Mit dem Antikorruptionsgesetz wurden neue Tatbestände in Strafgesetzbuch aufgenommen
Mit dem Antikor­rup­ti­ons­ge­setz wurden neue Tatbe­stände in Straf­ge­setz­buch aufge­nom­men. Bild: Igor Steva­no­vic | Dreamstime.com

Der Deutsche Bundes­tag hat am 14. April 2016 das Gesetz zur Bekämp­fung von Korrup­tion im Gesund­heits­we­sen („Antikor­rup­ti­ons­ge­setz“) beschlos­sen. Es ist zum 4. Juni 2016 in Kraft getre­ten und setzt das Koordi­na­ten­sys­tem dessen, was insbe­son­dere Ärzten bei Verstö­ßen gegen das Verbot der sogenann­ten Zuwei­sung gegen Entgelt an Konse­quen­zen droht, komplett neu.

Zwar war diese schon bislang berufs- und vertrags­arzt­recht­lich gemäß § 31 (Muster-)Berufsordnung sowie §§ 73 Absatz 7, 128 Absatz 2 SGB V (5. Buch Sozial­ge­setz­buch – Recht der gesetz­li­chen Kranken­ver­si­che­rung) unter­sagt. Die Durch­schlags­kraft des Verbots infolge der Zustän­dig­keit der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den, das Sankti­ons­aus­maß bei Verstö­ßen mit Geld- und/oder Freiheits­stra­fen sowie der deswe­gen drohende Verlust der Vertrags­arzt­zu­las­sung, ja sogar der Appro­ba­tion, bewir­ken nun ein beruf­li­ches Existenz­ri­siko.

Der Geset­zes­in­halt

Das Antikor­rup­ti­ons­ge­setz besteht vornehm­lich aus zwei neuen Straf­tat­be­stän­den: § 299a Straf­ge­setz­buch (StGB), der die Bestech­lich­keit, und § 299b StGB, der die Bestechung im Gesund­heits­we­sen erfasst. Dreh- und Angel­punkt sind Vorteile im Gegen­zug für die unlau­tere Bevor­zu­gung bei der Verord­nung von Arznei‑, Heil- oder Hilfs­mit­teln oder von Medizin­pro­duk­ten, bei dem Bezug von unmit­tel­bar anwend­ba­ren Arznei- oder Hilfs­mit­teln oder von Medizin­pro­duk­ten oder bei der Zufüh­rung von Patien­ten oder Unter­su­chungs­ma­te­rial.

In § 300 StGB ist der sogenannte beson­ders schwere Fall geregelt. Er liegt in der Regel vor, wenn die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausma­ßes bezieht oder der Täter gewerbs­mä­ßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortge­setz­ten Begehung solcher Taten verbun­den hat. Die „normale“ Bestechung/Bestechlichkeit wird mit Geldstrafe oder Freiheits­strafe bis zu drei Jahren bestraft. Der beson­ders schwere Fall schlägt mit einer Mindest­frei­heits­strafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu Buche.

Täter des § 299a StGB, also dieje­ni­gen, die straf­bar besto­chen werden können, sind insbe­son­dere nieder­ge­las­sene Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte, Psycho­lo­gi­sche Psycho­the­ra­peu­ten, Kinder- und Jugend­li­chen­psy­cho­the­ra­peu­ten, Gesund­heits- und Kranken­pfle­ger, Ergothe­ra­peu­ten, Logopä­den und Physio­the­ra­peu­ten.

Als Täter des § 299b StGB, also dieje­ni­gen, die straf­bar den vorge­nann­ten Perso­nen­kreis bestechen können, kommt grund­sätz­lich jeder­mann in Betracht. Ein praxis­na­her Blick muss vor allem Angestellte von Pharma­un­ter­neh­men, Kranken­haus­an­ge­stellte wie zum Beispiel Geschäfts­füh­rer, Proku­ris­ten, Chef- und Oberärzte, Angestellte von Arztpra­xen und medizi­ni­schen Versor­gungs­zen­tren wie zum Beispiel Geschäfts­füh­rer, Proku­ris­ten, ärztli­che Leiter, Sanitäts­haus­be­trei­ber und dieje­ni­gen Ärzte und Gesund­heits­be­rufe wie zum Beispiel Apothe­ker, die von Zuwei­sun­gen von (anderen) Ärzten profi­tie­ren, in den Vorder­grund rücken.

Die Histo­rie

Die Histo­rie des Geset­zes ist für sein Verständ­nis von gerin­ger Bedeu­tung, erhellt aber, welche „Stimmung“ – mögli­cher­weise sogar Erwar­tungs­hal­tung – auf staat­li­cher Seite damit verbun­den ist.

