168 Millionen Euro – soviel würde es kosten, um allen ca. 140.000 Auszubildenden im Pflegebereich für ein Jahr lang 100 Euro auszahlen zu können. Diesen Spendenbetrag möchte die Initiative Clapping for Future sammeln. Der Name spielt dabei auf die erste Zeit der Coronapandemie an, als das allabendliche Klatschen auf dem Balkon einen symbolischen Dank an Pflegekräfte ausdrücken sollte.
Das dreiköpfige Team aus Heidelberg will eine Möglichkeit zum zivilgesellschaftlichen Engagement schaffen, die nicht nur symbolischen Wert hat. Die Rechtsdepesche hat mit Geschäftsführer Sebastian Böhm über das Projekt gesprochen.
Clapping for Future: Die Zivilgesellschaft muss einen Beitrag zugunsten des Gesundheitssystems leisten
Rechtsdepesche: Wie ist die Idee zu Clapping for Future entstanden?
Sebastian Böhm: Die Idee für das Projekt hatten wir Ende vergangenen Jahres, als die Omikron-Welle auf Deutschland zurollte und sich die Politik auch nach knapp zwei Jahren Pandemie-Erfahrung bloß in Grabenkämpfe verwickelte, anstatt vorausschauende Gesundheitspolitik zu betreiben.
Ganz Deutschland verließ sich darauf, dass es die Pflege schon irgendwie würde richten können – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, wie gefährlich Omikron wirklich ist. Da haben wir uns gedacht: Es wird Zeit, dass die Zivilgesellschaft zumindest im Kleinen einen Beitrag zugunsten des Gesundheitssystems leistet.
Rechtsdepesche: Was ist euer Hintergrund im Bezug auf die Pflege? Habt ihr in diesem Bereich mal selbst gearbeitet?
Böhm: Zwei von uns dreien sind in der Pflege aktiv oder waren es: Ann-Kathrin (Will, Anm. der Redaktion) ist als angehende Ärztin über das Studium regelmäßig in den Alltag auf den Stationen eingebunden. Ich selbst habe über den Sozialzweig der Fachoberschule ein halbes Jahr im Altenheim gearbeitet.
Des Weiteren sind die Mütter von Ann-Kathrin und mir Ärztinnen, sodass wir auch abseits dessen immer mit Neuigkeiten aus dem Gesundheitswesen versorgt werden.
Daniel (Ratke, Anm. der Redaktion) hat nicht in der Pflege gearbeitet, interessiert sich aber selbstverständlich auch sehr für die gesamte Thematik.
Rechtsdepesche: Euer Ziel ist es, angehende Pflegekräfte durch die Erhöhung des Ausbildungsgehalts zu unterstützen. Wie können sich Azubis dafür bewerben?
Böhm: Zunächst einmal müssen wir natürlich genug Geld sammeln, um die Auszahlungsphase überhaupt erreichen zu können. Dann aber wollen wir uns mit den Arbeitgebern koordinieren und zentral an sie ausschütten, damit diese dann das Geld an die Azubis weiterleiten können.
Das hat zwei Gründe: Zum Einen reduziert es für uns als studentische Initiative den Verwaltungsaufwand, weil keine Einzelanträge bearbeitet werden müssen. Zum Anderen aber dient es auch der Betrugsprophylaxe, weil zum Beispiel Kliniken sicher nachweisen können, dass jemand wirklich als Auszubildender angestellt ist.
Es geht auch um Anerkennung
Rechtsdepesche: Das Gehalt ist natürlich ein wichtiger Faktor bei der Attraktivität eines Berufs. Welche Aspekte spielen in euren Augen noch eine Rolle?
Böhm: Es gibt zahlreiche Stellschrauben, die zu einer Verbesserung im Pflegesektor beitragen könnten. Am liebsten würden wir natürlich alle auf einmal angehen, doch als kleine zivilgesellschaftliche Initiative können wir uns leider nur auf Teilaspekte konzentrieren.
Viele Beschäftigte klagen über Überlastung aufgrund von fehlendem Personal, Nachtschichten mit Verantwortung für viel zu viele Menschen auf einmal oder körperlichen Verschleiß infolge der hohen physischen Beanspruchung. Bessere Ausstattung in personeller Hinsicht und auch betreffend das Equipment würde sicherlich zur größeren Attraktivität der Berufe beitragen.
