Forschung, die Spahn als „Big Data“ zusammenfasste: „Im Kern geht es darum, dass wir die Daten, die wir bereits haben, nutzbar machen.“ Ziel sei es, Erkenntnisse über Krankheiten zu gewinnen und Behandlungsverläufe nachzuvollziehen. Dabei gelte es, die Patienten einzubeziehen, etwa durch die Option einer „Datenspende“, und technisch dafür zu sorgen, dass Datenmissbrauch verhindert werde.
Ebenfalls am Herzen liegen Spahn digitale Produkte zur Prävention, beispielsweise Gesundheits-Apps. Hier schwebt dem Minister eine Art Zertifizierung für frei zugängliche Gesundheitsanwendungen vor, wie es bei Medizinprodukten der Fall ist. Insgesamt sei es dabei wichtig, dass die „E‑Health-Branche“ nicht dem Selbstzweck, sondern einer effizienteren Patientenversorgung diene.
Aktuell gehört das Gesundheitswesen zu den am wenigsten digitalisierten Branchen in Deutschland. Die Folge sind nicht Geldmangel oder geringes Wachstum – die Branche setzt jedes Jahr über 330 Milliarden Euro um und wächst im Schnitt über ein Prozent schneller als die gesamte deutsche Wirtschaft. Das noch sehr analoge Gesundheitssystem hat andere Folgen: Digitalisierung sorgt für eine sichere und schnelle Kommunikation und mehr Effizienz und bietet damit vor allem Chancen, die medizinische Versorgung zu verbessern.
So wundert es nicht, dass auch Patienten beim Thema Digitalisierung noch viel ungenutztes Potenzial sehen. Dies zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Onlinebefragung, die das Statistik-Portal Statista für die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (apoBank) durchgeführt hat.
Die Befragten erwarten dabei vor allem gut funktionierende digitale Basisanwendungen, die ihnen die Kommunikation erleichtern. Hierzu zählen die Online-Terminvereinbarung, der Austausch mit Ärzten und Apothekern per E‑Mail, die Telefonsprechstunde sowie die Online-Sprechstunde. 60 % der Befragten können es sich vorstellen, digital mit ihrem Arzt zu kommunizieren. Am liebsten würden sie das per Telefon tun, gefolgt von Videochat sowie E‑Mail und Text-Chat, zum Beispiel per WhatsApp oder Messenger. Dabei sind aber nur sechs Prozent der Befragten der Ansicht, dass Online-Informationen einen Arztbesuch ersetzen können.
Bei der Wahl eines passenden Arztes holt sich mittlerweile jeder Dritte Unterstützung im Internet – vor allem jüngere Patienten nutzen hier die Homepage der Praxis oder Bewertungsportale.
62 Prozent signalisieren eine hohe bis sehr hohe Bereitschaft, ihre Gesundheitsdaten im Rahmen einer elektronischen Gesundheitsakte an Ärzte und Apotheker weiterzugeben. Insgesamt stellt die Datensicherheit für die meisten Patienten kein Hindernis dar.
Auch Ärzte stehen Digitalisierung positiv gegenüber
Auch die Ärzte stehen der Digitalisierung grundsätzlich offen gegenüber. Das zeigt der DAK-Digitalisierungsreport 2018. Die Studienteilnehmer sind überwiegend der Meinung, dass digitale Angebote wie Online-Coaching, Gesundheits-Apps, Videokonferenzen und selbst reine Online-Konsultation von Ärzten in einem Callcenter sinnvolle Szenarien sind, die sie auch selbst anwenden würden, wenn es möglich wäre.
Allerdings ist beispielsweise ein ortsunabhängiger Austausch zwischen Arzt und Patienten per Videokonferenz derzeit nur eingeschränkt möglich: Das geltende Fernbehandlungsverbot sieht vor, dass ein Arzt einen Patienten persönlich untersucht haben muss, bevor er Telemedizin einsetzen darf.
Der Deutsche Ärztetag 2018 hat zwar der Lockerung des Fernbehandlungsverbots zugestimmt, ob dieser Beschluss in den einzelnen Bundesländern umgesetzt wird, entscheiden die Landesärztekammern. Bis in allen Bundesländern darüber abgestimmt wurde, wird noch einige Zeit vergehen. Es ist auch durchaus möglich, dass nicht alle Landesärztekammern dem Beschluss folgen. Der DAK-Digitalisierungsreport zeigt jedoch, dass viele Ärzte eine Lockerung für notwendig halten, um Versorgungsengpässe in ländlichen Regionen mit geringer Arztdichte aufzufangen.
