Was ist eine Gefährdungsanzeige?
Die Gefährdungsanzeige ist ein Begriff aus dem Arbeitsrecht. Als Pflegekraft trägt man täglich die Verantwortung für die Gesundheit der Patienten und muss diese kriteriengerecht behandeln oder versorgen. Eine Gefährdungsanzeige zeigt auf, wann, wo und warum die fachgerechte Patientenbetreuung möglicherweise nicht mehr gewährleistet werden kann. Sie zeigt also, wie der Name verrät, eine Gefährdung des Patienten an. Es handelt sich dabei um eine schriftliche Mitteilung an den Arbeitgeber. Dabei kann, neben der Gefährdung der Pflegebedürftigen, auch eine Gefährdung der eigenen Gesundheit vermerkt werden.
Wann ist eine Gefährdungsanzeige zu schreiben?
Die Rechtsgrundlage zum Verfassen einer Gefährdungsanzeige liegt in den §§ 15 und 16 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG).
Nach § 15 ArbSchG haben Pflegekräfte gemäß ihrer Möglichkeiten und Anweiseungen des Arbeitgebers
- für ihre eigene Sicherheit und Gesundheit Sorge zu tragen,
- für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihrem Handeln abhängig sind, sprich Pflegebedürftige und/oder Patienten,
- ihnen zur Verfügung gestellte physische Hilfsmittel und Geräte sowie Schutzkleidung ordnungsgemäß zu verwenden,
um einen reibungslosen und sicheren Ablauf der Personenbetreuung zu gewährleisten.
Ist jedoch ein Aspekt aus § 15 gefährdet, so greift rechtlich gesehen § 16 ArbSchG. In Absatz 1 heißt es:
Die Beschäftigten haben dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden.
Nach Absatz 2 kommt Pflegekräften damit die Aufgabe hinzu, durch ihre Gefährdungsanzeige den Arbeitgeber bei der Überprüfung und Gewährleistung der Patientensicherheit zu helfen und zu entlasten. Eine potenzielle Gefahr ist neben dem Arbeitgeber auch der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Betriebsarzt oder dem Sicherheitsbeauftragten nach § 22 des 7. Sozialgesetzbuches mitzuteilen.
Üblicherweise wird eine Gefährdungsanzeige in den Fällen verfasst, wenn
- aufgrund fehlenden Personals eine fachgerechte Versorgung möglicherweise zu kurz kommt oder
- wenn Defekte an technischen Vorrichtungen, medizinischen oder pflegerischen Hilfsmitteln auftreten
und die Erfüllung der Arbeitsaufgaben und der gesetzlichen sowie vertraglichen (Neben-)Pflichten (siehe § 15 ArbSchG) somit nicht fachgerecht erbracht werden kann, woraus eine potenzielle Gefahr heraus resultiert.
Der Arbeitgeber ist anschließend dazu verpflichtet, die Gefährdungslage zu bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen.
Wann ist eine Gefährdungsanzeige NICHT zu schreiben?
Mit einer Gefährdungsanzeige ist vorsichtig umzugehen. Nur in Situationen, aus denen auch wirklich eine Gefahr für das Personal oder die Patienten hervorgeht, ist eine Gefährdungsanzeige zu verfassen.
Schreibt eine Pflegekraft „leichtfertig“ und ohne gründliche Kontrolle des Sachverhalts eine Gefährdungsanzeige oder nutzt sie diese gar für eine Art „Protest“ gegen den Personalmangel, sprich aus persönlichen, berufspolitischen Motiven heraus, kann dies zu einer Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten führen und das Vertrauensverhältnis mit dem Arbeitgeber stark gefährden.
In einem Fall des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12. September 2018 (14 Sa 140/18) wurde einer Pflegekraft genau dies vorgeworfen:
Fallbeispiel: Abmahnung wegen „falscher“ Gefährdungsanzeige?
Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin schrieb eine Überlastungsanzeige aufgrund der Tatsache, dass sie zusammen mit zwei auszubildenden Pflegekräften während einer Schicht auf einer für alle drei fremden Station eingesetzt worden ist. Die eigentlichen, dort tätigen Pflegekräfte waren krankheitsbedingt abwesend.
Die Krankenpflegerin äußerte bereits vor der Schicht Zweifel hinsichtlich der Besetzung, welche sie im Sinne des Patientenwohls als nicht angemessen erachtete. Die Pflegedienstleitung verwies daraufhin auf die Möglichkeit, in dringenden Fällen weitere Unterstützung anfordern zu können, notfalls auch über den Personennotalarm.
In der „Gefährdungsanzeige zu Qualitätsmängeln“ (auch: Beschwerde gemäß § 84 BetrVG) schrieb die Pflegerin unter anderem:
„Ich als stationsfremde Kraft muss die heutige Dienstschicht mit zwei Auszubildenden bestreiten. Von den Auszubildenden ist einer auch stationsfremd und die andere war seit vier Tagen nicht im Dienst. Der eine Schüler und ich kennen die Patienten nicht und die andere Schülerin kennt nicht alle. Ich kann nicht ausschließen, dass Pat. in ihren Krisen nicht erkannt werden und durch ihr eigenes Verhalten zu Schaden kommen könnten.“
Glücklicherweise ging die Schicht ohne nennenswerte Vorkommnisse oder Notfälle zuende und die Patientenversorgung erfolgte bedarfsgerecht. Für die Pflegekraft hatte die geschriebene Gefährdungsanzeige jedoch eine Abmahnung zur Folge, mit der Begründung, die Gefährdungsanzeige dokumentiere das Vorliegen einer Gefährdungssituation, obwohl eine solche nicht gegeben gewesen sei. Dies wurde als Verstoß gegen vertragliche (Neben-)Pflicht bewertet. Die Pflegekraft klagte auf Entfernung der Abmahnung aus der Personenakte.
Urteil: Abmahnung unrechtmäßig!
Die Klage hatte Erfolg. Die Abmahnung beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Klägerin. Ein Pflichtverstoß konnte der Pflegekraft nicht nachgewiesen werden.
Die Klägerin habe mit ihrer Anzeige weder der Beklagten schaden wollen, noch diese zu eigenen, berufspolitischen Zwecken missbraucht. Auch die Gefährdungsanzeige als Trotzreaktion auf die Dienstzuteilung des Personalleiters sei nicht nachweisbar gewesen.
Die Argumentation der Pflegekraft über ihr Unbehagen, auf einer fremden Station diese ausschließlich mit zwei Auszubildenden zu betreuen, wobei auch die angebotene Hintergrundbereitschaft und Möglichkeit auf Unterstützungsanforderung die Personalsituation an diesme Tag nicht verbessert hätten, sei nachvollziehbar gewesen.
Die Klägerin hatte die Situation demnach zurecht als potenzielle Gefahr für das Patientenwohl erachtet und richtigerweise eine Gefährdungsanzeige verfasst. Die Abmahnung musste somit aus der Personenakte entfernt werden.
Praxistipp: Abmahnungen „rückgängig“ machen
Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Absatz 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen, wenn:
- die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist,
- unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält,
- auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht
- oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt