Corona
Ein Jammer: die Sterb­lich­keit in Heimen ist stark gestie­gen Bild: Foto: Michael Schanz

Für etliche Angehö­rige von pflege­be­dürf­ti­gen Menschen war Weihnach­ten 2020 ein trauri­ges Fest. Die zweite Corona-Welle, die im vergan­ge­nen Herbst und Winter durch Deutsch­land zog, hat für etliche zusätz­li­che Todes­fälle in Pflege­hei­men gesorgt. Im letzten Quartal 2020, von Oktober bis Dezem­ber, lag die Sterb­lich­keit in Pflege­ein­rich­tun­gen um rund 30 Prozent höher als im Schnitt der Vorjahre. Ausge­rech­net in der Kalen­der­wo­che 52, in der die Weihnachts-Feier­tage lagen, erreichte die Übersterb­lich­keit in Heimen mit 80 Prozent im Vergleich zu den Vorjah­ren ihren Höchst­wert.

Diese Zahlen gehen aus dem Pflege-Report 2021 hervor, den das Wissen­schaft­li­che Insti­tut der AOK (WIdO) veröf­fent­licht hat. Bereits in der – im Rückblick vergleichs­weise milden – ersten Corona-Welle von März bis Mai 2020 hatte die Todes­rate in Senio­ren­hei­men um rund 20 Prozent höher gelegen als im Schnitt der Vorjahre 2015 bis 2019. Die hohe Zahl der Toten über die Weihnachts­tage wird in den „absolu­ten“ Prozent­zah­len der Kalen­der­wo­che beson­ders deutlich: Rund 1,25 Prozent der Pflege­heim­be­woh­ner, also jeder achtzigste Bewoh­ner insge­samt, waren – wohlge­merkt alleine in der Weihnachts­wo­che! – verstor­ben.

In „norma­len“ Jahren außer­halb von Corona bewegt sich der wöchent­li­che Anteil der Verstor­be­nen in Heimen meist zwischen 0,6 und 0,7 Prozent. Annähernd ähnlich hohe Todes­zah­len gab es vor der Corona-Ära letzt­mals im März 2018, als eine beson­ders schwere Grippe­welle Deutsch­land heimsuchte. Damals lag die wöchent­li­che Todes­rate in statio­nä­ren Einrich­tun­gen in der Spitze, in der entspre­chen­den Kalen­der­wo­che 11/2018, bei knapp 1,1 Prozent.

Ab dem Jahres­wech­sel 2020/21 nahm die Zahl der Corona-Fälle dann bundes­weit deutlich ab. Zudem startete Ende Dezem­ber 2020 die natio­nale Impfkam­pa­gne, bei der die Bewoh­ner von Pflege­hei­men sowie deren Beschäf­tigte als Erstes an die Reihe kamen. In der Folge sank die Infek­ti­ons­rate in den höchs­ten Alters­grup­pen deutlich. Auch heute noch liegt sie unter­halb derer von Jünge­ren.

Corona: Fast jeder zweite COVID-Klinik­pa­ti­ent aus dem Pflege­heim schaffte es nicht

Bedingt durch ihre tenden­zi­ell ausge­präg­tere körper­li­che Schwä­che und Krank­heits-Anfäl­lig­keit hatten im Jahr 2020 Heimbe­woh­ner mit COVID-19 auch im Fall einer Kranken­haus­ein­wei­sung ein deutlich höheres Sterbe­ri­siko als Gleich­alt­rige, die nicht einer Einrich­tung wohnen. So starben in der Alters­gruppe der über 60-Jähri­gen, die mit gesicher­ter COVID-Diagnose ins Klini­kum kamen, 45 Prozent der Pflege­heim­be­woh­ner, jedoch nur 25 Prozent der nicht im Heim Leben­den.

Corona
In den Heimen wurden die Menschen nicht ausrei­chend geschützt

„Die Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men während der Pande­mie reich­ten nicht aus, um die im Heim leben­den pflege­be­dürf­ti­gen Menschen ausrei­chend zu schüt­zen“, folgerte Dr. Antje Schwin­ger, Leite­rin des Forschungs­be­reichs Pflege im WIdO und Mither­aus­ge­be­rin des Pflege-Reports. Diese Erkennt­nis sei für zukünf­tige Pande­mie­kon­zepte zu berück­sich­ti­gen – jedoch auf der Gegen­seite auch die deutli­chen gesund­heit­li­chen Folgen und psychi­schen Belas­tun­gen für die Pflege­be­dürf­ti­gen, bedingt durch ihre Isola­tion.

Denn in weiten Teilen Deutsch­land galt – jeweils auf Länder­ebene geregelt – während der ersten Pande­mie-Welle ein totales Besuchs- und Kontakt­ver­bot für Angehö­rige. So sei laut der WidO-Erhebung für 43 Prozent der befrag­ten Angehö­ri­gen ein persön­li­cher Kontakt zu den Pflege­be­dürf­ti­gen zwischen März und Mai 2020 in keiner Weise möglich gewesen, für rund 30 weitere Prozent nur selten. Nur knapp 10 Prozent der Studi­en­teil­neh­mer berich­te­ten von einem weitge­hend norma­len, unein­ge­schränk­ten Kontakt- und Besuchs­recht.

Einsam­keits- und Isola­ti­ons­ge­fühle während Kontakt­sperre weit verbrei­tet

Dies schlägt sich auch in der Befra­gung der Angehö­ri­gen nieder, wie sich während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 der Gesund­heits­zu­stand ihrer Bezugs­per­so­nen im Heim verän­dert hat. 71 Prozent der Angehö­ri­gen berich­te­ten von deutlich häufi­ge­ren Gefühle der Einsam­keit und des Allein­seins, weitere 68 Prozent regis­trier­ten mehr Nieder­ge­schla­gen­heit, Lustlo­sig­keit und Traurig­keit bei ihnen. Auch die geistige Fitness (von 61 Prozent genannt) habe bei den Pflege­heim­be­woh­nern nachge­las­sen, ebenso die Beweg­lich­keit (56 Prozent).

Hinsicht­lich mögli­cher weite­rer Pande­mie-Wellen fordern die Studi­en­au­toren, diesen Fehler der Komplett-Abschot­tung von Heimen nicht noch einmal zu begehen. „Wir sollten – die Situa­tion der Betrof­fe­nen vor Augen – die Pande­mie zum Anlass für einen breiten gesell­schaft­li­chen Diskurs nehmen, was uns eine menschen­wür­dige Versor­gung im Alter als Gesell­schaft wert ist“, sagt Schwin­ger.

Basis der Unter­su­chung sind die rund 400.000 Pflege­heim­be­woh­ner, die bei Kassen des AOK-Verbands versi­chert sind. Zudem wurden rund 1000 Angehö­rige von Pflege­be­dürf­ti­gen im Herbst 2020 online befragt; 500 davon waren Angehö­rige von statio­när unter­ge­brach­ten Perso­nen. Die Zusam­men­fas­sung des Pflege-Reports 2021 ist beim WidO als PDF abruf­bar. Auch das Buch als Volltext steht zum Download bereit.