Pflege
Pflege der kurzen Wege als Zukunfts­mo­dell Bild: Katar­zyna Bialasiewicz/Dreamstime.com

Kurze Wege an der frischen Luft mit dem Fuß und dem Fahrrad, statt lange Fahrzei­ten, Termin­stress, Parkplatz­su­che und Knöll­chen. Und eine Zusam­men­ar­beit nicht nur der ambulan­ten Pflege­dienste unter­ein­an­der, sondern auch mit Ärzten, Apothe­ken und sonsti­gen Gesund­heits-Dienst­leis­tern, Sport‑, Kultur- und Nachbar­schafts­ver­ei­nen, Pfarr­ge­mein­den und Seelsor­gern sowie unzäh­li­gen weite­ren Partnern. Dies ist der Weg, der momen­tan in der hessi­schen Landes­haupt­stadt Wiesba­den Schule macht!

Die meisten Wege werden mit Fahrrä­dern erledigt

Und die Zufrie­den­heit ist auf allen Seiten hoch – die betreu­ten zu Pflegen­den, die durch die kurzen Wege in Minuten­schnelle eine Pflege­kraft anfor­dern können, als auch bei den Beschäf­tig­ten. „Wir sitzen im Sommer draußen zusam­men, trinken Tee oder Kaffee. Wir müssen eben nicht mehr quer durch die ganze Stadt fahren und im Stau stehen“, schwärmt Torsten Anstädt, der Geschäfts­füh­rer und Mitbe­grün­der der humaQ gGmbH, deren Name für „Humani­tät im Quartier“ steht und welche die Vernet­zung in Quartiere mit voran­treibt.

Die ambulante Pflege als solche werde in den kommen­den Jahren und Jahrzehn­ten deutlich an Bedeu­tung gewin­nen: Schon heute würden rund 830.000 Menschen von ambulan­ten Pflege­diens­ten versorgt – zusätz­lich zu den 1,76 Millio­nen, bei denen allein Angehö­rige die Betreu­ung überneh­men. „Und alleine rund 900 Menschen erhal­ten täglich im deutsch­spra­chi­gen Raum ihre Demenz-Diagnose.“

Pflege: Konzen­tra­tion auf das eigene Viertel

Der Grund­ge­danke ist einfach: Anstatt, wie bisher, Pflege­dienste durch die ganze Stadt (und das Umland) zu schicken, konzen­trie­ren sich die vor Ort ansäs­si­gen Pflege­dienste auf ihr eigenes Quartier. „Das Quartier ist nicht der Stadt­teil, sondern der Sozial­raum, der Kiez, in dem Du lebst“, so Anstädt. Maximal zehn Perso­nen arbei­te­ten in der lokalen Versor­gung zusam­men.

„Wir brauchen im Prinzip nur Fahrrä­der. Der Löwen­an­teil der Besuche bei den zu Betreu­en­den wird mittler­weile per Rad gemacht, oder sogar zu Fuß. Autos brauchen wir im Prinzip nur noch für Arztfahr­ten oder größere Trans­porte.“ Die Entlas­tung von Parkplatz-Suchstress, Straf­zet­tel-Angst und dichten Termin­plä­nen, sowie der wohltu­ende Effekt des körper­li­chen Trainings durch die zusätz­li­che Bewegung, mache sich im Betriebs­klima deutlich bemerk­bar.

Mit „Mini-Netzwerk“ aus zwei Insti­tu­tio­nen ging’s los

Um 2016 fing die Quartiers­ar­beit an, erinnert sich Anstädt. „Damals gründete sich ein Mini-Netzwerk vor Ort, aus einem priva­ten ambulan­ten Pflege­dienst und einem evange­lisch-freige­mein­nüt­zi­gen Träger. Man sagte sich: Wir haben unter­schied­li­che Kompe­ten­zen, aber ein gemein­sa­mes Ziel – die Menschen optimal zu versor­gen.“

Nach und nach schlos­sen sich weitere Insti­tu­tio­nen an; weitere Quartiere bilde­ten sich. Anfangs herrschte hier und da Skepsis vor, ob das neue Modell etwas bringe. „Aber spätes­tens nach drei, vier Jahren haben die anderen Einrich­tun­gen gesehen, dass da wirklich etwas läuft. Man kann sagen: Ein Quartier braucht seine Zeit; nichts geht von heute auf morgen.“ Auch durch die Unter­stüt­zung der Stadt Wiesba­den, die das Poten­zial der Pflege­netz­werke vor Ort erkannt. „Die Stadt hat uns die Platt­form zur Verfü­gung gestellt, über die die Vernet­zung läuft.“

Vernet­zung mit anderen Trägern

Typischer­weise zwischen 5.000 und 25.000 Einwoh­nern groß, können diese Quartiere Teilbe­rei­che eines inner­städ­ti­schen Stadt­teils, aber auch mehrere benach­barte kleine Dörfer im Umland – in diesem Fall von Wiesba­den – sein. Und nicht nur die Konzen­tra­tion auf die lokale Umgebung zeich­net das Modell aus, sondern auch und gerade die inter­dis­zi­pli­näre Vernet­zung mit weite­ren Trägern inner- und außer­halb des Gesund­heits- und Pflege­we­sens. Die sich austau­schen und in der Versor­gung koope­rie­ren.

Hierzu gibt es häufig von den feder­füh­ren­den Verei­nen in den Stadt­quar­tie­ren initi­ierte Begeg­nungs­stät­ten im Quartier, mit Mobili­täts­an­ge­bo­ten, Einkaufs­diens­ten, Angebo­ten rund um Nachbar­schafts- und Alltags­hilfe, Seelsorge und Beratung in allen Lebens­la­gen, lokalem Gewerbe und Veran­stal­tun­gen. Auch haushalts­nahe Dienst­leis­tun­gen wie Putzen werden vermit­telt. Um auch fremd­spra­chige Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner einzu­bin­den, gibt es Perso­nal und Infoma­te­rial in verschie­de­nen Sprachen. „Unsere Begeg­nungs­stätte und das Restau­rant-Café sind für das ganze Quartier geöff­net. Auch Familien kommen zuneh­mend, wegen unserer integrier­ten Eisdiele“, erzählt Anstädt schmun­zelnd.

Etliche Kommu­nen schauen sich das Modell an

Und inzwi­schen stoße das Modell auf weit überre­gio­na­les Inter­esse, wie Anstädt beobach­tet hat. „Wir haben inzwi­schen sogar eine Art Quartiers­tou­ris­mus bei uns. Monat­lich sind Vertre­ter mehre­rer Kommu­nen bei uns zu Besuch, aus der ganzen Republik: Von Hanno­ver und Potsdam bis hinun­ter zur Boden­see-Region.“ Man sei daran inter­es­siert, dass sich vergleich­bare Quartiere in ganz Deutsch­land entwi­ckeln. „Das können wir natür­lich nicht selbst, aber wir können Hilfe dabei leisten und sagen, auf was man achten muss und welche Fehler sich vermei­den lassen.“ Um das Modell in der ganzen Republik zu verbrei­ten, sei derzeit eine Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft Quartier in Gründung.