Die meisten Studienteilnehmer sehen in digitalen Lösungen aber auch Vorteile, die über den Patientennutzen hinausgehen: Sieben von zehn sehen einen möglichen oder klaren wirtschaftlichen Nutzen für die Praxis durch Zeitersparnis in administrativen Abläufen oder bei der Behandlung. 85 % sind sicher, dass sich neue medizinische Erkenntnisse und Leitlinien schneller verbreiten lassen. Fast 90 % können sich vorstellen, dass wissenschaftliche Studien mit digitalen Methoden schneller durchgeführt werden können.
Aber: Digitale Anwendungen sind bisher noch lange nicht im Praxisalltag angekommen – das macht der DAK-Digitalisierungsreport 2018 auch deutlich. So haben zwar vier von fünf Ärzten schon von der Videosprechstunde gehört, aber nur 8 Prozent hatten tatsächlich schon damit zu tun. Von einer Online-Patientenakte hat nur jeder Zweite gehört. Mit 8 Prozent ist die praktische Verbreitung sehr gering.
Aber woran liegt das? Es gibt gute Gründe dafür, dass die Gesundheitsbranche bisher nicht zu den Vorreitern in Sachen Digitalisierung gehört: Neben „branchenunabhängigen“ Faktoren, wie fehlender flächendeckender Breitbandversorgung, bremsen die starke Fragmentierung des Systems und seiner Akteure sowie unzureichende Vergütungs- und Finanzierungsstrukturen nach Expertenmeinung den digitalen Fortschritt aus.
Auch sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht auf die Herausforderungen der Digitalisierung eingerichtet. Es mangelt vor allem an IT-Kompetenzen und ganzheitlichem Systemwissen. Muss man sich jedoch erst einmal Experten ins Haus holen, setzt dies bereits eine Entscheidung voraus, die viele medizinische Einrichtungen noch nicht getroffen haben. Viele Ärzte beklagen in diesem Zusammenhang den täglichen Zeitmangel, der eine Auseinandersetzung mit neuen Techniken verhindert. Hinzu kommt der Zeitaufwand für eine spätere Implementierung.
Ein weiterer „Knackpunkt“ für mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen ist der Schutz der hochsensiblen Patientendaten. Tatsache ist: Eine schnelle Verfügbarkeit medizinischer Daten kann Leben retten. Daher ist die konsequente und kluge Nutzung von Gesundheitsdaten wichtig und richtig. Gleichzeitig muss aber der Schutz der Privatsphäre sichergestellt werden (siehe auch Beitrag „DSGVO – der Wert der Daten im Zeitalter der Digitalisierung”).
Fazit
Schlankere Prozesse, mehr Transparenz sowie eine bessere Kommunikation zwischen den Protagonisten des Gesundheitswesens und ihren Patienten – das erhoffen sich alle Beteiligten von einer stärkeren Digitalisierung des Gesundheitssystems. Auch wenn noch viele Herausforderungen anstehen: Sowohl Patienten als auch Ärzte stehen der Digitalisierung aufgeschlossen gegenüber.
Allerdings geht es mit der Digitalisierung nur langsam voran. In Zukunft müssen deshalb Angebote entwickelt werden, die der Komplexität des Gesundheitswesens, geltenden Datenschutz- und IT-Sicherheitsanforderungen und den Erwartungen der Beteiligten, insbesondere der Patienten, gerecht werden. Diese verlangen auch im Gesundheitswesen nach „digitaler Normalität“. Das heißt, sie wollen von den Vorteilen der Digitalisierung, die sie in anderen Branchen, etwa beim Onlineshopping, im Alltag als selbstverständlich wahrnehmen, auch im Gesundheitswesen profitieren.
Die größte Herausforderung, die starke Regulierung, wird auf absehbare Zeit bestehen bleiben – bei so sensiblen Themen wie Gesundheit und Datenschutz in großen Teilen auch zu Recht. Oft genug müssen die Vorschriften aber auch als Ausrede für eine wenig verbreitete Innovationslust herhalten. Die hohen Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit können aber bei sinnvoller Anwendung auch für eine größere Akzeptanz von digitalen Anwendungen sorgen. Den großen Vertrauensvorschuss, den Ärzte genießen, gilt es hier zu nutzen.
Quelle: Rechtsanwalt Mark Hesse, HDI Versicherung AG, Hannover