Impfpflicht
War die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht 2022 rechtens? Bild: © Peter KovA!A? | Dreamstime.com

Worum geht es?

Anfang Septem­ber wurde vor dem VG Osnabrück folgen­der Fall verhan­delt: Einer Pflege­hel­fe­rin wurde 2022 ein Betre­tungs- und Tätig­keits­ver­bot ausge­spro­chen, weil sie keinen Corona-Impfnach­weis vorge­legt hatte.

Ein solcher war aber im Sinne der damals gelten­den einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht (§ 20a Infek­ti­ons­schutz­ge­setz) für Pflege­kräfte und medizi­ni­sches Perso­nal verpflich­tend. Alter­na­tiv hätte sie einen Genese­nen­nach­weis oder ein ärztli­ches Zeugnis darüber vorle­gen können, dass sie nicht geimpft werden könne.

Gegen dieses Betre­tungs- und Tätig­keits­ver­bot klagte die Frau vor dem VG Osnabrück. Wie sich nun zeigt, stimmt das Gericht ihr tatsäch­lich zu.

Einrich­tungs­be­zo­gene Corona-Impfpflicht doch nicht verfas­sungs­kon­form?

Die Entschei­dung des VG Osnabrück steht damit im Konflikt zur Einschät­zung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (Az.: 1 BvR 2649/21), das die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht im Jahr 2022 noch für zuläs­sig und mit dem Grund­ge­setz verein­bar angese­hen hatte.

Die Impfpflicht würde das Grund­recht auf körper­li­che Unver­sehrt­heit und die Berufs­frei­heit einschrän­ken. Das stellte zwar auch schon das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt 2022 fest, damals wurden diese Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen aller­dings damit recht­fer­tigt, dass die Impfung einen ausrei­chen­den Fremd­schutz biete und vulnerable Menschen so vor einer Infek­tion schüt­zen könne.

Entspre­chend wurde angenom­men, dass der Nutzen der Impfung den Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen überwiege. Diese Einschät­zung scheint inzwi­schen zweifel­haft zu sein. Grund dafür sind neue Infor­ma­tio­nen des Robert Koch-Insti­tuts.

Neue Erkennt­nisse des RKIs

Auf Grund­lage der mittler­weile veröf­fent­lich­ten RKI-Proto­kolle und den Ausfüh­run­gen des Präsi­den­ten des RKIs, Prof. Dr. Schaade, der vor Gericht als Zeuge auftrat, stellt das VG Osnabrück die „Unabhän­gig­keit der behörd­li­chen Entschei­dungs­fin­dung“ in Frage.

Das Gesetz zur einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht ist damals mit Empfeh­lun­gen des RKIs entstan­den. Die Recht­fer­ti­gung des Geset­zes wurde – wie bereits angemerkt – immer wieder durch den Schutz vulnerabler Menschen bekräf­tigt.

Nun habe das RKI aller­dings schon 2022 neue Infor­ma­tio­nen sammeln können, die einen solchen Schutz nicht mehr unein­ge­schränkt bestä­ti­gen konnten – diese Infos wurden aber nicht an den Gesetz­ge­ber weiter­ge­ge­ben. Die auf den Empfeh­lun­gen des RKIs beruhen­den Einschät­zun­gen zur Impfpflicht sei durch die Veröf­fent­li­chung der RKI-Proto­kolle erschüt­tert, so das Gericht.

Hierzu ein Auszug aus den RKI-Proto­kol­len vom 26. Oktober 2022: „Aus Alten­heim-Ausbrü­chen (Exposi­tion für alle gleich) weiß man, dass [die] Wirkung der Impfung eher überschätzt wird. Schwie­ri­ges Thema, sollte nicht im Impfbe­richt formu­liert werden.“

Auch in vorhe­ri­gen RKI-Sitzun­gen sind immer wieder Unsicher­hei­ten zum Fremd­schutz der Impfung geäußert worden. Diesen Ausfüh­run­gen entnimmt das Gericht, „dass die seitens der Bundes­re­gie­rung sugge­rierte und auch vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt seiner Entschei­dung zugrunde gelegte Annahme, dass die Impfung in jedem Fall einen wirksa­men Fremd­schutz darstell­ten, tatsäch­lich falsch war“.

