Haarverlust durch Behandlung mit Taxanen. Bei einer Frau wurde ein Mammakarzinom (Brustkrebs) diagnostiziert, woraufhin im Krankenhaus der Tumor in der Brust entfernt wurde. Nach einer Nachresektion und weiteren Untersuchungen kamen die Ärzte zu dem Schluss, dass eine Chemotherapie notwendig sei. Die Ärzte empfahlen der Frau eine Chemotherapie nach dem TAC-Schema (Taxotere, Adriablastin, Cyclophosphamid) oder die Teilnahme an der ARA plus-Studie, bei der neben der TAC-Therapie bei einem Teil der Probanden zusätzlich Darbepoetin bei der Behandlung eingesetzt wird.
Die Patientin willigte ein bei der Studie teilzunehmen – zunächst ohne das Darbepoetin. Im Laufe der Behandlung erlitt die Frau vollständigen Haarverlust. Doch auch im Anschluss an die Chemotherapie und die darauffolgende Strahlen- und Hormonbehandlung zeigte sich nur ein geringer Haarwuchs.
Haarverlust als unerwünschte Nebenwirkung
Zunächst beklagte die Patientin beim Hersteller Taxotere die unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung. Der Haftpflichtverischerer der ARA plus-Studie erstattete ihr dann die entstandenen materiellen Schäden wegen des Haarverlustes.
Vor dem Landgericht Köln klagte die Frau gegen die Ärzte, die sie nicht richtig über die möglichen Nebenwirkungen der Therapie aufgeklärt hätten. Sie sei weder über das Risiko eines dauerhaften Haarverlust informiert worden, noch gab es Hinweise von den Ärzten, dass es sich bei Taxotere damals um ein noch in der Erprobung befindliches Präparat gehandelt habe. Auch haben die Ärzte nicht erwähnt, dass eine Kältetherapie das Risiko des Haarausfalls hätte verringern können. Da sie in Folge der Therapie alle Körperhaare verloren habe, begehrt sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro und die Feststellung, dass ihr zukünftig alle immateriellen und materiellen Schäden ersetzt werden.
Ärzte haften für mangelnde Aufklärung
Nachdem die Patientin in erster Instanz beim Landgericht Köln scheiterte, ging sie in Berufung und hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht Köln entschied, dass die Klinikärzte für den durch die Chemotherapie eingetretenen dauerhaften partiellen Haarausfall haften müssen.
Zur Begründung hieß es, dass die Klägerin fehlerhaft und unvollständig über die Chemotherapie aufgeklärt wurde. Der Klägerin wurde lediglich mitgeteilt, dass bei der zusätzlichen Verwendung von Darbepoetin ein vollständiger Haarverlust eintrete. Die Haare würden aber nach der Therapie wieder nachwachsen. Was der Patientin nicht gesagt wurde ist, dass es aber bei der Behandlung mit dem Medikament Taxotere tatsächlich zu einem permanenten Haarverlust kommen könnte.
Patientin hatte mehr Angst vor Haarverlust als vor dem Tod
Der Senat hält es für plausibel, dass die Patientin bei richtiger Aufklärung möglicherweise nicht in die vorgeschlagene Chemotherapie eingewilligt hätte. Die Klägerin gab an, dass sie in dem Fall eine zweite Meinung eingholt hätte und eventuell zu einem anderen Krankenhaus gegangen wäre. Zudem habe sie damals die Ärzte ausdrücklich nach Haarverlust gefragt, wovor sie eine große Angst hatte – noch mehr als vor dem Tod.
Der Senat hat demnach die Überzeugung gewonnen, dass eine sehr konkrete und nachhaltige Angst vor dem zu erwartenden Haarverlust bestand, obwohl dieser aus damaliger Sicht vorübergehend sein würde, während die Gefahr des Todes für die Klägerin abstrakt war. Das rationale Argument, dass eine Behandlung mit Taxanen – wozu auch das in der Behandlung verwendete Taxotere gehört – zwar für dauerhaften Haarverlust sorgen, dafür aber das Sterblichkeitsrisiko um 25 bis 30 Prozent senken könnte, war für die Klägerin zumindest weniger wichtig.
Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro
Nachdem die Klägerin also ihren Entscheidungskonflikt plausibel darlegen konnte, entschied das Gericht, dass zum Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigungen durch den Haarverlust ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro angemessen ist. Für die Klägerin ist es nach Auffassung des Gerichts zu erheblichen und nachhaltigen psychischen Folgen und seelischen Belastung gekommen, die alleine schon Krankheitswert haben.
Auch der Festellungsantrag auf zukünftige immaterielle Schäden ist begründet. Es besteht die Möglichkeit, dass der Klägerin aufgrund des dauerhaften Haarverlustes derzeit nicht vorhersehbare immaterielle Schäden entstehen, etwa für wesentliche Verschlimmerungen der psychischen Erkrankung. Materielle Schäden hingegen müssen zukünftig von der Klägerin selbst bezahlt werden, sofern der Versicherer der ARA plus-Studie diese nicht mehr erstattet.