Ganz anders sieht man die Angelegenheit beim Deutschen Pflegerat (DPR): „Dem Gesetzentwurf für eine generalistische Pflegeausbildung geht eine fast zehn Jahre lange ausführliche Diskussion voraus, bei der zahlreiche Argumente des Für und Wider eines solchen Schritts abgeklopft wurden“, setzt DPR-Präsident Andreas Westerfellhaus den Kritikern entgegen, die jetzt über ein Moratorium eine Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens für das Pflegeberufsgesetz fordern.
Initiiert wurde das Moratorium durch die grüne Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik, Elisabeth Scharfenberg, und der NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (ebenfalls Bündnis 90/Die Grünen). Sie fordern erstens eine fundierte und umfassende Risikofolgenabschätzung für die geplante Reform. Zweitens hätten die Kritikerinnen gerne eine Aufschlüsselung der Finanzen. Drittens fordern sie mehr Zeit, damit der Verordnungsentwurf von Parlament, Ländern und Verbänden gründlich gelesen werden kann. Und viertens fordern sie eben jenes Moratorium.
Scharfenberg: „Keine Aufwertung der Pflegeberufe“
„Der vorliegende Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe des BMFSFJ und des BMG lässt nicht erwarten, dass dadurch die notwendige Aufwertung der Pflegeberufe gelingen kann“, so Elisabeth Scharfenberg. „Zu viele Fragen bleiben offen, zu viele Unwägbarkeiten tun sich auf, zu viele Unsicherheiten werden geschaffen: Werden die Ausbildungsinhalte aller drei bisherigen Pflegeberufe erhalten bleiben? Sind die vielen Praxiseinsätze umsetzbar? Gibt es genug Kapazitäten bei den Schulen, den Praxisstellen und der Praxisanleitung? Wer wird unter den veränderten Bedingungen überhaupt noch ausbilden können und wollen?“
Andreas Westerfellhaus vom Deutschen Pflegerat mahnt dagegen in Berlin: „Wer jetzt die Reform der Pflegeausbildung auf Eis legt, der handelt in hohem Maße fahrlässig. Damit würde das Aus für eine moderne Form der Pflegeausbildung riskiert, die wir angesichts der demografischen Entwicklungen mehr denn je benötigen.“
DPR: „Es bleibt noch genügend Zeit, auch ohne ein Moratorium“
„Der Deutsche Pflegerat steht zu seiner Forderung nach einer generalistischen Ausbildung, damit sie den hohen Anforderungen an den Beruf gerecht wird. Angesichts der Herausforderungen, die an die Pflege gestellt werden, können wir nicht alles beim Alten lassen. Viele der Generalistik zugeschriebene Folgen hätten wir im Übrigen auch, wenn wir die dringend erforderliche Reform der Ausbildung ohne Generalistik machen würden. Wir brauchen jetzt eine zukunftsfeste Reform, die nicht durch zu viele Kompromisse mit den Bedenkenträgern verwässern werden sollte“, machte der Präsident des Deutschen Pflegerats deutlich.
„Die Generalistik“, merkte Westerfellhaus an, „gilt für die Profession Pflege“. Verwundert sei er daher schon, dass sich auch andere Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen, wie zum Beispiel auf der Ärzteseite, in die Diskussion einmischen. Andersherum würde dies wohl zu einem Sturm der Entrüstung führen. „Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens bleibt noch genügend Zeit, um sich über wichtige Fragen sachlich auszutauschen. Dafür brauchen wir kein Moratorium“, sagte Westerfellhaus abschließend.
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Die Studierenden der Berufsakademie heißen die Reform der Pflegeausbildung willkommen, wie sie mit dem neuen Pflegeberufsgesetz angestoßen wird, das die Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie die Kinderkrankenpflege zu einer neuen, bundesweit schulgeldfreien Gesamtausbildung zusammenfügt: Künftige „Pflegefachmänner“ und „Pflegefachfrauen“, so die neue Berufsbezeichnung, sollen dadurch innerhalb von drei Jahren eine umfassende, allgemeine Basisqualifikation erhalten, um damit einen Weg zu mehr Ganzheitlichkeit einzuschlagen. Dies umfaßt vielfältige Möglichkeiten in unterschiedlichen Bereichen wie der individuellen Versorgung, Anleitung und Beratung von Menschen jeden Alters in ihrer konkreten Situation unter Einbeziehung ihres soziokulturellen Hintergrundes. Damit bildet sie eine gute Grundlage für lebenslanges Lernen als auch weiterbildende Spezialisierungen wie etwa in der Geriatrie oder der Pädiatrie.
„Dieser Regierungsbeschluß zur Generalausbildung in allen Pflegeberufen – für Säuglinge bis hin zu Senioren – trägt erheblich zur Einigung, zur internationalen und gesellschaftlichen Anerkennung als auch zur Attraktivitätssteigerung der Gesundheitsfachberufe bei. Damit trägt man Reformgedanken Rechnung, die zum Teil bereits in den 1960er Jahren vorgeschlagen wurden und schließt auf zu internationalen Standards, wie sie vom Weltverband beruflich Pflegender sowie der Weltgesundheitsorganisation seit Jahrzehnten empfohlen werden“, sagt Christian Rohé, Sprecher der Studierenden an der Berufsakademie, für den Studiengang Pflege. „Zu unserer Enttäuschung blieben von den betroffenen Pflegenden geäußerte Änderungswünsche und Ergänzungen traditionell unberücksichtigt, wie beispielsweise eine zufriedenstellende Personalbemessung, etwa in Form eines fixen Personalschlüssels, der qualitätsorientiert die maximale Zahl der Clienten pro Pflegetherapeut definiert. Ebenso vermissen wir verbindliche Bestimmungen zur Sicherung der Qualität der praktischen Ausbildung, etwa durch verbindliche wöchentliche Mindeststunden mit Praxisanleitern oder Mentoren.“ Die praktische Ausbildung leidet unter Zeitdruck und Arbeitsverdichtung infolge Personalmangels, so auch ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler in einer Presseerklärung vom 13.01.2016.
