Mobilisation
Mangelnde oder fehler­hafte Mobili­sa­tion kann schwere Konse­quen­zen nach sich ziehen Bild: Ayush Maker

Aus Sicht des Klägers wurde der Dekubi­tus durch mangelnde Umlage­run­gen und fehlende Mobili­sie­rung verur­sacht. Das Urteil hebt die Bedeu­tung präzi­ser Dokumen­ta­tion und präven­ti­ver Pflege bei Hochri­si­ko­pa­ti­en­ten hervor und betont die Verant­wor­tung des medizi­ni­schen Perso­nals, notwen­dige Anord­nun­gen und Überwa­chun­gen sorgfäl­tig durch­zu­füh­ren. (Akten­zei­chen: 9 O 364/08).

Das Landge­richt Bonn hat diesem Kläger Recht gegeben und hiermit sein Recht auf Mobili­sa­tion bestä­tigt. Handelt es sich hierbei um einen Einzel­fall?

Hat jeder Patient immer ein Recht auf Mobili­sa­tion im Kranken­haus?

Ganz so eindeu­tig ist es natür­lich nicht. Erst im Jahr 2013 wurden die sogenann­ten Patien­ten­rechte ins BGB aufge­nom­men, die dieses Urteil stützen. Diese sind gesetz­li­che Bestim­mun­gen, die den Schutz, die Würde und die Selbst­be­stim­mung von Patien­ten im Gesund­heits­we­sen sicher­stel­len.

Sie umfas­sen das Recht auf umfas­sende Aufklä­rung, Selbst­be­stim­mung bei medizi­ni­schen Entschei­dun­gen, Wahrung der Privat­sphäre und Vertrau­lich­keit, angemes­sene Versor­gung, Einsicht in die Patien­ten­akte, sowie das Recht auf Beschwerde und Schadens­er­satz bei Behand­lungs­feh­lern.

Diese Rechte wurden notwen­dig, um Patien­ten in ihrer oft schwä­che­ren Position zu schüt­zen, Trans­pa­renz und Vertrauen im Gesund­heits­sys­tem zu fördern, die Quali­tät der Versor­gung zu verbes­sern, recht­li­che Klarheit zu schaf­fen und die Autono­mie der Patien­ten zu stärken.

Patien­ten­rechte im Allge­mei­nen sind also durch­aus recht­lich veran­kert, aller­dings ergibt sich daraus kein prinzi­pi­el­les „Recht auf Mobili­sa­tion“

Jedoch wissen wir aus Erfah­rung und unter­stützt durch vielfäl­tige Studien: fehlende Mobili­sie­rung kann zu zahlrei­chen Folge­er­kran­kun­gen führen.

Und diese wiederum können zum Schadens­er­satz bei Behand­lungs­feh­lern führen. Den Umgang mit Schadens­er­satz wegen Nicht-Mobili­sie­rung sehen wir uns im Folgen­den genauer an.

Um zu verste­hen, wie es in dem oben genann­ten Fall zu einem Schadens­er­satz kam, muss man sich zunächst darüber klar werden, dass jeder Patient bezie­hungs­weise seine Kosten­trä­ger zu Beginn des Kranken­haus­auf­ent­hal­tes einen Vertrag mit dem Kranken­haus einge­hen.

Demnach sind den Patien­ten die verein­bar­ten Leistun­gen geschul­det. Welche Leistun­gen hierzu konkret gezählt werden, wird in § 630a Absatz 2 BGB beschrie­ben.

Hiernach hat die Behand­lung prinzi­pi­ell nach den zum Zeitpunkt der Behand­lung bestehen­den, allge­mein anerkann­ten fachli­chen Standards zu erfol­gen. Diese werden von ärztli­chen Leitli­nien, pflege­ri­schen Exper­ten­stan­dards, sozial­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Richt­li­nien (zum Beispiel vom G‑BA) und dem Ausbil­dungs­wis­sen abgebil­det.

Damit das Recht auf Schadens­er­satz jedoch überhaupt geltend gemacht werden kann, braucht es einen Schaden!

Erst wenn dieser ursäch­lich auf einen sorgfalts­wid­ri­gen und schuld­haf­ten Behand­lungs­feh­ler zurück­ge­führt werden kann, kommt ein Erstat­tungs­an­spruch in Betracht.

Prozes­sual muss der klagende Patient alle Voraus­set­zun­gen, die den Schadens­er­satz begrün­den aller­dings erst einmal bewei­sen, bevor sich die haftungs­recht­li­che Wirkung entfal­tet. Diese enorme Last der Beweis­füh­rung erfährt in bestimm­ten Fällen jedoch eine Erleich­te­rung. Beweis­erleich­te­run­gen werden in medizi­ni­schen Haftungs­fäl­len immer dann angenom­men, wenn dem Patien­ten die Durch­set­zung seiner Ansprü­che in beson­de­rer Weise erschwert wird.

