Stress am Arbeitsplatz? Ab wann kann eine Gefährdungsanzeige ins Spiel kommen?
Stress am Arbeits­platz? Ab wann kann eine Gefähr­dungs­an­zeige ins Spiel kommen? Bild: © Liusia­Vo­loshka | Dreamstime.com

Was ist eine Gefähr­dungs­an­zeige?

Die Gefähr­dungs­an­zeige ist ein Begriff aus dem Arbeits­recht. Als Pflege­kraft trägt man täglich die Verant­wor­tung für die Gesund­heit der Patien­ten und muss diese krite­ri­en­ge­recht behan­deln oder versor­gen. Eine Gefähr­dungs­an­zeige zeigt auf, wann, wo und warum die fachge­rechte Patien­ten­be­treu­ung mögli­cher­weise nicht mehr gewähr­leis­tet werden kann. Sie zeigt also, wie der Name verrät, eine Gefähr­dung des Patien­ten an. Es handelt sich dabei um eine schrift­li­che Mittei­lung an den Arbeit­ge­ber. Dabei kann, neben der Gefähr­dung der Pflege­be­dürf­ti­gen, auch eine Gefähr­dung der eigenen Gesund­heit vermerkt werden.

Wann ist eine Gefähr­dungs­an­zeige zu schrei­ben?

Die Rechts­grund­lage zum Verfas­sen einer Gefähr­dungs­an­zeige liegt in den §§ 15 und 16 des Arbeits­schutz­ge­set­zes (ArbSchG).

Nach § 15 ArbSchG haben Pflege­kräfte gemäß ihrer Möglich­kei­ten und Anwei­se­un­gen des Arbeit­ge­bers

  • für ihre eigene Sicher­heit und Gesund­heit Sorge zu tragen,
  • für die Sicher­heit und Gesund­heit der Perso­nen zu sorgen, die von ihrem Handeln abhän­gig sind, sprich Pflege­be­dürf­tige und/oder Patien­ten,
  • ihnen zur Verfü­gung gestellte physi­sche Hilfs­mit­tel und Geräte sowie Schutz­klei­dung ordnungs­ge­mäß zu verwen­den,

um einen reibungs­lo­sen und siche­ren Ablauf der Perso­nen­be­treu­ung zu gewähr­leis­ten.

Ist jedoch ein Aspekt aus § 15 gefähr­det, so greift recht­lich gesehen § 16 ArbSchG. In Absatz 1 heißt es:

Die Beschäf­tig­ten haben dem Arbeit­ge­ber oder dem zustän­di­gen Vorge­setz­ten jede von ihnen festge­stellte unmit­tel­bare erheb­li­che Gefahr für die Sicher­heit und Gesund­heit sowie jeden an den Schutz­sys­te­men festge­stell­ten Defekt unver­züg­lich zu melden.

Nach Absatz 2 kommt Pflege­kräf­ten damit die Aufgabe hinzu, durch ihre Gefähr­dungs­an­zeige den Arbeit­ge­ber bei der Überprü­fung und Gewähr­leis­tung der Patien­ten­si­cher­heit zu helfen und zu entlas­ten. Eine poten­zi­elle Gefahr ist neben dem Arbeit­ge­ber auch der Fachkraft für Arbeits­si­cher­heit, dem Betriebs­arzt oder dem Sicher­heits­be­auf­trag­ten nach § 22 des 7. Sozial­ge­setz­bu­ches mitzu­tei­len.

Üblicher­weise wird eine Gefähr­dungs­an­zeige in den Fällen verfasst, wenn

  • aufgrund fehlen­den Perso­nals eine fachge­rechte Versor­gung mögli­cher­weise zu kurz kommt oder
  • wenn Defekte an techni­schen Vorrich­tun­gen, medizi­ni­schen oder pflege­ri­schen Hilfs­mit­teln auftre­ten

und die Erfül­lung der Arbeits­auf­ga­ben und der gesetz­li­chen sowie vertrag­li­chen (Neben-)Pflichten (siehe § 15 ArbSchG) somit nicht fachge­recht erbracht werden kann, woraus eine poten­zi­elle Gefahr heraus resul­tiert.

Der Arbeit­ge­ber ist anschlie­ßend dazu verpflich­tet, die Gefähr­dungs­lage zu bewer­ten und gegebe­nen­falls Maßnah­men zur Verbes­se­rung zu ergrei­fen.

Wann ist eine Gefähr­dungs­an­zeige NICHT zu schrei­ben?

Mit einer Gefähr­dungs­an­zeige ist vorsich­tig umzuge­hen. Nur in Situa­tio­nen, aus denen auch wirklich eine Gefahr für das Perso­nal oder die Patien­ten hervor­geht, ist eine Gefähr­dungs­an­zeige zu verfas­sen.

Schreibt eine Pflege­kraft „leicht­fer­tig“ und ohne gründ­li­che Kontrolle des Sachver­halts eine Gefähr­dungs­an­zeige oder nutzt sie diese gar für eine Art „Protest“ gegen den Perso­nal­man­gel, sprich aus persön­li­chen, berufs­po­li­ti­schen Motiven heraus, kann dies zu einer Verlet­zung der vertrag­li­chen Neben­pflich­ten führen und das Vertrau­ens­ver­hält­nis mit dem Arbeit­ge­ber stark gefähr­den.

