Die ganze Welt redet über einen Corona-Impfstoff … Die ganze Welt? Nein! Einige Wissenschaftler an der New Yorker Columbia Universität leisten dem Forschungs-Mainstream unbeugsamen Widerstand. Sie setzen auf ein neu entwickeltes Nasenspray auf Lipopeptid-Basis. Die Professoren Matteo Porotto und Anne Moscona konnten die antivirale Substanz bislang aber nur an Frettchen testen, deren Lungen sich menschenähnlich verhalten. Dabei erkrankte keines der Versuchstiere, dem das Nasenspray verabreicht wurde, obwohl diese auf engstem Raum mit infizierten Frettchen gehalten wurden. Die Kontrollgruppe, der ein normales Nasenspray verabreicht wurde, war nach 24 Stunden dagegen ebenfalls mit SARS-CoV‑2 angesteckt.
Aber kann die Lösung wirklich so einfach sein? Im medizinischen Fachjournal mBio illustrierten die Forscher anhand eines 3D-Modells der menschlichen Lunge, wie das preiswert herzustellende, langfristig lagerbare und ohne extreme Kühlung auskommende Präparat verhindern soll, dass SARS-CoV‑2 in die Wirtszellen des Körpers eindringt. Am 5. November erschien ein Preprint der vorläufigen Untersuchungsergebnisse auf der Plattform bioRxiv, allerdings noch ohne „peer review“ durch andere Forscher. In einer nächsten Phase soll die Substanz auch an Freiwilligen getestet werden.
Ergänzung zu Impfstoffen
Matteo Porotto und Anne Moscona sind dabei kein unbeschriebenes Blatt. Sie leiten das Zentrum für Wirt-Pathogen-Interaktion an der Columbia Universität. Schon seit Jahren entwickeln sie Lipopeptide (kleine Proteine, die mit einem Cholesterol- oder Tocopherol-Molekül verbunden sind), um die Übertragung von Masern, Parainfluenza oder des in Asien verbreiteten Nipah-Virus zu verhindern. Ihre entsprechende Erfahrung konnten sie nun in kürzester Zeit auf COVID-19 übertragen.
Ihr Nasenspray wäre vor allem für Menschen wichtig, die sich nicht impfen können oder deren Körper keine Immunreaktion entwickelt. „Selbst im idealen Szenario, wo große Teile der Bevölkerung geimpft sind – bei gleichzeitig hohem Vertrauen in den Impfstoff und Einhaltung aller Regeln“, so Moscona und Porotto, „werden solche antiviralen Substanzen ein wichtiger zusätzlicher Baustein zum Schutz Einzelner und zur Eindämmung der Weiterverbreitung sein”.
Die Grundlagenforschung an Lipopeptiden zur Virusbekämpfung begann bereits in den 1980er Jahren. Sie führte zu diversen Verfahren und Patentanträgen, bis hin zu experimentellen Methoden gegen Krebs. Am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung arbeitet man an antiviralen Substanzen auf Lipopeptid-Basis, die eine Breitbandwirkung auf mehr als ein einzelnes Virus haben.
Dauerhafter Impfschutz durch Nasenspray?
Während die US-Forscher für ihr Nasenspray von einer Mindestwirkdauer von 24 Stunden ausgehen, ist man an der Universität in Tübingen optimistischer. Dort will man mit einem womöglich mehrstufigen Verfahren dauerhaften Impfschutz erreichen. Hierbei setzen die Tübinger Wissenschaftler auf ein „Vektorverfahren“, das den für Menschen unschädlichem Sendai-Virus als Träger nutzt.
Die jetzt schnell entwickelten Impfstoffe der 1. Generation hätten das Ziel, die Menschen vor einer schwerwiegenden Infektion zu schützen. „Das ist die Silbermedaille“, so Ulrich Lauer, Leiter der Forschergruppe Virotherapie an der Medizinischen Klinik VIII der Universität Tübingen gegenüber dem Westfälischen Anzeiger. Durch die intravaskuläre Darreichung (Spritze in den Muskel), baue der Körper Antikörper im Blut auf. Dies verhindere jedoch nicht den Befall der oberen Atemwege, die das typische Einfallstor des Coronavirus seien. So könnten Menschen zwar selbst geschützt sein, aber das Virus über entsprechende Ansammlungen in Mund und Rachen dennoch an andere weitergeben.
Weiter Weg zu deutschem Nasenspray
Lauer entwickelt deshalb einen Impfstoff der 2. Generation, der schon die Erstinfektion verhindern soll. Und stößt damit beim Berliner Chef-Virologen Christian Drosten offene Türen ein: „Das ist es, was wir uns wünschen würden, dass wir Impfstoffe haben, die die Schleimhäute auch schützen.“ So werde das dortige Immunsystem mit stimuliert, „das Virus wird sofort in der Nase gebremst“, so Drosten im NDR-Podcast.
Um Nebenwirkungen auszuschließen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit der Impfung zu erhalten, stünde Sorgfalt selbstverständlich vor Geschwindigkeit. Erste Tests an Menschen seien frühestens in zwei Jahren zu erwarten, so Lauer in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung: „In vier Jahren könnte unser Impfstoff fertig sein.“
Dass es nicht schneller gehe, liege auch an den Defiziten des Standorts Deutschland: „Wir geben viel Geld für Forschung aus. Aber wenn es um die Umsetzung in Produkte geht, sind wir im Vergleich zu den USA nach wie vor zu zögerlich und zu langsam“. Auch bei seinem Forschungsprojekt erlebe man, „wie schwierig es ist, in Deutschland eine ausreichende Förderung (…) zu bekommen“. Enttäuscht zeigte sich Lauer von der Ablehnung eines Förderantrages bei der grün-schwarzen Landesregierung von Baden-Württemberg. Womöglich glaube man, keine wirksameren Impfstoffe der zweiten Generation zu benötigen. Erweise sich dies jedoch als Irrtum, dann „hätten wir wertvolle Zeit im Wettlauf mit dem Virus verloren!“