Triage
Vorerst muss der Gesetz­ge­ber die Triage während der Corona­pan­de­mie nicht verbind­lich regeln. Symbol­bild: Patient mit Beatmungs­ge­rät. Bild: 335 © Olena Yakob­chuk | Dreamstime.com

Mit einem am 14. August 2020 veröf­fent­lich­ten Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts einen Antrag auf Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung gegen die Untätig­keit des Gesetz­ge­bers abgelehnt. Er zielte konkret auf die Einset­zung eines Gremi­ums zur verbind­li­chen Regelung der Behand­lungs­ent­schei­dung auf Grund­lage der Triage im Rahmen der COVID-19-Pande­mie. Triage bezeich­net eine Methode, nach der entschie­den wird, welche Patien­ten im Falle einer krisen­haf­ten Überlas­tung zuerst medizi­nisch behan­delt werden.

Sachver­halt

Die Beschwer­de­füh­ren­den leiden unter verschie­de­nen Behin­de­run­gen und Vorer­kran­kun­gen. Sie gehören daher nach der Defini­tion des Robert Koch-Insti­tuts zu der Risiko­gruppe, bei der im Fall einer COVID-19-Erkran­kung mit schwe­ren Krank­heits­ver­läu­fen zu rechnen ist. Sie befürch­ten, aufgrund ihrer Behin­de­rung oder Vorer­kran­kung medizi­nisch schlech­ter behan­delt oder gar von einer lebens­ret­ten­den Behand­lung ausge­schlos­sen zu werden, weil statis­tisch gesehen bei ihnen die Erfolgs­aus­sich­ten einer inten­siv­me­di­zi­ni­schen Behand­lung schlech­ter seien. Diese sollen in der Situa­tion der Triage aber nach den bishe­ri­gen Empfeh­lun­gen entschei­dend sein.

Die Beschwer­de­füh­ren­den wenden sich mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Untätig­keit des Gesetz­ge­bers, der bislang keine Vorga­ben für die Triage gemacht habe. Sie sind der Auffas­sung, der Gesetz­ge­ber müsse seiner Schutz­pflicht für Gesund­heit und Leben nachkom­men. Vorläu­fig solle die Bundes­re­gie­rung ein Gremium einset­zen, das die Triage verbind­lich regele.

Wesent­li­che Erwägun­gen der Kammer

Der Antrag auf Erlass einer einst­wei­li­gen Anord­nung nach § 32 Absatz 1 BVerfGG hat keinen Erfolg. Zwar ist die Verfas­sungs­be­schwerde nicht von vornher­ein unzuläs­sig oder offen­sicht­lich unbegrün­det. Sie wirft vielmehr die schwie­rige Frage auf, ob und wann gesetz­ge­be­ri­sches Handeln in Erfül­lung einer Schutz­pflicht des Staates gegen­über behin­der­ten Menschen verfas­sungs­recht­lich geboten ist und wie weit der Einschätzungs‑, Wertungs- und Gestal­tungs­spiel­raum des Gesetz­ge­bers bei Regelun­gen medizi­ni­scher Priori­sie­rungs­ent­schei­dun­gen reicht.

Dies bedarf einer einge­hen­den Prüfung, die im Rahmen eines Eilver­fah­rens nicht möglich ist. Es kann hier auch offen­blei­ben, ob und gegebe­nen­falls unter welchen Voraus­set­zun­gen der Gesetz­ge­ber überhaupt im Eilver­fah­ren zur Gesetz­ge­bung verpflich­tet werden kann. Vorlie­gend recht­fer­tigt schon die an den bishe­ri­gen stren­gen Maßstä­ben für eine einst­wei­lige Anord­nung orien­tierte Folgen­ab­wä­gung deren Erlass nicht. Das momen­tan erkenn­bare Infek­ti­ons­ge­sche­hen und die inten­siv­me­di­zi­ni­schen Behand­lungs­ka­pa­zi­tä­ten lassen es in Deutsch­land derzeit nicht als wahrschein­lich erschei­nen, dass die Situa­tion der Triage eintritt.

Soweit sich der Eilan­trag im Übrigen konkret darauf richtet, zunächst durch die Bundes­re­gie­rung ein Gremium auch mit Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen der Betrof­fe­nen benen­nen zu lassen, das die Vertei­lung knapper inten­siv­me­di­zi­ni­scher Ressour­cen vorläu­fig regelt, würde dies die Situa­tion der Beschwer­de­füh­ren­den nicht wesent­lich verbes­sern. Auch ein solches Gremium wäre nicht legiti­miert, Regelun­gen mit der Verbind­lich­keit einer gesetz­ge­be­ri­schen Entschei­dung zu erlas­sen, auf die es den Beschwer­de­füh­ren­den gerade ankommt.

Quelle: BVG-Presse­mit­tei­lung Nummer 74/2020 vom 14. August 2020