Der Bundes­ge­richts­hof (BGH) urteilte 2012, dass nieder­ge­las­sene Vertrags­ärzte keine taugli­chen Täter allge­mei­ner Korrup­ti­ons­straf­tat­be­stände sein können. Gleich­zei­tig gab er einen aus seiner Sicht gebote­nen gesell­schafts­po­li­ti­schen Auftrag an den Gesetz­ge­ber, dies zu ändern. Die Geset­zes­be­grün­dung griff dies auf, wenn es dort heißt:

„Korrup­tion im Gesund­heits­we­sen beein­träch­tigt den Wettbe­werb, verteu­ert medizi­ni­sche Leistun­gen und unter­gräbt das Vertrauen von Patien­ten in die Integri­tät heilbe­ruf­li­cher Entschei­dun­gen. Wegen der erheb­li­chen sozia­len und wirtschaft­li­chen Bedeu­tung des Gesund­heits­we­sens ist korrup­ti­ven Prakti­ken in diesem Bereich auch mit den Mitteln des Straf­rechts entge­gen­zu­tre­ten.“

Prof. Dr. Thomas Fischer, Vorsit­zen­der eines BGH-Senats für Straf­recht, brachte es in einer Veröf­fent­li­chung noch zugespitz­ter auf den Punkt: „Korrup­tion im Gesund­heits­we­sen und hier insbe­son­dere im Vertrags­arzt-System muss endlich straf­bar und konse­quent verfolgt werden. Erst wenn ein paar Dutzend Ärzte und Vertriebs­ver­ant­wort­li­che tatsäch­lich verur­teilt sind und ihre beruf­li­che Existenz verlo­ren haben, wird sich die Botschaft verbrei­ten, dass banden­mä­ßige Korrup­tion zu Lasten der Allge­mein­heit und ihrer jeweils schwächs­ten Mitglie­der nicht toleriert wird.“

Die wesent­li­chen Geset­zes­ele­mente

Dreh- und Angel­punkte der neuen Straf­bar­keits­tat­be­stände ist die sogenann­ten Unrechts­ver­ein­ba­rung, also die Unlau­ter­keit eines Vorteils – hierbei kann es sich sowohl um materi­elle, finan­zi­elle, aber auch immate­ri­elle Vorteile handeln – im Gegen­zug für eine Verord­nung, einen Arznei‑, Heil- oder Hilfs­mit­tel- oder Medizin­pro­dukt­e­be­zug sowie für eine Patien­ten­zu­wei­sung. Diese Unlau­ter­keit ergibt sich nicht aus dem Straf­recht selbst, sondern aus anderen Rechts­ge­bie­ten, anhand derer zu überprü­fen ist, ob die Vorteils­ge­wäh­rung recht­lich toleriert wird, insbe­son­dere ob hierauf recht­lich korrekt ein Anspruch begrün­det werden kann.

Eine prägnante, beispiel­hafte Vorschrift insoweit ist § 128 Absatz 2 Satz 3 SGB V:

„Unzuläs­sige Zuwen­dun­gen … sind auch die unent­gelt­li­che oder verbil­ligte Überlas­sung von Geräten und Materia­lien und Durch­füh­rung von Schulungs­maß­nah­men, die Gestel­lung von Räumlich­kei­ten oder Perso­nal oder die Betei­li­gung an den Kosten hierfür sowie Einkünfte aus Betei­li­gun­gen an Unter­neh­men von Leistungs­er­brin­gern, die Vertrags­ärzte durch ihr Verord­nungs- oder Zuwei­sungs­ver­hal­ten selbst maßgeb­lich beein­flus­sen.“

Aber: Derar­tige Vorteile sind nicht immer unlau­ter und mit Verord­nun­gen, den oben genann­ten Bezügen sowie Patien­ten­zu­wei­sun­gen in straf­recht­lich relevan­ter Weise nicht in Zusam­men­hang stehend, wenn sie vordring­lich anderen Motiven entsprin­gen wie zum Beispiel einer nach sonsti­gen „arztrecht­li­chen“ Vorschrif­ten grund­sätz­lich zuläs­si­gen und sozial­ad­äquat ausge­stal­te­ten Koope­ra­tion mehre­rer Ärzte mitein­an­der.

Oder – ebenso ein Beispiel – der sozial­ad­äqua­ten Vermie­tung von Praxis­räu­men an einen Arzt durch einen Apothe­ker, wenn die Praxis­räume schon länger leer stehen und dann unter­halb der ortsüb­li­chen Miete vermie­tet werden. Gleich­zei­tig bestehen in solchen Konstel­la­tio­nen aber größte Unsicher­hei­ten, wann die Grenze des nicht mehr sozial­ad­äqua­ten Verhal­tens überschrit­ten ist, zum Beispiel dann, wenn konser­va­tiv und opera­tiv tätige Ärzte mitein­an­der als Berufs­aus­übungs­ge­mein­schaft koope­rie­ren und der konser­va­tiv tätige Zuwei­se­r­arzt überob­li­ga­to­risch – wann ist das aller­dings Fall? – im Rahmen der Gewinn­ver­tei­lung profi­tiert.