Impfpflicht „in die Verfas­sungs­wid­rig­keit hinein­ge­wach­sen“

Nach Ansicht des VG Osnabrück hätte das RKI das Bundes­mi­nis­te­rium für Gesund­heit von sich aus über die neuen Erkennt­nisse infor­mie­ren müssen, was aller­dings nicht passiert sei.

Weil der Gesetz­ge­ber auch nicht von selbst den aktuel­len Stand der Wissen­schaft und Forschung angefragt und somit keine Anpas­sung der Regelung vorge­nom­men hat, sei er seiner Normbe­ob­ach­tungs­pflicht nicht nachge­kom­men.

Die Kommu­ni­ka­ti­ons­de­fi­zite zwischen Exeku­tive und Legis­la­tive dürften nicht zu Lasten der Grund­rechts­trä­ge­rin­nen und ‑träger gehen, erklärt das Gericht.

Der § 20a Infek­ti­ons­schutz­ge­setz ist somit im Lauf des Jahres 2022 „in die Verfas­sungs­wid­rig­keit hinein­ge­wach­sen, da der Zweck der einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht, vulnerable Perso­nen zu schüt­zen, aufgrund der gleich­wer­ti­gen Virus­über­tra­gung durch geimpfte Perso­nen nicht mehr erreicht werden konnte“.

Die Impfung war also nicht mehr dafür geeig­net einen wesent­li­chen Schutz vor Anste­ckung zu bieten, so das Gericht.

Da das Verwal­tungs­ge­richt selbst keine Normver­wer­fungs­kom­pe­tenz hat, legt es seine Entschei­dung nun dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt vor. Das müsste damit erneut über die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht entschei­den.

FAQ

Ist die einrich­tungs­be­zo­gene Corona-Impfpflicht verfas­sungs­wid­rig?

Die Entschei­dung des Verwal­tungs­ge­richts Osnabrück stellt die Verfas­sungs­mä­ßig­keit der einrich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht (§ 20a Infek­ti­ons­schutz­ge­setz) in Frage. Das Gericht argumen­tiert, dass der Paragraph im Laufe des Jahres 2022 „in die Verfas­sungs­wid­rig­keit hinein­ge­wach­sen“ ist. Die endgül­tige Entschei­dung muss jedoch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt treffen.

Welche neuen Erkennt­nisse gab es durch die RKI-Proto­kolle?

Das Verwal­tungs­ge­richt Osnabrück stützt seine Entschei­dung auf RKI-Proto­kolle, aus denen hervor­geht, dass der Fremd­schutz der Corona-Impfung überschätzt wurde. Diese Infor­ma­tio­nen waren dem Gesetz­ge­ber 2022 noch nicht zugäng­lich, obwohl das RKI sie bereits hatte. Das Gericht kriti­siert, dass der Gesetz­ge­ber seine Normbe­ob­ach­tungs­pflicht nicht wahrge­nom­men habe, was die Grund­lage für die Impfpflicht erschüt­tert hat.

Wer haftet, wenn die Crorona-Impfpflicht rückwir­kend als verfas­sungs­wid­rig erklärt wird?

Sollte das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt die einrich­tungs­be­zo­gene Impfpflicht rückwir­kend als verfas­sungs­wid­rig einstu­fen, könnten betrof­fene Pflege­kräfte, die wegen fehlen­der Impfun­gen Berufs­ver­bote erhiel­ten, Ansprü­che geltend machen. Dies könnte zu Haftungs­fra­gen gegen­über dem Staat führen, da diese Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen mögli­cher­weise unrecht­mä­ßig waren.

Quelle: VG Osnabrück vom 3. Septem­ber 2024 – 3 A 224/22