Entwurf zum Digital-Gesetz liegt vor
Das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) ist Teil der nationalen Digitalisierungsstrategie für Gesundheitswesen und Pflege. Am 30. August 2023 hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zum DigiG beschlossen.
Ziel des Gesetzes ist es, die Einführung und Nutzung von digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen zu beschleunigen. Damit soll eine effizientere und qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung erreicht werden, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt.
Konkret soll erreicht werden,
- die Potenziale der elektronischen Patientenakte (ePA) zur Steigerung der Patientensicherheit und der medizinischen und pflegerischen Versorgungsqualität zu nutzen, in- dem sie durch Umstellung auf eine Widerspruchslösung („Opt-out“) flächendeckend in die Versorgung integriert werden kann,
- das E‑Rezept weiterzuentwickeln und verbindlich einzuführen,
- Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) noch besser für die Versorgung nutzbar zu machen,
- Videosprechstunden und Telekonsilien qualitätsorientiert weiterzuentwickeln,
- digitale Versorgungsprozesse in strukturierten Behandlungsprogrammen zu ermöglichen,
- die Interoperabilität zu verbessern,
- die Cybersicherheit zu erhöhen und
- den Innovationsfonds zu verstetigen und weiterzuentwickeln.“
Digital-Gesetz: Das ist geplant
Um diese Ziele zu erreichen, schlägt der Entwurf zum Digital-Gesetz folgende Maßnahmen vor:
- Weiterentwicklung der ePA: Obwohl die ePA schon seit dem 1. Januar 2021 verfügbar ist, wird sie bis jetzt von nur 595.000 Menschen genutzt – das sind weniger als ein Prozent der gesetzlich Versicherten in Deutschland. Um die Nutzung zu steigern, soll die ePA zu einer Opt-out-Lösung umgebaut – das heißt, sie wird grundsätzlich für jede versicherte Person angelegt, die nicht aktiv widersprochen hat – und weitestgehend automatisiert befüllt werden. Dabei soll zunächst der Medikationsprozess erfasst werden, im nächsten Step auch Laborbefunde.
- Weiterentwicklung des E‑Rezeptes: Das E‑Rezept steht seit dem 1. September 2022 flächendeckend zur Verfügung. Um es besser nutzbar zu machen, soll es künftig mittels ePA-App abrufbar sein. Außerdem sollen aus der App heraus Gesundheitskarten, PINs und digitale Identitäten beantragt werden können. Die Kassen werden verpflichtet, ihre Versicherten proaktiv über das E‑Rezept zu informieren.
- Bessere Integration von DiGA: Die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sollen besser in die Versorgungprozesse integriert werden. Der Leistungsanspruch, der bisher auf Medizinprodukte der niedrigen Risikoklassen I und IIa beschränkt ist, soll auf höhere Klassen ausgewertet werden, womit auch das Selbstmanagement bestimmter Krankheiten wie Diabetes erstattungsfähig wäre. Ein Anteil von mindestens 20 Prozent der Vergütung der DiGA-Hersteller soll künftig am Erfolg orientiert werden. Demnach würde der Vergütungsanspruch komplett entfallen, wenn der Versicherte die DiGA weniger als zwei Wochen lang nutzt.
- Weiterentwicklung der Telemedizin: Die Nutzung von Videosprechstunden soll ausgeweitet werden. Dazu wird die bisher geltende Begrenzung aufgehoben.
- Digitale Weiterentwicklung von strukturierten Behandlungsprogrammen: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G‑BA) soll strukturierte Behandlungsprogramme für Menschen mit Diabetes Typ I und Typ II mit digitalisierten Versorgungsprozessen einführen.
- Verbesserung der Interoperabilität: Interoperabilität – also die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme, nahtlos zusammenzuarbeiten – ist eine Voraussetzung für ein funktionierendes digitales Gesundheitswesen. Bisher scheitert dieser Anspruch jedoch meistens an der Fragmentierung der Leistungserbringung im deutschen Gesundheitssystem sowie der Heterogenität der dafür verwendeten Informationssysteme. Um das zu ändern, sollen verbindliche Standards, Profile und Leitfäden eingeführt werden.
- Erhöhung der Cybersicherheit: Digitale Systeme sind von jeher Angriffen ausgesetzt, was bedeutet, dass Einrichtungen technische und organisatorische Maßnahmen ergreifen müssen, um die Resilienz ihrer Systeme zu verbessern. Dabei soll auch das Risikobewusstsein der Nutzer digitaler Anwendungen geschärft werden. Für den Bereich Cloudcomputing hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit dem „Kriterienkatalog C5 (Cloud Computing Compliance Criteria Catalogue)“ Mindestanforderungen definiert. Der neu eingefügte § 393 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), der die gematik verpflichtet, eine Geschäfts- und Verfahrensordung für das Interoperabilitätsverzeichnis zu erstellen, soll die Einhaltung dieser Mindeststandards gewährleisten.
