In seiner 1040. Sitzung am 15. Dezember 2023 stimmte der Bundesrat für die Einführung einer Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz (TPG). Mit dieser würde jeder Mensch automatisch zum Organspender, der einer Organentnahme nicht aktiv widerspricht.
Diese Regelung wurde schon einmal 2020 im Deutschen Bundestag diskutiert, damals allerdings mit großer Mehrheit abgelehnt.
Widerspruchslösung: Vorstoß der Länder
Den Antrag auf Entschließung zur Einführung der Widerspruchslösung hatten unter anderem die Länder Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen eingebracht. Auch Berlin hatte sich angeschlossen.
Die Bundesländer argumentierten mit der seit Jahren unverhältnismäßig niedrigen Zahl der Organspenden:
„Deutschlandweit standen am 1. Januar 2023 insgesamt 8.505 Patientinnen und Patienten auf der aktiven Warteliste (Quelle: Eurotransplant), während im vorangegangenen Jahr nur 2.662 Organe gespendet wurden (Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation – DSO). Die Zahl der Organspenderinnen und ‑spender stagniert seit beinahe 10 Jahren auf niedrigem Niveau. Folge des Organmangels ist der Tod auf der Warteliste beziehungsweise unzumutbar lange Wartezeiten auf ein Organangebot.“
Die Berliner Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) brachte in ihrer Rede noch ein weiteres Argument ein: Als Teilnehmer des Eurotransplant-Programms erhält Deutschland Spenderorgane aus anderen Ländern, leistet aber im Gegenzug einen geringeren Beitrag. „Deutschland gehört bei der Organspende zu den Nehmerländern,“ sagte die Senatorin, und fügte hinzu, dass sie sich dafür schäme.
Organspende: Erweiterte Zustimmungslösung und Entscheidungslösung
Das seit 1997 geltende Transplantationsgesetz regelte eine Organentnahme nach der sogenannten erweiterten Zustimmungslösung (§§ 3, 4 TPG). Diese besagt, dass „eine Organentnahme nach der sogenannten erweiterten Zustimmungslösung nur dann zulässig [ist], wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt hat oder, falls keine derartige Zustimmung vorliegt, die gesetzlich bestimmten Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden.“
2012 wurde diese Regelung durch die Entscheidungslösung ersetzt, nach der jedem Mensch alle zwei Jahre von seiner Krankenkasse ein Organspendeausweis und Informationsmaterial zur Verfügung gestellt wird. Auf dieser Grundlage soll die eigene Entscheidung zur Organspende getroffen und schriftlich festgehalten werden. Darüberhinaus gelten weiterhin die Bedingungen der erweiterten Zustimmungslösung: Der Wille des Verstorbenen beziehungsweise seiner Angehörigen ist ausschlaggebend.
Seit 2022 gilt zudem das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende. Darin wurde die Einrichtung eines deutschlandweiten Online-Registers zur Organspende beschlossen, während sich die Widerspruchslösung, die ebenfalls Teil des Gesetzesentwurfs war, nicht durchsetzen konnte. Zusätzlich sollten die Hausärzte ihre Patientinnen und Patienten regelmäßig zur Eintragung in das Online-Register ermutigen.
Laumann: „Das kann der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern verlangen“
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), einer der führenden Befürworter der Widerspruchslösung, bezweifelte im Interview mit dem Magazin STERN die Effektivität des Organspende-Registers. Solange es die Widerspruchslösung nicht gebe, hätte dieses keine andere Wirkung als das Ausfüllen eines Organspendeausweises.
Er wehrte sich auch gegen den Einwand, das Recht auf körperliche Unversehrtheit werde durch die Widerspruchslösung verletzt: „Man kann jedem Erwachsenen zumuten, die Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen. Beides ist in Ordnung, Ja oder Nein, man muss sich nur entscheiden. Ich denke, dass der Staat das von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen kann.“
Ethikrat hält Widerspruchslösung für möglich
Bereits in einer Stellungnahme von 2007 hatte der Deutsche Ethikrat festgestellt: „Die Hoffnung, dass das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) von 1997 zu einer Steigerung der Organspenden führen würde, hat sich nicht erfüllt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Gründe nicht nur in organisatorischen Defiziten des Gesundheitssystems liegen, sondern auch in der gesetzlichen Regelung, die die postmortale Organspende von der ausdrücklich erklärten Zustimmung der Spender beziehungsweise ihrer Angehörigen abhängig macht.“
Der Ethikrat hielt die Widerspruchslösung unter bestimmten Voraussetzungen für vertretbar. Dazu müssten Menschen in einem geregelten Verfahren zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert sowie auf die Konsequenzen einer Nicht-Erklärung hingewiesen werden.
BÄK: Widerspruchslösung ist richtig
Auch die Bundesärztekammer hält die Widerspruchslösung für richtig. „Die Widerspruchslösung kann viele Menschenleben retten. Sie kann helfen, die große Lücke zwischen der hohen grundsätzlichen Spendebereitschaft in der Bevölkerung und den tatsächlichen niedrigen Spendezahlen zu verringern. Gleichzeitig wird mit der Widerspruchslösung die individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger über die Organspende respektiert“, sagte Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt.
Die Bundesregierung sei jetzt aufgefordert, sich erneut mit der Einführung einer Widerspruchslösung zu befassen. Das eröffne die Chance auf eine verstärkte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem sensiblen Thema Organspende. Auf dieser Grundlage könne jeder Bürger und jede Bürgerin eine gut informierte und selbstbestimmte Entscheidung treffen.