Verwirk­licht sich beispiels­weise ein Behand­lungs­ri­siko, das für den Behan­deln­den voll beherrsch­bar war und das zur Verlet­zung des Lebens, des Körpers oder der Gesund­heit des Patien­ten geführt hat, wird nach beweis­recht­li­chen Grund­sät­zen das Vorlie­gen eines Behand­lungs­feh­lers vermu­tet (sogenann­ter „voll beherrsch­ba­rer Herrschafts- und Organ­sa­ti­ons­be­reich“).

Schauen wir mit diesem Wissen noch einmal in die Praxis

In einem Urteil des Landge­richt Dessau-Roßlau wurde beispiels­weise eine Klage abgelehnt, in der es um Schadens­er­satz- und Schmer­zens­geld­an­sprü­chen im Zusam­men­hang mit einer Opera­tion an der Speise­röhre und der darauf­fol­gen­den Mobili­sa­tion ging. Die Kläge­rin wurde zur Zahlung der Kosten des Rechts­streits verpflich­tet. (Akten­zei­chen: 9 O 2209/09 (595)

Im diesem Fall trat eine Kompli­ka­tion, nämlich eine zunächst unerkannte Perfo­ra­tion der Speise­röhre der Patien­tin ein. Ein zentra­ler Punkt war der Start­zeit­punkt der Mobili­sa­tion der Patien­tin nach dem Eingriff, der während der Verhand­lung disku­tiert wurde. Es wurde in Frage gestellt, ob eine Mobili­sa­tion schon zu einem frühe­ren Zeitpunkt (inner­halb der ersten 5 Stunden post-OP) hätte statt­fin­den müssen, da diese gegge­be­nen­falls zu einer Vermei­dung oder frühe­ren Erken­nung der oben genann­ten Kompli­ka­tion geführt hätte.

Letzt­end­lich fiel das Urteil jedoch zu Gunsten des Kranken­hau­ses aus, da in diesem Sinne kein Behand­lungs­feh­ler vorlag. Es handelte sich um eine Standard Opera­tion, über ggf. auftre­tende Kompli­ka­tio­nen war im Vorhin­ein aufge­klärt worden und die zu dem Zeitpunkt gelten­den zeitli­chen Abläufe einer standard­mä­ßi­gen Mobili­sa­tion wurden einge­hal­ten.

Die Indivi­dua­li­tät des Einzel­fal­les ist letzt­lich immer entschei­dend für den Ausgang. Doch so vielfäl­tig die Gerichts­ur­teile sind, die man in den Akten der Justiz findet, so vielfäl­tig zeigt sich die Reali­tät im Kranken­haus.

Jeder, der schon im Gesund­heits­sys­tem gearbei­tet hat, weiß, wie unrea­lis­tisch die Vorstel­lung eines voll beherrsch­ba­ren Herrschafts- und Organi­sa­ti­ons­be­rei­ches während einer Mobili­sa­tion ist. So gibt es in der Praxis viele Mobili­täts­hin­der­nisse, wie zum Beispiel die Sturz­ge­fahr bei jeder Mobili­sie­rung aus dem Kranken­bett oder die Tatsa­che der schlech­ten Perso­nal­be­set­zung.

Es gibt Einrich­tun­gen, in denen eine Pflege­fach­per­son und zwei Pflege­as­sis­ten­ten für 140 Bewoh­ner in der Nacht­schicht allein zustän­dig sind.

Fazit

Das Urteil des Landge­richts Bonn zeigt, wie wichtig die Rechte der Patien­ten sind und dass das Pflege­per­so­nal beson­ders auf Hochri­si­ko­pa­ti­en­ten achten muss. Aller­dings sind die im Jahr 2013 einge­führ­ten Patien­ten­rechte in der Praxis oft schwer umzuset­zen. Gründe dafür sind unter anderem Perso­nal­man­gel und organi­sa­to­ri­sche Probleme.

Zusam­men­ge­fasst steht die Umset­zung der Patien­ten­rechte im Kranken­haus im Spannungs­feld zwischen recht­li­chen Ansprü­chen und prakti­schen Möglich­kei­ten.

Um die Balance zwischen den Rechten der Patien­ten und den Arbeits­be­din­gun­gen des Pflege­per­so­nals zu errei­chen, sind eine ausrei­chende Perso­nal­be­set­zung und eine effizi­en­tere Organi­sa­tion notwen­dig. Dazu gehört auch die Bereit­stel­lung finan­zi­el­ler Ressour­cen für entspre­chende Hilfs­mit­tel und deren Abrechen­bar­keit als Leistung. Nur so kann eine optimale Patien­ten­ver­sor­gung gewähr­leis­tet werden.