Für etliche Angehörige von pflegebedürftigen Menschen war Weihnachten 2020 ein trauriges Fest. Die zweite Corona-Welle, die im vergangenen Herbst und Winter durch Deutschland zog, hat für etliche zusätzliche Todesfälle in Pflegeheimen gesorgt. Im letzten Quartal 2020, von Oktober bis Dezember, lag die Sterblichkeit in Pflegeeinrichtungen um rund 30 Prozent höher als im Schnitt der Vorjahre. Ausgerechnet in der Kalenderwoche 52, in der die Weihnachts-Feiertage lagen, erreichte die Übersterblichkeit in Heimen mit 80 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren ihren Höchstwert.
Diese Zahlen gehen aus dem Pflege-Report 2021 hervor, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) veröffentlicht hat. Bereits in der – im Rückblick vergleichsweise milden – ersten Corona-Welle von März bis Mai 2020 hatte die Todesrate in Seniorenheimen um rund 20 Prozent höher gelegen als im Schnitt der Vorjahre 2015 bis 2019. Die hohe Zahl der Toten über die Weihnachtstage wird in den „absoluten“ Prozentzahlen der Kalenderwoche besonders deutlich: Rund 1,25 Prozent der Pflegeheimbewohner, also jeder achtzigste Bewohner insgesamt, waren – wohlgemerkt alleine in der Weihnachtswoche! – verstorben.
In „normalen“ Jahren außerhalb von Corona bewegt sich der wöchentliche Anteil der Verstorbenen in Heimen meist zwischen 0,6 und 0,7 Prozent. Annähernd ähnlich hohe Todeszahlen gab es vor der Corona-Ära letztmals im März 2018, als eine besonders schwere Grippewelle Deutschland heimsuchte. Damals lag die wöchentliche Todesrate in stationären Einrichtungen in der Spitze, in der entsprechenden Kalenderwoche 11/2018, bei knapp 1,1 Prozent.
Ab dem Jahreswechsel 2020/21 nahm die Zahl der Corona-Fälle dann bundesweit deutlich ab. Zudem startete Ende Dezember 2020 die nationale Impfkampagne, bei der die Bewohner von Pflegeheimen sowie deren Beschäftigte als Erstes an die Reihe kamen. In der Folge sank die Infektionsrate in den höchsten Altersgruppen deutlich. Auch heute noch liegt sie unterhalb derer von Jüngeren.
Corona: Fast jeder zweite COVID-Klinikpatient aus dem Pflegeheim schaffte es nicht
Bedingt durch ihre tendenziell ausgeprägtere körperliche Schwäche und Krankheits-Anfälligkeit hatten im Jahr 2020 Heimbewohner mit COVID-19 auch im Fall einer Krankenhauseinweisung ein deutlich höheres Sterberisiko als Gleichaltrige, die nicht einer Einrichtung wohnen. So starben in der Altersgruppe der über 60-Jährigen, die mit gesicherter COVID-Diagnose ins Klinikum kamen, 45 Prozent der Pflegeheimbewohner, jedoch nur 25 Prozent der nicht im Heim Lebenden.
„Die Infektionsschutzmaßnahmen während der Pandemie reichten nicht aus, um die im Heim lebenden pflegebedürftigen Menschen ausreichend zu schützen“, folgerte Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO und Mitherausgeberin des Pflege-Reports. Diese Erkenntnis sei für zukünftige Pandemiekonzepte zu berücksichtigen – jedoch auf der Gegenseite auch die deutlichen gesundheitlichen Folgen und psychischen Belastungen für die Pflegebedürftigen, bedingt durch ihre Isolation.
Denn in weiten Teilen Deutschland galt – jeweils auf Länderebene geregelt – während der ersten Pandemie-Welle ein totales Besuchs- und Kontaktverbot für Angehörige. So sei laut der WidO-Erhebung für 43 Prozent der befragten Angehörigen ein persönlicher Kontakt zu den Pflegebedürftigen zwischen März und Mai 2020 in keiner Weise möglich gewesen, für rund 30 weitere Prozent nur selten. Nur knapp 10 Prozent der Studienteilnehmer berichteten von einem weitgehend normalen, uneingeschränkten Kontakt- und Besuchsrecht.
Einsamkeits- und Isolationsgefühle während Kontaktsperre weit verbreitet
Dies schlägt sich auch in der Befragung der Angehörigen nieder, wie sich während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 der Gesundheitszustand ihrer Bezugspersonen im Heim verändert hat. 71 Prozent der Angehörigen berichteten von deutlich häufigeren Gefühle der Einsamkeit und des Alleinseins, weitere 68 Prozent registrierten mehr Niedergeschlagenheit, Lustlosigkeit und Traurigkeit bei ihnen. Auch die geistige Fitness (von 61 Prozent genannt) habe bei den Pflegeheimbewohnern nachgelassen, ebenso die Beweglichkeit (56 Prozent).
Hinsichtlich möglicher weiterer Pandemie-Wellen fordern die Studienautoren, diesen Fehler der Komplett-Abschottung von Heimen nicht noch einmal zu begehen. „Wir sollten – die Situation der Betroffenen vor Augen – die Pandemie zum Anlass für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs nehmen, was uns eine menschenwürdige Versorgung im Alter als Gesellschaft wert ist“, sagt Schwinger.
Basis der Untersuchung sind die rund 400.000 Pflegeheimbewohner, die bei Kassen des AOK-Verbands versichert sind. Zudem wurden rund 1000 Angehörige von Pflegebedürftigen im Herbst 2020 online befragt; 500 davon waren Angehörige von stationär untergebrachten Personen. Die Zusammenfassung des Pflege-Reports 2021 ist beim WidO als PDF abrufbar. Auch das Buch als Volltext steht zum Download bereit.