In einem Fall des Landes­ar­beits­ge­richts Nieder­sach­sen vom 12. Septem­ber 2018 (14 Sa 140/18) wurde einer Pflege­kraft genau dies vorge­wor­fen:

Fallbei­spiel: Abmah­nung wegen „falscher“ Gefähr­dungs­an­zeige?

Eine Gesund­heits- und Kranken­pfle­ge­rin schrieb eine Überlas­tungs­an­zeige aufgrund der Tatsa­che, dass sie zusam­men mit zwei auszu­bil­den­den Pflege­kräf­ten während einer Schicht auf einer für alle drei fremden Station einge­setzt worden ist. Die eigent­li­chen, dort tätigen Pflege­kräfte waren krank­heits­be­dingt abwesend.

Die Kranken­pfle­ge­rin äußerte bereits vor der Schicht Zweifel hinsicht­lich der Beset­zung, welche sie im Sinne des Patien­ten­wohls als nicht angemes­sen erach­tete. Die Pflege­dienst­lei­tung verwies darauf­hin auf die Möglich­keit, in dringen­den Fällen weitere Unter­stüt­zung anfor­dern zu können, notfalls auch über den Perso­nen­no­talarm.

In der „Gefähr­dungs­an­zeige zu Quali­täts­män­geln“ (auch: Beschwerde gemäß § 84 BetrVG) schrieb die Pflege­rin unter anderem:

„Ich als stati­ons­fremde Kraft muss die heutige Dienst­schicht mit zwei Auszu­bil­den­den bestrei­ten. Von den Auszu­bil­den­den ist einer auch stati­ons­fremd und die andere war seit vier Tagen nicht im Dienst. Der eine Schüler und ich kennen die Patien­ten nicht und die andere Schüle­rin kennt nicht alle. Ich kann nicht ausschlie­ßen, dass Pat. in ihren Krisen nicht erkannt werden und durch ihr eigenes Verhal­ten zu Schaden kommen könnten.“

Glück­li­cher­weise ging die Schicht ohne nennens­werte Vorkomm­nisse oder Notfälle zuende und die Patien­ten­ver­sor­gung erfolgte bedarfs­ge­recht. Für die Pflege­kraft hatte die geschrie­bene Gefähr­dungs­an­zeige jedoch eine Abmah­nung zur Folge, mit der Begrün­dung, die Gefähr­dungs­an­zeige dokumen­tiere das Vorlie­gen einer Gefähr­dungs­si­tua­tion, obwohl eine solche nicht gegeben gewesen sei. Dies wurde als Verstoß gegen vertrag­li­che (Neben-)Pflicht bewer­tet. Die Pflege­kraft klagte auf Entfer­nung der Abmah­nung aus der Perso­nen­akte.

Urteil: Abmah­nung unrecht­mä­ßig!

Die Klage hatte Erfolg. Die Abmah­nung beruht auf einer unzutref­fen­den recht­li­chen Bewer­tung des Verhal­tens der Kläge­rin. Ein Pflicht­ver­stoß konnte der Pflege­kraft nicht nachge­wie­sen werden.

Die Kläge­rin habe mit ihrer Anzeige weder der Beklag­ten schaden wollen, noch diese zu eigenen, berufs­po­li­ti­schen Zwecken missbraucht. Auch die Gefähr­dungs­an­zeige als Trotz­re­ak­tion auf die Dienst­zu­tei­lung des Perso­nal­lei­ters sei nicht nachweis­bar gewesen.

Die Argumen­ta­tion der Pflege­kraft über ihr Unbeha­gen, auf einer fremden Station diese ausschließ­lich mit zwei Auszu­bil­den­den zu betreuen, wobei auch die angebo­tene Hinter­grund­be­reit­schaft und Möglich­keit auf Unter­stüt­zungs­an­for­de­rung die Perso­nal­si­tua­tion an diesme Tag nicht verbes­sert hätten, sei nachvoll­zieh­bar gewesen.

Die Kläge­rin hatte die Situa­tion demnach zurecht als poten­zi­elle Gefahr für das Patien­ten­wohl erach­tet und richti­ger­weise eine Gefähr­dungs­an­zeige verfasst. Die Abmah­nung musste somit aus der Perso­nen­akte entfernt werden.

Praxis­tipp: Abmah­nun­gen „rückgän­gig“ machen

Arbeit­neh­mer können in entspre­chen­der Anwen­dung von §§ 242, 1004 Absatz 1 Satz 1 BGB die Entfer­nung einer Abmah­nung aus ihrer Perso­nal­akte verlan­gen, wenn:

  • die Abmah­nung inhalt­lich unbestimmt ist,
  • unrich­tige Tatsa­chen­be­haup­tun­gen enthält,
  • auf einer unzutref­fen­den recht­li­chen Bewer­tung des Verhal­tens des Arbeit­neh­mers beruht
  • oder den Grund­satz der Verhält­nis­mä­ßig­keit verletzt