Aus Sicht der Auszubildenden müßte es per Gesetz für jeden Lernort neutrale Koordinatoren geben, die als Berater eine Brücke für gelingenden Praxistransfer schlagen und dabei Lernbedarf sowie ‑erfolg bedürfnisorientiert aufeinander abstimmen und intervenieren, wenn Auszubildende nur als „Lückenbüßer“ bei Personalmangel eingesetzt werden. Ideal wäre es, wenn der praktische Lernort komplett unabhängig von einer Trägereinrichtung wäre und ein Ausbildungsvertrag ausschließlich mit der Berufsakademie abgeschlossen wird, dann wären auch Zuständigkeiten eindeutig geregelt. Ohne betriebliche Bindung könnten außerdem im Sinne der angestrebten ganzheitlichen Ausbildung verschiedenen Perspektiven von Gesundheitsfachberufen in unterschiedlichen Einrichtungen und Situationen erfahren und im Rahmen einer verpflichtenden träger-übergreifenden Verbundausbildung vermittelt werden. Dies auch vor dem Hintergrund, daß sich immer mehr Einrichtungen bzw Ausbildungsträger aus Kostengründen spezialisieren und damit für die Ausbildung nur noch Teilaspekte abdecken, also nur Ausschnitte des Berufes abbilden. Eine solche Fragmentierung wird einem qualifizierten generalistischen Berufsverständnis allerdings nicht gerecht.
„Positiv hervorzuheben ist, daß die Ausbildung nach dem neuen Pflegeberufsgesetz eigenverantwortliche Kompetenzen definiert und an die Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen Union bzw. den Europäischen Qualifikationsrahmen herangeführt wird. Dies eröffnet gerade im Saarland Perspektiven zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und damit Zukunftschancen im Zusammenhang mit der Frankreichstrategie“, so der Student. Lothringer und Luxemburger sind bereits heute fester Bestandteil der Berufsakademie. Die Vorreiterrolle der von Anfang an generalistisch ausgelegten Studiengänge wird mit diesem Gesetz auch auf die klassische Ausbildung ausgeweitet, wie vom Deutschen Bildungsrat für Pflegeberufe gefordert.
Fabian Huschka, ebenfalls Akademiesprecher und Vertreter für den Studiengang Physiotherapie, ergänzt hierzu: „Wünschenswert wäre ein Gesetz für alle therapeutischen Fachberufe, die heutzutage in den interdisziplinären Teams von Gesundheitseinrichtungen zusammenarbeiten. Das Spektrum der Berufe im modernen Gesundheitswesen umfaßt eben nicht nur Medizin und Pflege, sondern beispielsweise auch Physio- und Ergotherapie. Diese Auszubildende müssen neben einer europäischen Berufsanerkennung und einheitlich standardisierten Ausbildungsbedingungen auch eine Ausbildungsvergütung erhalten, anstatt für ihre Ausbildung Schulgeld oder Studiengebühren zahlen zu müssen.“ Eine Reform zur paritätischen Finanzierung aller Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen unter direkter Beteiligung aller Kostenträger, auch die der bisher ausgenommenen privaten Krankenversicherungen, wäre hierfür erforderlich. Ziel muß es sein, daß die Ausbildung in allen Gesundheitsfachberufen wie etwa Ergotherapie, Physiotherapie, Pflege, Podologie und Logopädie für die Auszubildenden bzw. Studierenden unentgeltlich erfolgt und darüber hinaus für alle eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird.
Bereits heute lernen und arbeiten rund 200 Studierende der staatlich anerkannten und akkreditierten Berufsakademie für das Gesundheits- und Sozialwesen Saarland berufs- und studiengangsübergreifend und werden damit im Sinne des neuen Gesetzes auf ihre professionelle Zukunft vorbereitet. Ein flexibles Zusammenspiel von Präsenz- und Selbstlernphasen ermöglicht neben Praxiseinsätzen eine primärqualifizierende, duale Ausbildung im Hochschulbereich für Pflege, Ergotherapie, Physiotherapie und Gesundheitsmanagement. Ziel sind wissenschaftlich und praktisch ausgebildete Absolventen, befähigt zu eigenverantwortlichem, autonomen und professionellem Handeln. Die Berufsakademie reagiert damit auf den zu erwartenden Anstieg der Pflegebedürftigen in Deutschland auf mehr als drei Millionen im Jahre 2030 sowie auf den zu erwartenden Mangel an qualifizierten beruflich Pflegenden und Medizinern. Laut Gewerkschaft ver.di sind bereits heute 70‘000 Vollzeitstellen in der Pflege unbesetzt.