Beobachter hatten die Verhandlungen über die Gehälter im öffentlichen Dienst schon vor dem Scheitern gesehen. Denn die Warnstreiks in Kitas und ÖPNV sorgten zuvor scheinbar für wenig Bewegung. Doch als die Tarifparteien Sonntag vor die Presse traten, war dann doch ein Kompromiss gefunden, den Verhandlungsführer Horst Seehofer als „historisch“ bezeichnete. „Besonders erfreulich ist, dass es uns gelungen ist, deutliche Verbesserungen für untere und mittlere Einkommensgruppen sowie für den Bereich Pflege und Gesundheit durchzusetzen“, sagte Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di).
Deutlich zurückhaltender äußerte sich Ulrich Mädge, Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), der von einem „wirtschaftlich verkraftbaren Abschluss“ sprach, der „Planungssicherheit gibt“.
Ebenso nüchtern fiel die Bewertung beim Deutschen Beamten-Bund (dbb) aus: „Das ist der Corona-Kompromiss. Wir haben mit diesem Abschluss das aktuell Machbare erreicht“, bilanzierte dessen Bundesvorsitzender Ulrich Silberbach die vereinbarten Steigerungen der Gehälter.
Wer bekommt mehr Geld?
Konkret wurden folgende Maßnahmen beschlossen:
- Schon im Dezember gibt es mehr Geld: Corona-Bonuszahlungen für die unteren acht Einkommensgruppen in Höhe von 600 Euro, für die mittleren (E 9–12) 400 Euro und für die oberen Einkommensgruppen (E 13–15) 300 Euro.
- Die Jahressonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) werden für die unteren acht Einkommensgruppen um 5 Prozent angehoben.
- Zum 1.4.2021 steigen die Gehälter um 1,4 Prozent, mindestens jedoch um 50 Euro. In einem zweiten Schritt steigen sie zum 1.4.2022 um weitere 1,8 Prozent.
- Ab März 2021 erhalten Pflegekräfte zusätzlich eine Pflegezulage von 70 Euro, die 2022 auf 120 Euro erhöht wird. Die Zulage in der Intensivmedizin wird mehr als verdoppelt auf 100 Euro monatlich, die Wechselschichtzulage steigt von 105 auf 155 Euro monatlich.
- Ärzte in den Gesundheitsämtern erhalten ab März 2021 eine Zulage von 300 Euro monatlich.
Von den Maßnahmen profitieren die 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf kommunaler und Bundesebene, nicht jedoch die Landesbeschäftigten. Auf die Beamten soll der Abschluss analog angewandt werden. Die Arbeitgeberseite kalkuliert die Gesamtkosten auf 4,9 Milliarden Euro auf die gesamte Laufzeit von 28 Monaten bezogen.
Einen Pferdefuß gibt es allerdings: Nicht bzw. nicht unmittelbar profitieren die vielen Pflegekräfte in Krankenhäusern, die von gewinnorientierten Unternehmen geführt werden – und das sind inzwischen 37,6 % (2018). Ob sie den Tarifabschluss für sich übernehmen, wird sich erst zeigen müssen.
Kritik: Gehälter sind nicht alles
Auch sonst gab es nicht nur positive Stimmen. Der bekannte Koblenzer Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Sell kritisierte etwa, dass das erzielte Ergebnis auf Zulagen statt eine tarifliche Neueingruppierung setze und damit „eine strukturelle, deutlich ambitioniertere Aufwertung der Pflegeberufe eher blockieren bis verunmöglichen wird“. Auch bei den gemeinnützigen Trägern hätte man sich ein deutlicheres Signal an die Pflege gewünscht.
„Mit solchen enttäuschenden Ergebnissen werden wir keine jungen Menschen für den Pflegeberuf begeistern und verschärfen den Pflegenotstand“, sagte Alexander Slotty, Landesgeschäftsführer der Volkssolidarität Berlin, die 1.300 Mitarbeiter in der Pflege beschäftigt.
Auch die erst kürzlich gegründete Pflegegewerkschaft BochumerBund (BB) äußerte sich kritisch zu den Tarifverhandlungen, denn es gehe nicht nur um Geld. Die Interessenvertretung verwies auf „die immense Bedeutung nicht-monetärer Wertschätzung für pflegerische Arbeit“, die in vielen Einrichtungen vernachlässigt werde. Die Zeit sei reif dafür, die oftmals katastrophalen Arbeits- und Hygienebedingungen endlich zu verbessern, so der BB-Vorsitzende Hubert Biniak.
Bei ver.di sind diese Signale durchaus angekommen. Man werde neben den Gehältern auch die strukturellen Probleme, wie den weiter herrschenden Personalmangel, in den kommenden Monaten stärker thematisieren, erklärte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Tarifkonflikt in Corona-Zeiten
Dass überhaupt während der Coronapandemie über mehr Geld verhandelt wurde, war übrigens nicht der Wunsch der Gewerkschaften. Diese hatten angeboten, die Laufzeit des bisherigen Tarifvertrages um ein Jahr zu verlängern, wenn es dafür eine ausgleichende Einmalzahlung gäbe. Die Arbeitgeberseite hatte dieses Angebot jedoch ausgeschlagen, wohl auch weil sie davon ausging, jetzt eine stärkere Verhandlungsposition zu haben.
Während alle Medien bereits von einer finalen Einigung sprechen, steht der Kompromiss tatsächlich noch unter Zustimmungsvorbehalt. Die Bundestarifkommission von ver.di wird am 24.11. beraten und muss dem Ganzen noch ihr Plazet geben. Zuvor sei noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten und er werde „viel in Videokonferenzen sein“, kündigte Werneke an.
Quelle: ver.di, VKA, dbb