Die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ziehen gegen das Vorhaben an einem Strang. Aber hinter diesem gemeinsamen Einsatz steht vermutlich weniger die Fürsorge für das Wohl der beruflich Pflegenden. Vielmehr erwecken die Bemühungen den Eindruck, man habe Angst vor Verlust von Macht und Einfluss. Die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften versuchen jedenfalls mit Vehemenz, die langjährige Forderung der Pflegenden nach beruflicher Selbstverwaltung zu verhindern.
Umfrage ergibt differenziertes Bild
Die Pflegenden stehen überwiegend hinter der Gründung einer Pflegekammer. Im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration hat infratest dimap im Winter 2012/13 eine repräsentative Umfrage unter 1039 niedersächsischen Pflegefachkräften durchgeführt. Die Ergebnisse ergeben ein differenziertes Bild. Zwar spricht sich die überwiegende Mehrheit (67 Prozent) zunächst grundsätzlich für die Errichtung einer Pflegekammer aus. Einer Pflichtmitgliedschaft mit Beitragspflicht stimmen aber lediglich 42 Prozent der Befragten zu.
Hinter der Errichtung einer Pflegekammer stehen vor allem emanzipatorische Bestrebungen der Berufsgruppe der Pflegenden. Die neue Selbstverwaltung soll ein starkes Organ für die Vertretung der Interessen der Pflegenden darstellen. Und es bleibt auch festzuhalten, dass die Pflegekammer die beruflichen Belange der Pflegenden und die pflegerischen Versorgung der Bevölkerung im Fokus hat. Die Versuche der Gegner, den Interessen der beruflich Pflegenden an dieser Stelle zu widersprechen, ist aus Sicht der Befürworter ein weiterer Ausdruck der geringen Wertschätzung für die Pflege.
bpa: „Teure und unnütze Mammutbehörde“
Zu den Gegnern des Vorhabens zählt Henning Steinhoff, Leiter der Landesgeschäftsstelle des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Er erklärt: „Die Pflegekammer löst keine Probleme, sondern schafft neue. Statt einer teuren und unnützen Mammutbehörde, die auf Kontrolle, Zwang und Pflichten basiert, brauchen wir deutlich bessere Personalschlüssel, mehr Vertrauen in die Kompetenz der Pflegekräfte und eine bessere finanzielle Ausstattung der Einrichtungen. Nur so kann die unerträgliche Arbeitsbelastung der Pflegekräfte im stationären und ambulanten Bereich verbessert werden.“
Auch ver.di-Landesleiter Detlef Ahting lehnt die Pflegekammer ab: „Wir müssen alle Kraft in die professionelle Pflege der Menschen stecken. Statt in eine Pflegekammer zu investieren, brauchen wir eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Das sind Grundbedingungen für eine höhere Attraktivität des wichtigen und wertvollen Pflegeberufes.“
Arbeitgeberverbund und Gewerkschaft scheinen sich in der Ablehnung einer Pflegekammer ausnahmsweise einig. Ihre sogenannte „Koalition der Vernunft“ für eine reale Verbesserung der Pflegebedingungen versucht deshalb die Pflegekammer zu verhindern. Die zur Schau gestellte Einigkeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in diesem Lager sehr wohl gegenteilige Meinungen gibt. So hat sich beispielsweise das ver.di-Pflegenetzwerk der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) für eine ergebnisoffene Diskussion ausgesprochen.
Auch Kritiker haben Stimmen gesammelt
Laut der Pflegekammer-Kritiker können deren vorgesehene Aufgaben günstiger und praxisnäher durch Pflegebeauftragte wahrgenommen werden, ohne hierfür den ohnehin unterbezahlten Mitarbeitern in die Tasche zu greifen. Zudem seien Pflegende angestellt, und eine Kammer diene vor allem Freiberuflern wie Ärzten oder Anwälten. Der geplante niedrige Beitrag werde schließlich bald nach der Gründung steigen.
Und auch die Gegner haben einen Ausdruck des Volkswillens gesammelt. Gegen die Einrichtung der Pflegekammer haben im vergangenen Jahr rund 5.000 Pflegekräfte sowie Bürgerinnen und Bürger durch ihre Unterschrift protestiert. Die bisher von der Gewerkschaft ver.di, dem Gesamtpersonalrat der Stadt Hannover und dem bpa gesammelten Unterschriften wurden bereits der niedersächsischen Sozialministerin Cornelia Rundt in Hannover übergeben. Dem entgegen stehen 2139 Unterschriften, die das ver.di-Pflegenetzwerk an der MHH für die Einrichtung einer Pflegekammer bei openPetition gesammelt hat. Es gibt also auch innerhalb der Kritiker nur einhelligen Konsens. Somit bleibt die Debatte kontrovers und man darf mit Spannung das Ergebnis erwarten.
2 Kommentare
Die Einwürfe seitens der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände sind doch bekannte „lame ducks“. Marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen im Gesundheitswesen oder deren soziales Engagement sind doch ein Widerspruch in sich selbst. Die Gewerkschaften fürchten ihren Einfluss in der Tarifpolitik zu verlieren und die Arbeitgeber der Einrichtungen in der freien Marktwirtschaft könnten dann in Zukunft schauen, wo sie billige Arbeitnehmer für ihre Gewinn optimierten Unternehmen hernehmen und für ihr Gewinnstreben rekrutieren können. .Eine Kammer hilft allen. Allen voran den Pflegenden selbstbestimmt und zweckgebunden humanitär zu handeln. Eine Verbesserung der Pflegesituation, der Pflegebeziehungen zwischen Patient und Pflegekraft, und damit eine Verbesserung für die Patienten selbst geht nur über die Pflegenden und deren Zufriedenheit im Beruf. Da sind luftige Versprechungen der Unternehmer an die Adresse der Arbeitnehmer (Pflegende) gerichtet lediglich Brosamen mit wenig Unterhaltungskraft in der Pflegelandschaft. Das alles und diese leeren Versprechungen der Politik wäre mit einem Schlag vom Tisch, wenn die Pflege selbstbestimmt und nach eigenen Regeln Pflege organisieren könnte, wie es Ärzte, Architekten und Rechtsanwälte auch dürfen. Eine Kammer wäre auch der passende Rahmen für eine Solidarisierung von Pflegenden untereinander und ein Signal an alle Betroffenen für die Entsolidarisierung mit den gesundheitspolitischen Marktschreiern, mit mit ihren marktwirtschaftlichen Hirngespinsten..
Dem gibt es Nichts hinzu zu fügen.
Danke für diesen engagierten Beitrag!!!
GlückAuf