Der Status quo
Nur im Ausnahmefall – so die Tragenden Gründe der HKP-Richtlinie – kann die Versorgung der Wundpatienten auch von nicht spezialisierten Pflegediensten übernommen werden. Diese Qualitätsinitiative wird mit der besonderen Komplexität der Versorgung von chronischen Wunden begründet. In den Tragenden Gründen wird hierzu ausgeführt:
„Die Anforderungen an die Wundversorgung bei chronischen und schwer heilenden Wunden sind so hoch, dass eine Versorgung durch einen nicht spezialisierten Leistungserbringer grundsätzlich nicht ausreichend ist, um den Behandlungserfolg – die Heilung oder die Vermeidung einer Verschlimmerung der Wunde – zu sichern, da die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden regelmäßig eine besondere pflegefachliche Kompetenz voraussetzt.“
Das neue Anforderungsprofil der spezialisierten Leistungserbringer
Neben besonderen strukturellen Anforderungen an die spezialisierten Einrichtungen und Regelungen hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten am Wundversorgungsprozess werden Mindestinhalte der Wunddokumentation von der Leistungsziffer 31a der HKP-Richtlinie vorgegeben.
Die Anhebung des Qualifikationsprofils der die Wunde versorgenden Pflegefachpersonen hat allerdings zu einer aufgeregten und kontroversen Diskussion im Felde geführt. Nach der Ansicht des höchsten Gremiums der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen – dem G‑BA – war die Anhebung des Qualifikationsprofils der handelnden Personen notwendig, um eine sach- und fachgerechte Wundversorgung zu gewährleisten. So heißt es in den Tragenden Gründen: „Die fachlichen Anforderungen sind nur gewährleistet, wenn die durchführenden Pflegefachkräfte entsprechende wundspezifische Weiterbildungen haben.“
Die Zusatzqualifikation
Zur Sicherstellung dieser besonderen pflegefachlichen Kompetenz müssen die an der Wundversorgung beteiligten Pflegefachpersonen neben ihrer Grundqualifikation eine Zusatzqualifikation im Umfang von 84 Unterrichtseinheiten nachweisen. § 6 der Rahmenempfehlung gemäß § 132a Absatz 1 SGB V führt die curricularen Anforderungen hierzu auf.
Grundsätzlich ist diese Normierung dieses Qualitätsstandards zu begrüßen. Allerdings genügen die Ausbildungskurse zum „Wundexperten ICW“, welche die meisten Wundbehandelnden absolviert haben, nicht dem geforderten zeitlichen Ausbildungsumfang. Insoweit müssen sich nun tausende von „Wundexperten“ nachqualifizieren, um dem geforderten Qualifikationsprofil zu entsprechen. Trotz einer großzügig bemessenen Übergangsfrist von 2 bis zu 4 Jahren hat dies zu Unmut bei den Wundbehandelnden geführt. Im Zentrum ihrer Kritik steht die Frage, ob die bisherigen Ausbildungsinhalte gegenüber dem neuen Anforderungsprofil defizitär gewesen sind.
Die Fortbildungsverpflichtung
Eine weitere Anforderung ist der jährlich verpflichtende Fortbildungsumfang von 10 Zeitstunden. Die Fortbildungen sind am anerkannten Stand der medizinischen und pflegerischen Wissenschaft in der Wundversorgung auszurichten und produktneutral zu gestalten. Die „Wundexperten ICW“ kommen dieser jahreszyklischen Fortbildungsverpflichtung nach, indem sie „14 Rezertifizierungspunkte ICW“ erwerben.
Alle Wundexperten, die nicht in einem spezialisierten Pflegedienst zur Versorgung von chronischen Wunden arbeiten, können ihrer statuserhaltenden Rezertifizierungspflicht mit wie bisher durchschnittlich 8 Rezertitfizierungspunkten nachkommen.
Neben den klassischen Präsenzveranstaltungen können im Zeitraum von 5 Jahren 16 Rezertifizierungspunkte auch durch zertifizierte E‑Learning-Programme erbracht werden.
Hierdurch wird die zeitliche und örtliche Bindung des Wundversorgungspersonals gelockert ohne Qualitätseinbußen in dem so notwendigen Theorie-Praxistransfer zu erleiden.
Die Kostenfalle
Diese neuen Qualitätsanforderungen sind für die Einrichtungen mit einem deutlich erhöhten Kostenfaktor verbunden. Im Versorgungsalltag zeigt sich, dass viele Pflegedienste daher wundspezifische Behandlungsmaßnahmen aus ihrem Portfolio streichen. An dieser Stelle ist drauf hinzuweisen, dass die Versorgung der Versicherten durch die Krankenkassen sichergestellt werden muss. Die Krankenkassen tragen den sogenannten Versorgungsauftrag, welcher in § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 70 Absatz 1 SGB V manifestiert ist. So heißt es in § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB V:
„Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§12 SGB V) zur Verfügung, …“
Dieser intendierte Qualitätsschub bei der Versorgung chronischer Wunden darf daher NICHT NUR auf dem Rücken der Leistungserbringer erfolgen. Gute Arbeit muss sich lohnen!
Wenn die Versorgung chronischer Wunden eine komplexe und schwierige Angelegenheit ist, wie dies in der HKP-Richtlinie und den die Richtlinie ergänzenden Tragenden Gründen hervorgehoben wird, sollte diese hochwertige Arbeit der Leistungserbringer auch entsprechend entlohnt werden. Nur so kann das Qualitätsniveau auch in Zukunft gehalten werden.
Denn alle Protagonisten im Gesundheitswesen, seien es die Krankenkassen, die Leistungserbringer – Pflegefachpersonen oder Ärzte – sowie die Hersteller von Verbandmitteln, haben ein Ziel: Die optimale Versorgung der Patienten!