Pflegekraft mit Schild
Die Einfüh­rung einer Pflege­kam­mer stößt in Nieder­sa­chen auf geteil­tes Echo. Bild: Marco Di Bella mit Material von Softdreams/Dreamstime.com

Die Arbeit­ge­ber­ver­bände und Gewerk­schaf­ten ziehen gegen das Vorha­ben an einem Strang. Aber hinter diesem gemein­sa­men Einsatz steht vermut­lich weniger die Fürsorge für das Wohl der beruf­lich Pflegen­den. Vielmehr erwecken die Bemühun­gen den Eindruck, man habe Angst vor Verlust von Macht und Einfluss. Die Arbeit­ge­ber­ver­bände und Gewerk­schaf­ten versu­chen jeden­falls mit Vehemenz, die langjäh­rige Forde­rung der Pflegen­den nach beruf­li­cher Selbst­ver­wal­tung zu verhin­dern.

Umfrage ergibt diffe­ren­zier­tes Bild

Die Pflegen­den stehen überwie­gend hinter der Gründung einer Pflege­kam­mer. Im Auftrag des Nieder­säch­si­schen Minis­te­ri­ums für Sozia­les, Frauen, Familie, Gesund­heit und Integra­tion hat infra­test dimap im Winter 2012/13 eine reprä­sen­ta­tive Umfrage unter 1039 nieder­säch­si­schen Pflege­fach­kräf­ten durch­ge­führt. Die Ergeb­nisse ergeben ein diffe­ren­zier­tes Bild. Zwar spricht sich die überwie­gende Mehrheit (67 Prozent) zunächst grund­sätz­lich für die Errich­tung einer Pflege­kam­mer aus. Einer Pflicht­mit­glied­schaft mit Beitrags­pflicht stimmen aber ledig­lich 42 Prozent der Befrag­ten zu.

Hinter der Errich­tung einer Pflege­kam­mer stehen vor allem emanzi­pa­to­ri­sche Bestre­bun­gen der Berufs­gruppe der Pflegen­den. Die neue Selbst­ver­wal­tung soll ein starkes Organ für die Vertre­tung der Inter­es­sen der Pflegen­den darstel­len. Und es bleibt auch festzu­hal­ten, dass die Pflege­kam­mer die beruf­li­chen Belange der Pflegen­den und die pflege­ri­schen Versor­gung der Bevöl­ke­rung im Fokus hat. Die Versu­che der Gegner, den Inter­es­sen der beruf­lich Pflegen­den an dieser Stelle zu wider­spre­chen, ist aus Sicht der Befür­wor­ter ein weite­rer Ausdruck der gerin­gen Wertschät­zung für die Pflege.

bpa: „Teure und unnütze Mammut­be­hörde“

Zu den Gegnern des Vorha­bens zählt Henning Stein­hoff, Leiter der Landes­ge­schäfts­stelle des Bundes­ver­ban­des priva­ter Anbie­ter sozia­ler Dienste (bpa). Er erklärt: „Die Pflege­kam­mer löst keine Probleme, sondern schafft neue. Statt einer teuren und unnüt­zen Mammut­be­hörde, die auf Kontrolle, Zwang und Pflich­ten basiert, brauchen wir deutlich bessere Perso­nal­schlüs­sel, mehr Vertrauen in die Kompe­tenz der Pflege­kräfte und eine bessere finan­zi­elle Ausstat­tung der Einrich­tun­gen. Nur so kann die unerträg­li­che Arbeits­be­las­tung der Pflege­kräfte im statio­nä­ren und ambulan­ten Bereich verbes­sert werden.“

Auch ver.di-Landesleiter Detlef Ahting lehnt die Pflege­kam­mer ab: „Wir müssen alle Kraft in die profes­sio­nelle Pflege der Menschen stecken. Statt in eine Pflege­kam­mer zu inves­tie­ren, brauchen wir eine bessere Bezah­lung und bessere Arbeits­be­din­gun­gen. Das sind Grund­be­din­gun­gen für eine höhere Attrak­ti­vi­tät des wichti­gen und wertvol­len Pflege­be­ru­fes.“

Arbeit­ge­ber­ver­bund und Gewerk­schaft schei­nen sich in der Ableh­nung einer Pflege­kam­mer ausnahms­weise einig. Ihre sogenannte „Koali­tion der Vernunft“ für eine reale Verbes­se­rung der Pflege­be­din­gun­gen versucht deshalb die Pflege­kam­mer zu verhin­dern. Die zur Schau gestellte Einig­keit darf aber nicht darüber hinweg­täu­schen, dass es auch in diesem Lager sehr wohl gegen­tei­lige Meinun­gen gibt. So hat sich beispiels­weise das ver.di-Pflegenetzwerk der Medizi­ni­schen Hochschule Hanno­ver (MHH) für eine ergeb­nis­of­fene Diskus­sion ausge­spro­chen.

Auch Kriti­ker haben Stimmen gesam­melt

Laut der Pflege­kam­mer-Kriti­ker können deren vorge­se­hene Aufga­ben günsti­ger und praxis­nä­her durch Pflege­be­auf­tragte wahrge­nom­men werden, ohne hierfür den ohnehin unter­be­zahl­ten Mitar­bei­tern in die Tasche zu greifen. Zudem seien Pflegende angestellt, und eine Kammer diene vor allem Freibe­ruf­lern wie Ärzten oder Anwäl­ten. Der geplante niedrige Beitrag werde schließ­lich bald nach der Gründung steigen.

Und auch die Gegner haben einen Ausdruck des Volks­wil­lens gesam­melt. Gegen die Einrich­tung der Pflege­kam­mer haben im vergan­ge­nen Jahr rund 5.000 Pflege­kräfte sowie Bürge­rin­nen und Bürger durch ihre Unter­schrift protes­tiert. Die bisher von der Gewerk­schaft ver.di, dem Gesamt­per­so­nal­rat der Stadt Hanno­ver und dem bpa gesam­mel­ten Unter­schrif­ten wurden bereits der nieder­säch­si­schen Sozial­mi­nis­te­rin Corne­lia Rundt in Hanno­ver überge­ben. Dem entge­gen stehen 2139 Unter­schrif­ten, die das ver.di-Pflegenetzwerk an der MHH für die Einrich­tung einer Pflege­kam­mer bei openPe­ti­tion gesam­melt hat. Es gibt also auch inner­halb der Kriti­ker nur einhel­li­gen Konsens. Somit bleibt die Debatte kontro­vers und man darf mit Spannung das Ergeb­nis erwar­ten.