Es geht aber auch um Anerkennung – in der Gesellschaft und seitens der Arbeitgeber. Gerade unter Letzteren gibt es viele, die in der Pflicht stünden, sich von der reinen Profitorientierung abzuwenden und Kranken- bzw. Altenpflege wieder als einen Dienst am Menschen zu begreifen. Das würde sicher auch den einen oder anderen Missstand verbessern.
Rechtsdepesche: Es gab schon viele politische Ansätze, die Situation der Pflege zu verbessern. Wie seht ihr die aktuellen Bemühungen, zum Beispiel den Pflegebonus?
Böhm: Grundsätzlich begrüßen wir alle Maßnahmen, die zugunsten der Pflege beschlossen werden. Der Pflegebonus als Einmalzahlung, der ja lange an bürokratischen Hürden gescheitert ist, stellt aus unserer Sicht eine wohlverdiente Belohnung für jene dar, die in zwei langen Pandemie-Jahren selbstlos alles gegeben haben. Doch es braucht mehr, um das System der öffentlichen Fürsorge in Zeiten des demografischen Wandels fit für die Zukunft zu machen.
Die Pflegepersonalregelung 2.0 im Koalitionsvertrag der Ampelregierung sieht zum Beispiel vor, dass circa acht Prozent mehr Personal in den Einrichtungen arbeiten soll, um den Pflegekräften mehr Zeit für die jeweiligen Patienten zu ermöglichen.
Doch woher soll die zusätzliche Belegschaft kommen? Der Personalmangel ist das Grundproblem der Pflegebranche. Hierfür braucht es Geld, das besser jetzt investiert werden sollte als später. Ob eine Akademisierung von Pflegeberufen zu deren größerer Attraktivität beitragen könnte, sollte man zumindest evaluieren.
Verpasste Chancen – aber nicht verloren
Rechtsdepesche: Euer Name geht ja zurück auf den Beginn der Pandemie, als Menschen jeden Abend den Pflegekräften applaudiert haben. Wurde damals die Chance verpasst, mehr für die Pflege zu bewegen?
Böhm: Genau. Wir haben uns mit unserer Website zu Clapping for Future das Ziel gesetzt, einen Ort zu schaffen, an dem das „Klatschen“ (hier im Sinne von Spenden) wirklich etwas bringt. Angesichts der gewaltigen Solidarität, die sich damals auch in dieser Geste zeigte, würde ich schon sagen, dass man den zu dieser Zeit aufkommenden Schwung hätte nutzen können, um nachhaltige Veränderungen anzustoßen.
Doch dafür ist es jetzt nicht zu spät, denn die Herausforderungen sind größer denn je. Unter Umständen stehen wir vor einem erneut nicht ungefährlichen Corona-Winter. Weitere Krankheitsbilder wie die Affenpocken bereiten Sorgen und Deutschland hat auch den Anspruch, als international verlässlicher Partner zum Beispiel Verletzte oder auch zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine angemessen zu versorgen. Um hier an allen Fronten bestehen zu können, brauchen wir dringend ein Upgrade für das Gesundheitssystem.
Rechtsdepesche: Wie kann man euch unterstützen?
Böhm: Unterstützen kann man uns auf verschiedene Art und Weise: Zum einen natürlich durch Spenden auf unserer Website clappingforfuture.de, die sich aufgrund unserer Anerkennung als gemeinnützig auch steuerlich absetzen lassen.
Ganz wichtig für unser Projekt ist aber auch die Vergrößerung der Reichweite: Ein Abo auf Instagram, LinkedIn oder Facebook und Shares auf Social Media allgemein würden der Initiative zu mehr Bekanntheit verhelfen und uns in die Lage versetzen, leichter eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, damit dieses wichtige Thema jetzt in den „Corona-ruhigen“ Sommermonaten nicht wieder völlig in Vergessenheit gerät.
Rechtsdepesche: Vielen Dank für das Gespräch!
1 Kommentar
Ich bin selbst exam Krankenschwester und nach 32 Jahren letztes Jahr aus dem KH geflohen.
Azubis werden sehr häufig als billige Arbeitskraft missbraucht und durch den Personalmangel als vollwertige Pflegekraft mit eingeplant. Praxisanweisungen kommen sehr oft zu kurz oder finden gar nicht erst statt. Viele sind verheizt und am Ende bevor sie ihr Examen überhaupt haben.Da helfen leider auch keine 100€ für 12 Monate.
Der Versuch ist nett, aber leider nicht, aber so gar nicht hilfreich. Es wird nicht einen Auszubildenden länger bei der Stange halten.