- Verstetigung und Weiterentwicklung des Innovationsfonds: Der Innovationsfonds hat die Weiterentwicklung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorangetrieben und soll deshalb verstetigt werden. Darüber hinaus sollen die Fördermöglichkeiten erweitert, die Gewinnung von Erkenntnissen beschleunigt und der Gestaltungsspielraum des Innovationsausschusses vergrößert werden.
Kassen und Verbände begrüßen Weiterentwicklung der ePA
Die Reaktionen von Kassen und Verbänden auf den Gesetzesentwurf fielen gemischt aus. Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, sieht das Gesetz als möglichen Katalysator für die Weiterentwicklung der ePA. Durch die geplante Speicherung der ePatientenkurzakte und des Medikationsplans auf der ePA könne der Weg zur zentralen Versichertenplattform geebnet werden. „Es wäre aber konsequent, diesen Ansatz auch auf die Notfalldaten auszuweiten. Die schon heute existierende Möglichkeit zur Speicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) wird de facto kaum genutzt und sorgt für unnötige bürokratische Aufwände“, so Dr. Reimann.
Auch die Bundesärztekammer (BÄK) sieht in dem Entwurf die Grundlage dafür, dass jeder Versicherte aufwandsarm eine elektronische Patientenakte (ePA) erhält. Sie begrüßt besonders die geplante Überführung von Behandlungsdaten und Medikationsplänen in interoperable Formate. Allerdings sei die Ausgestaltung der Zugriffsverwaltung an manchen Stellen so kleinteilig gestaltet, dass die notwendige Praktikabilität und Überschaubarkeit für die Versicherten nicht gewährleistet sei.
Der Bitkom begrüßt die Vorlage des DigiG als ersten Schritt zur Umsetzung der Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen, bedauert aber, dass es mit dem vorliegenden Entwurf nicht gelungen ist, die Umwandlung der gematik in eine Digitalagentur gesetzlich zu regeln. Insbesondere bei der Erreichung von Interoperabilität aber auch bei den Themen Datenschutz und Datensicherheit fehle es an konkreten Bestrebungen zur Etablierung und Nutzung von internationalen und mindestens europäischen Standards.
Kritik am Datenschutz
Besonders harte Kritik kommt vom Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Der Entwurf sieht eine verpflichtende automatische Befüllung der ePA durch Arztpraxen, Kliniken und weitere Leistungserbringer vor, sofern die Versicherten nicht ausdrücklich widersprochen haben.
So werden bisher dezentral gespeicherte Gesundheitsdaten in der ePA zusammengeführt, woraus sich ein nahezu vollständiges Gesundheitsprofil der versicherten Person ergibt.
Vor diesem Hintergrund – so der Bundesdatenschutzbeauftragte – sei die im Gesetzentwurf vorgesehene explizite Hinweispflicht mit Widerspruchsmöglichkeit der betroffenen Person nicht ausreichend, da ein bloßer Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeit gegen die Datenverarbeitung kein hinreichendes Instrument zum Schutz der betroffenen Personen darstelle.
Die Speicherung und Übermittlung solcher Daten dürfe wegen der damit verbundenen Persönlichkeitsgefährdung nur mit ausdrücklicher, freiwilliger Einwilligung der betroffenen Person erfolgen.
Als zulässige Daten für die Befüllung der ePA auf Basis einer Widerspruchslösung sieht der Bundesdatenschutzbeauftragte nur
- Daten zu arzneimittelbezogenen Verordnungsdaten und Dispensierinformationen zur Darstellung der aktuell verordneten Medikation,
- Daten zu frei verkäuflichen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln,
- Daten des elektronischen Medikationsplans,
- Daten der elektronischen Patientenkurzakte sowie
- Daten zu Hinweisen der Versicherten auf das Vorhandensein und den Aufbewahrungsort von Erklärungen nach § 341 Absatz 2 Nummer 7 Buchstabe a und b SGB V‑E
Eine weitergehende Befüllung der ePA, zum Beispiel mit Laborbefunden, dürfe, soweit keine weitere entsprechende gesetzliche Zweckfestlegung stattgefunden habe, nicht ohne Einwilligung der betroffenen Person erfolgen, wobei die Erteilung der Einwilligung zur Sicherung der Entscheidungsfreiheit sehr kleinteilig möglich sein müsse.