Die Risiko­sach­ver­halte anhand von Beispie­len

Kurz gefasst gilt: Der Fokus auf die Thema­tik „Zuwei­sung gegen Entgelt“ verschärft sich. Für den nieder­ge­las­se­nen Arzt gilt, dass grund­sätz­lich die meisten seiner „Geldfluss­be­zie­hun­gen“ abstrakt geeig­net sind, die neuen Straf­tat­be­stände zu erfül­len. Es geht dabei häufig um „vertrack­tere“ Vorgänge als die offen­sicht­lich unzuläs­si­gen direk­ten Bargeld­prä­mien oder sonsti­gen direk­ten Vorteile mit Entgelt­cha­rak­ter wie zum Beispiel kosten­lose Ferien­haus­be­nut­zun­gen. Beispiel­haft kann man folgende Sachver­halte nennen, die jeder Betei­ligte für sich überprü­fen müsste:

  • Geson­derte „Service-Unter­neh­men“ von Ärzten vergü­ten unnötige Leistun­gen von Zuwei­sern
  • Geson­derte „Service-Unter­neh­men“ von Ärzten erbrin­gen für Zuwei­ser Leistun­gen zu höchst verbil­lig­ten, zuschuss­be­dürf­ti­gen Preisen
  • Heil- oder Hilfs­mit­tel­er­brin­ger mieten in Arztpra­xen, die sie empfeh­len, Räume, Schränke, Geräte und ähnli­ches zu überteu­er­ten Preisen an
  • Ärzte ziehen für Diagnos­tik­leis­tun­gen Zuwei­ser hinzu und vergü­ten diese, obwohl die Leistun­gen auch von ihnen allein erbracht werden können
  • Kranken­häu­ser beschäf­ti­gen ohne Bedarf oder beson­dere Notwen­dig­keit nieder­ge­las­sene Ärzte und/oder zahlen überhöhte Vergü­tun­gen
  • Ärzte gründen Appara­te­ge­mein­schaf­ten für den Betrieb von Geräten, die nur einer von ihnen benötigt, sodass der andere einen nicht nachvoll­zieh­ba­ren Kosten­bei­trag leistet
  • ein Arzt unter­hält einen Geräte­lea­sing­ver­trag, der nur einem anderen Arzt zugute kommt
  • Heil- oder Hilfs­mit­tel­er­brin­ger überneh­men für Ärzte Kosten, zum Beispiel im Zusam­men­hang mit Perso­nal­schu­lun­gen, Fortbil­dun­gen und ähnli­ches.
  • Heil- oder Hilfs­mit­tel­er­brin­ger betei­li­gen Ärzte an ihrem Unter­neh­men zu beson­ders „günsti­gen“ Kondi­tio­nen und/oder gewäh­ren überob­li­ga­to­ri­sche Gewinn­be­tei­li­gun­gen
  • Medizin­pro­duk­te­un­ter­neh­men stellen Ärzten für ihre Produkte Rechnun­gen, die eine Listen­preis­be­rech­nung gegen­über den Patien­ten ermög­li­chen, gleich­zei­tig beglei­chen die Ärzte die Rechnun­gen nur nach Abzug von infor­mell verein­bar­ten oder still­schwei­gend gewähr­ten Rabat­ten (das kann zusätz­lich [Abrech­nungs-]Betrug sein bezie­hungs­weise war es schon immer)
  • Heil- oder Hilfs­mit­tel­er­brin­ger gewäh­ren Ärzten umsatz­ab­hän­gige „Gutschrif­ten“, die ander­wei­tig mit Vortei­len bei anderen Leistun­gen oder ähnli­ches einge­löst werden können.

Der Umgang mit Risiko­sach­ver­hal­ten

Es ist nur sinnvoll, Risiko­sach­ver­halte anwalt­lich prüfen und gegebe­nen­falls zur abschlie­ßen­den Beurtei­lung an Behör­den wie Ärzte­kam­mern, Kassen­ärzt­li­che Verei­ni­gun­gen und/oder teilweise schon entstan­dene gemein­same „Clearing-Stellen“ weiter­zu­ge­ben.

Zwar sind straf­recht­li­che „Freizeich­nun­gen“ infolge gutach­ter­li­cher Stellung­nah­men von Rechts­an­wäl­ten grund­sätz­lich geeig­net, die Straf­bar­keit mangels Vorsatz oder infolge eines sogenann­ten unver­meid­ba­ren Verbots­irr­tums entfal­len zu lassen – gerade auch dann, wenn eine Staats­an­walt­schaft oder sogar ein Straf­ge­richt den Sachver­halt später einmal objek­tiv anders beurteilt. Andere, den Sachver­halt recht­lich negativ einschät­zende Beurtei­lun­gen sind aber genauso unbedingt zu beach­ten.

Im Zweifels­fall muss gelten: Finger weg! Denn dann sind die Ergeb­nisse staats­an­walt­li­cher Ermitt­lungs­ver­fah­ren nie zu prognos­ti­zie­ren. Und bereits die mit einem Ermitt­lungs­ver­fah­ren verbun­de­nen persön­li­chen und finan­zi­el­len Belas­tun­gen können so gravie­rend sein, dass sie Betrof­fene schon an den Rand der Existenz­be­dro­hung gebracht haben.

Von Rechts­an­walt Dr. Andreas Meschke