Die Impfpflicht für Pflegekräfte und medizinisches Personal ist mit dem Gesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Beschwerde zahlreicher Betroffener zurückgewiesen. Zur Begründung heisst es: Zwar greife die einrichtungsbezogene Impfpflicht in die körperliche Unversehrtheit ein, so die Karlsruher Richter, doch sei dies verfassungsrechtlich gerechtfertig. Denn der Gesetzgeber verfolge den legitimen Zweck, vulnerable Menschen vor einer Infektion zu schützen, hieß es in der Begründung. Auch die weitere Entwicklung der Coronapandemie mit der Omikron-Variante begründe keine abweichende Beurteilung.
Mehr als 50 Personen haben die Verfassungsbeschwerde vorgebracht. Viele von ihnen sind selbst in Gesundheitsberufen beschäftigt. Ihren Eilantrag zur vorläufigen Aussetzung der Impfpflicht hatte das Gericht bereits im Februar abgelehnt.
Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht ist im Dezember 2021 beschlossen worden, um besonders verletzliche Menschen etwa in Pflegeheimen besser zu schützen. Seit Mitte März 2022 müssen Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen oder Arztpraxen einen vollen Corona-Impfschutz oder eine Genesung nachweisen. Wer sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen kann, muss das ebenfalls nachweisen.
Allerdings hakt es bei der Umsetzung der Impfpflicht. Auch wurden nach dem Scheitern einer allgemeinen Corona-Impfpflicht im April die Rufe lauter, die einrichtungsbezogene Impfpflicht wieder abzuschaffen.
Bundesverfassungsgericht: Schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten
Das Bundesverfassungsgericht weist in der Entscheidung darauf hin, dass bei der Corona-Impfung schwerwiegende Nebenwirkungen oder gravierende Folgen sehr selten seien. Dieser sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung stehe im Ergebnis die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber.
Auch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens seit der Verabschiedung des Gesetzes begründe keine abweichende Beurteilung. Es sei davon auszugehen, dass eine Impfung einen relevanten – „wenn auch mit der Zeit abnehmenden“- Schutz auch vor der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante biete. Die pandemische Gefährdungslage habe sich noch nicht so stark entspannt, dass damit eine deutlich verringerte Schutzbedürftigkeit vulnerabler Personen einherginge.
Richter: Berufsfreiheit werde nicht verletzt
Die Berufsfreiheit sieht das Bundesverfassungsgericht durch die Teil-Impfpflicht „nicht verletzt“. Zwar sei ein mögliches Betretungs- und Tätigkeitsverbot ein Eingriff in die Berufsfreiheit, dieser sei jedoch zum Schutz vulnerabler Menschen gerechtfertigt. Die Richterinnen und Richter teilen mit: „Der Zweck, vulnerable Personen vor einer schwerwiegenden oder sogar tödlich verlaufenden COVID-19-Erkrankung zu schützen, ist ein besonders gewichtiger Belang von Verfassungsrang“.
Besonders belastet durch die mögliche Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitverbots seien Pflegefachkräfte, Ärzte, Psychotherapeuten oder medizinische Fachangestellte, die auch bei einem Arbeitswechsel von der Impf-Nachweispflicht betroffen wären – und sich dieser folglich nur „durch Ausübung einer berufsfremden Tätigkeit“ entziehen könnten.
Dieses besonders betroffene Personal in Heil- und Pflegeberufen habe aber eine besondere Verantwortung gegenüber den betreuten oder behandelten Personen – so argumentiert das Bundesverfassungsgericht. Demgegenüber könne das Verwaltungs‑, Reinigungs- und Küchenpersonal seine Tätigkeit weiter ausüben, wenn sich die Beschäftigen einen Arbeitsplatz außerhalb von Pflege und Medizin suchen.
Lauterbach begrüßt Beschluss
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte den Beschluss aus Karlsruhe. Der Staat sei verpflichtet, vulnerable Gruppen zu schützen, erklärte er in Berlin. Lauterbach dankte den Einrichtungen im Gesundheitswesen und in der Pflege, die die einrichtungsbezogene Impfpflicht umgesetzt haben. „Sie haben großen Anteil daran, dass es in der schweren Omikron-Welle nicht noch mehr Todesfälle gegeben hat“, sagte der Minister.
Teil-Impfpflicht gilt seit Mitte März
Seit Mitte März müssen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unter anderem in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeheimen oder Behinderteneinrichtungen eine vollständige Corona-Impfung nachweisen. Mehrere Dutzend Menschen, die meisten von ihnen selbst in Gesundheitsberufen beschäftigt, zogen mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe. Ihren Eilantrag zur vorläufigen Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht lehnte das Gericht im Februar ab. Damit konnte sie im März in Kraft treten. Eine Impfpflicht für weitere Teile der Bevölkerung lehnte der Bundestag Anfang April ab.
Quellen: BVG vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21; BMG